Hochschullehrer ohne Abitur – W.C. Röntgen
Röntgenstadt nennt sich die ehemalige Tuchmacherstadt Lennep heute. Wilhelm Conrad Röntgen, der aus einer alten Tuchmacherfamilie stammt, wurde hier geboren und verbrachte hier seine ersten Lebensjahre.
1895 entdeckte er in Würzburg die Strahlen, die heute die ganze Welt als Röntgenstrahlen kennt. Der geniale Physiker, Entdecker, Forscher und Träger des ersten Nobelpreises für Physik ist eine Leitfigur des interdisziplinären und kreativen Quer-Denkens. Hartnäckig hält sich das Gerücht, Röntgen sei wegen eines Schülerstreichs von der Schule verwiesen worden. Stimmt das?
Als Kind eines Tuchfabrikanten wurde Röntgen sein zukünftiger Weg vom Elternhaus früh vorgezeichnet, er sollte auf Wunsch seines Vaters „etwas Technisches“ lernen. Daher besuchte er die Technische Schule in Utrecht in den Niederlanden. Diese „Industrieschule“ bereitete Schüler aus gutbürgerlichen Verhältnissen auf den Besuch der Technischen Hochschule vor. Sie lieferte jedoch keine Qualifikation für den Besuch einer Universität.
Ohne Hochschulzugangsberechtigung besuchte Röntgen als nicht-ordentlicher Student Vorlesungen zur Analyse, Physik, Chemie, Zoologie und Botanik an der Universität Utrecht. Nach zwei Semestern wechselte er an das Züricher Polytechnikum. Die üblicherweise erforderliche Aufnahmeprüfung konnte Röntgen wegen einer Augenerkrankung nicht ablegen. Dennoch wurde er dank der Befürwortung von M. Schröter, Professor für Maschinenkunde am Eidgenössischen Polytechnikum, Zürich, zum Studium zugelassen. In seiner Begründung schrieb dieser an den Direktor der Anstalt: „...Sein reiferes Alters von 20 Jahren, seiner vortrefflichen Zeugnisse, namentlich in den mathematischen Fächern der technischen Schule in Utrecht und sein einjähriger Besuch der Universität daselbst rechtfertigen wohl vollkommen meinen Vorschlag, denselben als Schüler aufzunehmen und von der Prüfung zu dispensieren.“ (Glasser 1995)
Am 6. August 1868 erhielt Röntgen schließlich nach einer glänzend bestandenen Prüfung mit Bestnoten in den Fächern Mathematik, Hydrostatik- und Dynamik, allgemeine Physik und Wärmelehre, sowie Elektrizität und Optik, das Diplom als Maschineningenieur. Röntgen gilt als ein „Meister des Experiments“ (Glasser 1995). Neben seiner Schulung in exakter Messkunst hatte er ein besonderes Gespür für die Wahrnehmung eines Problems und das notwendige experimentelles Geschick zu seiner Untersuchung. Er war skeptisch gegenüber eigenen und fremden Wahrnehmungen, übte scharfe Kritik bei der Analyse der Messergebnisse und er sicherte sein Endergebnis nach allen Seiten ab. Röntgen war Experimentalphysiker im wahrsten Sinne des Wortes. In seiner Rektoratsrede unterstrich er, dass „das Experiment der mächtigste und zuverlässigste Hebel ist, durch den wir der Natur ihre Geheimnisse ablauschen können und das dasselbe die höchste Instanz bilden muss für die Entscheidung der Frage, ob eine Hypothese beizubehalten oder zu verwerfen sei.“ Ausdruck fand diese tiefste Überzeugung auch in seiner Antwort auf die Frage eines Journalisten, was er denn bei der Beobachtung des X-Strahlen- Effektes gedacht hatte: „Ich dachte nicht, sondern ich untersuchte“. (Glasser 1995)
Röntgen kann als beispielhaft für die Ausdifferenzierung und Spezialisierung der Wissenschaft im Allgemeinen und für die Herausbildung und Institutionalisierung der Disziplin Physik im Besonderen gelten. Zu seinen Verdiensten gehört sicherlich auch die Mithilfe bei der Überführung der physikalischen Privatlaboratorien. Als echter Pionier der jungen Wissenschaft Physik hatte Röntgen mit selbstgebauten Apparaten und einfachen Mitteln erstaunliche Ergebnisse erzielen können. Am Ende des Kaiserreichs um 1914 hatten alle 21 deutschen Universitäten oft aufwendig gestaltete physikalische Institute mit eigenen Forschungslaboratorien. Röntgen hatte sich zeitlebens indirekt immer für diesen Institutionalisierungsprozess eingesetzt. Er war ein Verfechter des modernen Konzeptes der wissenschaftlichen Experimentalphysik.
Röntgen war keine besonders komplizierte Persönlichkeit, kein Mensch der Brüche und Widersprüche. Homogenität und Konstanz seines Charakters und seiner Werte, zeichneten ihn aus. Er war verwurzelt in einer jahrhundertealten Familientradition und geprägt von der offenen Kultur in den Niederlanden und der republikanischen Schweiz. Von hierher stammen seine altliberalen Werte und Einstellungen. Anders als viele Zeitgenossen verleugnete er niemals seine bürgerliche Herkunft. Röntgen, der durch eigene Leistung seine gesellschaftliche Position eingenommen hatte, hielt an seinem Bürgerethos fest. Den persönlichen Adelstitel, der verbunden war mit seiner Auszeichnung mit dem Bayerischen Kronorden 2. Klasse, lehnte er ab.
Wie kaum ein anderer hat Röntgen durch präzise Forschung zur Entzauberung der traditionellen Weltsicht beigetragen. Ausgestattet mit einem gewissen protestantischen Bürgerstolz und einer Skepsis gegenüber gesellschaftlichen Konventionen hat ihn seine große Zielstrebigkeit, sein tiefgehendes Interesse für Ergründung von Naturphänomenen und auch seine Begabung zum Ziel geführt.
Spenden für Röntgens Elternhaus
Die DRG hat vor zwei Jahren Wilhelm Conrad Röntgen zu Ehren das Haus seiner Eltern erstanden. Nach 170 Jahren weist das Gebäude erhebliche bauliche Mängel auf, die enormer Investitionen bedürfen. Röntgens Geburtshaus soll durch die Erhaltung zu einem gemeinsamen Erbe der Naturwissenschaften und der Medizin gestaltet und das Andenken an ihn gefördert und gepflegt werden.
Unter folgendem Spendenkonto kann sich jeder für die Sanierung engagieren und spenden:
Deutsche Röntgengesellschaft e.V.
IBAN: DE 44 5004 0000 0403 2686 12
BIC: COBADEFFXXX
Mehr Infos unter: www.roentgen-geburtshaus.de
29.05.2014