Artikel • DGHO-Jahrestagung 2018

Krebs: die Innovationswelle rollt

In der Hämatologie und Medizinischen Onkologie gibt es laufend Neues. Die zunehmende Stratifizierung der Krebstherapien stellt jedoch für die klinische Forschung eine große Herausforderung dar.

Bericht: Michael Krassnitzer

Tumorzellen sind durch Mutationen genetisch veränderte Zellen und müssten daher eigentlich von Immunsystem erkannt und zerstört werden. Doch die Krebszellen schaffen es mit Hilfe diverser molekularer Tricks, sich dem Angriff des Immunsystems zu entziehen: So sind sie für die T-Zellen, die durch den Organismus wandern und nach fremdartigen oder veränderten Substanzen suchen, wie unsichtbar. Ende August wurde in Europa die innovative CAR-T-Therapie zugelassen, die dafür sorgt, dass T-Zellen den Tumor identifizieren und als Bedrohung für den Körper erkennen können.

Dazu werden dem Patienten weiße Blutkörperchen entnommen und daraus im Labor T-Zellen gewonnen. In die T-Zellen wird ein inaktives Virus eingeschleust. Die DNA der T-Zellen nimmt das Erbgut der Viren auf, das mit einem speziellen Gen erweitert wurde. Dieses Gen sorgt dafür, dass die T-Zellen auf ihrer Hülle ein bestimmtes Eiweiß tragen, den chimären Antigenrezeptor gegen CD19. Dieser Rezeptor ist in der Lage, die Krebszellen des Patienten zu erkennen und zielgenau daran zu binden. Dann werden mit einer Chemotherapie möglichst viele T-Zellen des Patienten zerstört und die gentechnisch veränderten CAR-T-Zellen mittels Infusion in die Blutbahn des Patienten eingebracht. Diese Zellen, die sich im Körper vermehren, bekämpfen nun aktiv die Tumorzellen.

Auf der Jahrestagung 2018 der Deutschen, Österreichischen und Schweizerischen...
Auf der Jahrestagung 2018 der Deutschen, Österreichischen und Schweizerischen Gesellschaften für Hämatologie und Medizinische Onkologie wurden die wichtigsten Innovationen des Fachbereichs vorgestellt.

Quelle: DGHO

In klinischen Studien erreichen wir Ansprechraten von 60 bis 90 Prozent bei der akuten lymphatischen Leukämie und 30 bis 50 Prozent bei Non-Hodgkin-Lymphomen in fortgeschrittenen Krankheitsstadien

Hildegard Greinix

T-Zell-Engineering war eines der Schwerpunktthemen der Jahrestagung der österreichischen, deutschen und Schweizer Fachgesellschaften für Hämatologie und Medizinische Onkologie (DGHO, OeGHO, SGMO und SGH+SSH), die Ende September in Wien stattfand. Mit der CAR-T-Therapie wird das therapeutische Portfolio um ein neues, in ersten Studien teilweise hoch effektives Prinzip für die Behandlung von Patienten mit malignen hämatologischen Erkrankungen erweitert: „In klinischen Studien erreichen wir Ansprechraten von 60 bis 90 Prozent bei der akuten lymphatischen Leukämie und 30 bis 50 Prozent bei Non-Hodgkin-Lymphomen in fortgeschrittenen Krankheitsstadien. Das ist bei diesen bisher schwer zu behandelnden Patienten weit mehr als mit anderen Therapien“, betont Univ.-Prof. Dr. Hildegard Greinix, Leiterin der Klinischen Abteilung für Hämatologie am LKH-Universitätsklinikum Graz und Kongresspräsidentin der Jahrestagung 2018.

Die CAR-T-Zellen sind nur ein Beispiel für die enormen therapeutischen Fortschritte, die in den letzten Jahren speziell auf dem Gebiet der immunologisch basierten Anti-Tumor-Therapien zu verzeichnen sind. Die Innovationswelle rollt auch bei den gezielten Krebstherapien, die sich an den individuellen genetischen Eigenschaften des jeweiligen Tumors orientieren. Insgesamt hat die Europäische Arzneimittel-Agentur EMA im Jahr 2016 14 neue Arzneimittel in der Hämatologie und Medizinischen Onkologie zugelassen, im Jahr 2017 waren es 19. „Das ist deutlich mehr als in anderen Fachgebieten“, unterstreicht Prim. Univ.-Prof. Dr. Andreas Petzer, Leiter der Abteilung für Internistische Onkologie, Hämatologie und Gastroenterologie am Ordensklinikum Linz, Barmherzige Schwestern/Elisabethinen, und Präsident der Österreichischen Gesellschaft für Hämatologie und Medizinischen Onkologie (OeGHO). 

