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Artikel • Standards in der Gesundheits-IT

Interoperabilität: Gemeinsame Lösungen für ein komplexes Thema

Schnell und valide ‒ das sind die Merkmale einer idealen, interoperablen Vernetzung im Rahmen der medizinischen und pflegerischen Versorgung. In der Realität ist man davon hierzulande noch immer weit entfernt. Wege und Lösungen, wie das größtenteils ungenutzte Potenzial zum Wohle von Forschung und Versorgung erschlossen werden kann, stehen alljährlich im Fokus des Deutschen Interoperabilitätstages (DIT). Anlässlich der Veranstaltung spricht Prof. Dr. Sylvia Thun, Vorstandsvorsitzende HL7 Deutschland e. V. und Vorsitzende des Spitzenverbands IT-Standards im Gesundheitswesen (SITiG), über die Voraussetzungen für fächerübergreifende Zusammenarbeit, Fortschritte und bestehende Baustellen des Vorhabens.

Der diesjährige DIT am 25. Oktober lief unter dem Motto „Auftakt für Team Interop“. Grundlegendes Thema war die jüngst verabschiedete Gesundheits-IT-Interoperabilitäts-Governance-Verordnung (GIGV), mit dem das Bundesministerium für Gesundheit (BMG) neue und zukunftsfähige Strukturen schaffen möchte, um die IT-Systeme des Gesundheitswesens interoperabel zu machen. Am 26. Oktober schloss sich wie im vergangenen Jahr ein Community-a-thon an, bei dem Interoperabilität praktisch „erprobt“ wurde und sich Systeme und Interessierte sich zum interoperablen Datenaustausch zusammenfanden.

HiE: Der DIT stand unter dem Motto 'Auftakt für Team Interop'. Was bedeutet das Statement, Interoperabilität sei eine soziale und fächerübergreifende Angelegenheit?

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Prof. Dr. Sylvia Thun

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Prof. Dr. Sylvia Thun: „Interoperabilität ist die Grundlage für die Kommunikation zwischen Menschen und Maschinen. Hierfür müssen administrative und medizinische Konzepte und Prozesse definiert werden. Das benötigt einen menschlichen Konsens, medizinisches Know-How und technische Implementierungsleitfäden. Dabei unterstützt HL7 in jeder Phase mit Expertise und internationalen Standardabläufen und -technologien. Die Nutzung und Entwicklung des Standards basiert also auf dem Wissen und der Zusammenarbeit eines großen internationalen Netzwerkes. In Deutschland kooperiert eine agile Community unter dem Dach von HL7 Deutschland an Spezifikationen, die lokal anwendbar sind.“ 

Ihr Vortragstitel lautet 'Semantik für ‚echte‘ Interoperabilität'. Was bedeutet 'echte' Interoperabilität oder anders gefragt, was ist unechte Interoperabilität?

„Interoperabilität zwischen zwei IT-Systemen kann durch Absprachen zwischen zwei Herstellern erfolgen. Damit können Daten von A nach B fließen. Kommt es aber zu Anwendungen, die mit mehreren Herstellern interagieren müssen, wie etwa bei der elektronischen Patientenakte (ePA), ist es nötig eine Referenz, auf der alle Hersteller arbeiten können, zu generieren und zu nutzen. Diese Referenz sollte dann, da Mediziner:innen und Wissenschaftler:innen international zusammenarbeiten, auf internationalen Standards wie HL7 V2, HL7 FHIR oder SNOMED basieren. Erst dann können wir von 'echter' Interoperabilität sprechen.“

An all diesen Themen wird schon lange gebastelt. Wo bestehen weiterhin Probleme? Ist der Anspruch vielleicht einfach zu groß?

„Das stimmt. Aber wir haben es mit einem sehr vielschichtigen Thema zu tun. Medizin ist komplex, daher sind auch die Spezifikationen komplex. Diese müssen auch teilweise noch erstellt werden. Die Kassenärztliche Bundesvereinigung (KBV), die gematik und die Medizininformatikinitiative (MI-I) erstellen mit Hilfe und unter dem Dach von HL7 diese Spezifikationen. Daneben gibt es bislang leider noch keine flächendeckende Implementierung der Softwarehersteller der Standards HL7 FHIR und SNOMED/LOINC.“

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Mit dem aktuellen Referentenentwurf der GIGV möchte das BMG zukunftsfähige Strukturen schaffen, um die IT-Systeme des Gesundheitswesens interoperabel zu machen. Über eine Art „runden Tisch“ soll interdisziplinäre Expertise zusammengebracht und effektiv eingesetzt werden. Wird auf diese Weise 'echte' Interoperabilität erreicht? 

„Die GIGV ist ein wichtiger Schritt von vielen Schritten auf dem weiten Weg zu 'echter Interoperabilität'. Essenziell ist aber eines: Es muss eine fachliche Koordination geben – eine Person oder Gruppe, die die Entscheidungen zusammen mit den Expert:innen fällt – und das ohne politische Einflussnahme und ganz im Sinne der Patient:innen. Nur dann setzen wir Interoperabilität als wirkliches Gemeinschaftsprojekt um; nur dann führen wir den Dialog wirklich auf Augenhöhe.“

Sie sprechen es an: Interoperabilität muss fachlich koordiniert werden. Wie müsste so ein Koordinierungsgremium Ihrer Meinung nach besetzt sein, um das angestrebte Ziel bestmöglich zu erreichen?

„Wir brauchen hier interdisziplinäre Expertise. Die Mitglieder des Koordinierungsgremiums müssen technisches und medizinisches Know-How mitbringen und langjährige Erfahrung auf dem Gebiet der nationalen und internationalen Interoperabilität haben.“

22.10.2021

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