„IT makes healthy“ – oder etwa nicht?
Hat die IT das Zeug, neben Pharmazeutika und Medizintechnik, die dritte Säule im Gesundheitswesen zu werden und einen aktiven Beitrag zu einer besseren Patientenversorgung zu leisten? Die Antwort lautet wohl einhellig: Ja. Die Frage nach den Mitteln und Voraussetzungen, unter denen dies geschieht, ist weniger eindeutig zu beantworten und bot ausreichend Diskussionsstoff für die erste Kongress-Session der conhIT , der Podiumsdiskussion „IT makes healthy“.
Thomas Dingler führte als Moderator durch die spannende Debatte, der sich vier Firmenvertreter stellten. Karin-Marie Tretter, Vice President, Siemens AG Healthcare Sector, Andreas Lange, Vice President General Manager Healthcare Central Europe, Tieto Deutschland GmbH, Dr. Volker Wetekam, Vice President IT Division, Agfa Healthcare AG und Uwe Eibich, Executive Vice-President Central Europe, CompuGroup Holding AG.
Letzterer begann die Session mit einem Kurzvortrag und der erschreckenden Zahl, dass theoretisch alle 30 Minuten ein Patient an einem gefährlichen Medikamentencocktail sterben könnte – gemixt aufgrund der Unwissenheit über sonstige Medikamente, Wechselwirkungen oder allergische Reaktionen der Patienten. Und dies nicht nur im niedergelassenen Bereich, auch im Krankenhaus ist eine von zehn Verordnungen fehlerhaft – unabhängig davon, ob sie vom Assistenz- oder Chefarzt erteilt wurde. Grund für diese verhältnismäßig hohe Fehlerquote sind zum einem die rasant steigende Flut an Informationen und zum anderen die zunehmende Bürokratie, mit der sich jeder Arzt im Durchschnitt zwei oder mehr Stunden täglich beschäftigen muss.
Der Einsatz intelligenter IT-Lösungen und der sogenannte „Medical decision support“ kann hier helfen, notwendiges Datenmaterial zur Verfügung zu stellen, Informationen automatisch abzugleichen, Bürokratie zu reduzieren und so letztlich dazu beitragen, dass die Patienten einfach besser versorgt sind. Als Beispiel hierfür nannte Eibich ein Pilotprojekt im Bereich Diabetes, das die CompuGroup gemeinsam mit der AOK, der Knappschaft und etwa 300 Praxen durchführte. Ergebnis: Die rund 10.000 Patienten der Pilotgruppe lebten im Schnitt länger und waren besser versorgt. Unnötige Untersuchungen und Therapien wurden vermieden, Ressourcen effizient genutzt und somit etwa 30 Prozent der Behandlungskosten eingespart.
„Um solche Projekte auch flächendeckend erfolgreich aufzustellen, ist jedoch eine entsprechende Infrastruktur nötig und – ganz wichtig für weitere Entwicklungen der Industrie – entsprechende Vergütungssysteme, die Investitionen am Ende rentabel machen“, so Eibich. Seiner Meinung nach, hat die IT ihren Nutzen in Sachen Kosteneffizienz und Patientensicherheit bereits bewiesen, jetzt kommt es auf entsprechende Anreizmodelle an, die sowohl Arzt als auch Industrie ansprechen.
Der anschließende Vortrag von Dr. Volker Wetekam fokussierte das Thema „Personalisierte Medizin“ als entscheidenden Faktor für die weiteren Entwicklungen im Bereich Healthcare IT: „Personalisierte Medizin und das ganze Gebiet der Genomics werden die Treiber der IT in den nächsten 10-15 Jahren sein“, so sein Statement. Seit der Entschlüsselung des Genoms bis zum Ende des Jahres 2008 konnten allein über 200 Anomalien detektiert werden, die für das Ausbrechen und den Verlauf chronischer Krankheiten verantwortlich sind. Solche Informationen müssen künftig zuzüglich zu den in-vivo und in-vitro Ergebnissen in die IT einfließen, um bei Diagnose und Therapie berücksichtigt zu werden. Sogenannte „Rules Engines“ könnten künftig helfen, das Therapiemanagement zu optimieren. „E-Health Infrastrukturen, die diese Entwicklungen nicht berücksichtigen, werden nur einen begrenzten Nutzen im Gesundheitswesen von morgen haben“, fasst er zusammen.
Im Anschluss an die beiden Vorträge ging es direkt in die Diskussion, die aus dem Publikum mit der Frage eröffnet wurde: Welche Maßnahmen ergreift die Industrie, um von reinen Produktlösungen und Geschäftssegmenten hin zu einer echten intersektoralen Versorgung zu gelangen?
„Hierzu müssen wir als Industrie erst einmal eruieren, was denn genau wohin gehört. Welche Leistungen eng an die Versorgungskette des Patienten geknüpft sind“, so Karin-Marie Tretter. Und weiter: „Das Stichwort ist hier Prozesssteuerung. Um diese zu optimieren, müssen Prozesse erst einmal auseinander genommen, beurteilt und neu zusammengesetzt werden. Ein derzeitiges Manko hierbei ist sicherlich die fehlende Standardisierung, die eine solche neue Verknüpfung schwierig macht.“
„In anderen Ländern, wie Finnland, funktioniert die Verknüpfung von niedergelassenem und stationärem Bereich schon gut, es besteht sogar eine direkte Dokumentationspflicht“, ergänzt Andreas Lange. Auch er sieht in der mangelnden Standardisierung und in den unausgereiften Geschäftsmodellen die derzeitigen Probleme für flächendeckende IT-Lösungen, die Deutschland "healthier" machen.
20.04.2010