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News • Ausgezeichnete Forschung

Assistenzsystem soll Krebstherapie nach Maß ermöglichen

So unterschiedlich die Menschen sind, so unterschiedlich sind bei Krebserkrankungen auch die Tumoren. Warum ein Tumor entsteht, warum er wächst und warum er streut, beruht auf hochkomplizierten Vorgängen in den Zellen, die bei jedem Patienten anders verlaufen können. Da sind Gene an- oder abgeschaltet, die es nicht sein sollten, Proteine aktiv statt inaktiv oder unter einer Vielzahl von…

Die Fortschritte im Bereich der Grundlagenforschung und die letztlich daraus resultierende, immer stärkere Stratifizierung bzw. Personalisierung bei der Behandlung von Bluterkrankungen und soliden Tumoren werden jedoch zunehmend eine Herausforderung, insbesondere für die klinische Forschung. Ein neu entwickeltes Medikament kann nicht mehr global für alle Patienten einer bestimmten Entität angewendet werden, sondern nur mehr bei Patienten mit einem Karzinom, das eine ganz spezifische Mutation aufweist. Diese Patientengruppe ist in der Regel nur eine kleine Subgruppe aller Patienten. „Das heißt, dass im Rahmen von klinischen Studien immer nur ein ganz bestimmter Teil an Patienten für die Testung eines speziellen Medikamentes geeignet ist und dass damit natürlich die Einbringung von Patienten pro klinischem Zentrum im Vergleich zu früheren Zeiten deutlich reduziert wird“, erklärt Petzer: „Dies impliziert, dass in der Regel heute klinische Forschung nicht mehr an einem Zentrum oder in einem Land, sondern weltweit vernetzt in zahlreichen Zentren durchgeführt wird.“ 

Das bedeute, dass man sich in Ländern mit kleineren oder mittelgroßen Krankenhausstrukturen – wie etwa Österreich – genau überlegen müsse, welches Klinikum bzw. Onkologiezentrum sich für welche Studie bewirbt, um für die pharmazeutische Industrie als Partner für klinische Studien im internationalen Bewerb interessant zu bleiben. „Werden die vereinbarten Patientenzahlen nicht eingehalten, ist man als Zentrum – und wenn dies mehrere Zentren betrifft, auch als Land – für zukünftige Studien schnell aus dem Rennen“, warnt der österreichische Krebsmediziner: „Eine Koordinierung der klinischen Studien ist daher notwendig.“

Um trotz immer stärkerer Ausdifferenzierung der therapeutischen Konzepte in der klinischen Forschung konkurrenzfähig zu bleiben und einen frühen Zugang von Patienten zu innovativen Krebsmedikamenten dauerhaft zu gewährleisten, plädiert der Geschäftsführende Vorsitzende der DGHO, Prof. Dr. Michael Hallek, Direktor der Klinik I für Innere Medizin am Universitätsklinikum Köln, für eine stärkere Verquickung von klinischer Forschung und Versorgungsforschung im Sinne einer „wissensgenerierenden Versorgung“, bei der die in Daten zum Therapieansprechen, zum langfristigen Outcome und zu unerwünschten Wirkungen unmittelbar ausgewertet werden. „Bei diesem Ansatz ist letztlich jede Behandlung auch gleichzeitig klinische Forschung“, erklärt Hallek. Eine der Voraussetzungen für einen solchen Paradigmenwechsel seien umfassende Patientenregister, die in Echtzeit oder zumindest sehr zeitnah analysiert werden können. „Das kann nur bei konsequenter, einrichtungsübergreifender und intelligent standardisierter Digitalisierung der Versorgungsdaten gelingen“, betont der deutsche Experte. Entsprechende Netzwerke und Register befänden sich in den USA bereits im Aufbau und sollten, so Hallek, auch in Europa zügig umgesetzt werden.

27.11.2018

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