Repräsentative 3D-Rekonstruktion des oberen Dünndarms von nulliparen (links)...
Repräsentative 3D-Rekonstruktion des oberen Dünndarms von nulliparen (links) und milchgebenden Mäusen (5 Tage nach der Geburt).

Bildquelle: Onji M et al., Nature 2024 (CC BY 4.0)

News • Auffällige strukturelle Umgestaltung

Schwangerschaft und Stillzeit bauen den Darm von Müttern massiv um

Forschungsteam entdeckt die molekularen und strukturellen Hintergründe der Veränderung, die für die Nährstoffaufnahme und die Gesundheit der Babys entscheidend sind

In der Schwangerschaft und Stillzeit verändert sich der weibliche Körper in vielerlei Hinsicht. So werden verschiedene Organe wie die Brüste oder auch das Immunsystem angepasst, um die Gesundheit von Mutter und Kind zu gewährleisten – das geschieht im Laufe der Evolution bei allen Säugetieren. Ein internationales Forschungsteam unter der Leitung von Josef Penninger, unter anderem Wissenschaftlicher Geschäftsführer des Helmholtz-Zentrums für Infektionsforschung (HZI), und Masahiro Onji von der Medizinischen Universität Wien berichtet nun über seine überraschende Entdeckung, dass sich während der Schwangerschaft und Stillzeit auch der Darm massiv verändert. Dabei kommt es zu einer annähernden Verdoppelung der Darmoberfläche und einer auffälligen strukturellen Umgestaltung. Die Forscher liefern auch den ersten genetischen und mechanistischen Beweis dafür, wie diese Darmveränderungen zustande kommen. Die Studie wurde jetzt im Fachjournal Nature veröffentlicht.

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Masahiro Onji von der Medizinischen Universität Wien und Josef Penninger, Wissenschaftlicher Geschäftsführer des Helmholtz-Zentrums für Infektionsforschung.

Bildquelle: HZI; © Kirill Salewkskij

Ein multinationales Team unter der Leitung von Josef Penninger (MedUni Wien, IMBA – Institut für Molekulare Biotechnologie, Wien, University of British Columbia, Kanada, Helmholtz-Zentrum für Infektionsforschung, Deutschland) beobachtete, dass sich die Darmzotten während der Schwangerschaft und Stillzeit reorganisieren und deutlich vergrößern, wodurch sich ihre Oberfläche verdoppelt. Die Untersuchungen wurden an gentechnisch veränderten Mäusen und Darmorganoiden von Mäusen und Menschen – selbstorganisierte dreidimensionale Gewebe, die aus Stammzellen des Darms gewonnen werden – durchgeführt. Auf mechanistischer Ebene identifizierten die Forscher das RANK-Rezeptor/RANK-Ligand-System (RANK/RANKL) als Schlüssel zur Vergrößerung der Dünndarmzotten während der Fortpflanzung, die durch Sexual- und Laktationshormone gesteuert wird. Bei Mäusen, denen das RANK/RANKL-System im Darm fehlt, war die Zottenvergrößerung während der Schwangerschaft und Stillzeit erheblich beeinträchtigt. 

Das RANK/RANKL-System als wichtiger Motor essenzieller Prozesse, die im Lauf der Evolution erhalten wurden, wird seit Jahrzehnten wissenschaftlich untersucht. Die Penninger-Gruppe hat bereits Schlüsselfunktionen dieses Systems beim Knochenstoffwechsel, in der Biologie der Brustdrüse, bei Brustkrebs und bei der Immuntoleranz in der Schwangerschaft identifiziert. Dies trug zur Entwicklung von Medikamenten gegen Knochenschwund bei, die von Millionen von Menschen eingesetzt werden, sowie zu klinischen Versuchen zu Brustkrebsprävention und Krebsimmuntherapien. In ihrer jüngsten Studie entdeckten die Forscher nun, dass die RANK-RANKL-bedingten Veränderungen des Darms, die nach Beendigung des Stillens offenbar vollständig reversibel sind, für die Ernährung des Babys wichtig sind. „Unsere Studie zeigt, dass die Beeinträchtigung dieser Darmerweiterung durch das Fehlen des RANK/RANKL-Systems während der Schwangerschaft die Milch der stillenden Mütter verändert. Dies führt zu einem geringeren Gewicht der Babys und zu langfristigen, generationenübergreifenden Stoffwechselfolgen“, erklärt Erstautor Masahiro Onji. 

„Mütter müssen für sich und ihre Babys essen. Unsere neuen Erkenntnisse liefern erstmals eine molekulare und strukturelle Erklärung dafür, wie und warum sich der Darm verändert, um sich an den erhöhten Nährstoffbedarf von Müttern anzupassen – was wahrscheinlich bei allen schwangeren und stillenden Säugetieren der Fall ist“, sagt Studienleiter Josef Penninger.

Vielleicht können wir von schwangeren und stillenden Müttern sogar lernen, wie man das RANK/RANKL-System nutzen kann, um ein besseres Verständnis von Darmkrebs und neue Therapien für die Darmregeneration zu entwickeln

Josef Penninger

Wie sich Mütter an die Anforderungen der Schwangerschaft und des Stillens anpassen, bleibt eine zentrale Frage der Evolution und der menschlichen Gesundheit. Während dieser Phase beeinflussen weibliche Hormone zahlreiche Organe, um deren Struktur und Funktionen zu steuern und zu verändern, was für die Gesundheit der Mutter und die Entwicklung des Nachwuchses entscheidend ist. Dass schwangere Frauen einen erhöhten Nährstoffbedarf haben, war zwar bekannt, ausreichend wissenschaftlich untersucht wurde dieser grundlegende Aspekt bisher jedoch nicht: „Indem wir das RANK/RANKL-System als Motor der Anpassung des Darms während der Schwangerschaft und Stillzeit identifiziert haben, trägt unsere Studie zu einem tieferen Verständnis biologischer Prozesse bei, die für die Evolution von grundlegender Bedeutung sind“, fasst Josef Penninger die Bedeutung der Ergebnisse zusammen. 

Die massive Expansion des Darms wird durch Sexual- und Schwangerschaftshormone gesteuert, die die Stammzellen im Darm über das RANK/RANKL-System verändern und dann der Darmzelle ein Signal geben, damit sie wachsen. Dieses Wachstum führt zu einer annähernden Verdoppelung der Darmoberfläche, einer Vergrößerung der molekularen Struktur für die Aufnahme von Zucker, Eiweiß und Fett und zu einer tiefgreifenden architektonischen Veränderung der Darmzotten. Dadurch wird wahrscheinlich der Nahrungsfluss verlangsamt, was wiederum die Aufnahme von Nährstoffen maximiert. „Unser Team hat einen erstaunlichen neuen Weg entdeckt, wie sich der Körper von Müttern verändert, um ihre Babys gesund zu erhalten. Kaum jemand wusste davon, einige alte Studien dazu sind weitgehend in Vergessenheit geraten. Vielleicht können wir von schwangeren und stillenden Müttern sogar lernen, wie man das RANK/RANKL-System nutzen kann, um ein besseres Verständnis von Darmkrebs und neue Therapien für die Darmregeneration zu entwickeln“, sagt Josef Penninger in Hinblick auf künftige Studien. 


Quelle: Helmholtz-Zentrum für Infektionsforschung

05.12.2024

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