Fit für den Facharzt – warum die A. carotis für Kontroversen sorgt

Komprimiertes Wissen in kürzester Zeit, so lautet das Erfolgsrezept der Fortbildungsreihe „Fit für den Facharzt“. Auf vielen Fachkongressen in der Radiologie ist das Konzept zum Publikumsmagneten für junge Assistenzärzte in Ausbildung geworden. Kein Wunder, bekommen sie doch hier von „alten Hasen“ das nötige Rüstzeug an die Hand, um stressfrei in ihre Facharztprüfung zu gehen.

Prof. Dr. Josef Tacke, 47, ist Chefarzt des Instituts für Diagnostische und...
Prof. Dr. Josef Tacke, 47, ist Chefarzt des Instituts für Diagnostische und Interventionelle Radiologie/Neuroradiologie am Klinikum Passau. Er stammt aus Rheine, Westfalen, und studierte Medizin in Ulm und Düsseldorf. 1992 bis 2004 war sein Arbeitsplatz die RWTH Aachen, wo er zuletzt als Oberarzt der Klinik für Radiologische Diagnostik agierte. Der Facharzt für Diagnostische Radiologie und Neuroradiologie engagiert sich besonders im Bereich vaskulärer und onkologischer Interventionen. Er ist u.a. Gründungsmitglied und Vorstandsmitglied der Deutschen Gesellschaft für Interventionelle Radiologie (DeGIR) und Vorstandsmitglied und Gutachter der Qualitätssicherungskommission „Interventionelle Radiologie“ der KV Bayern. Seit 2009 gehört er zum Vorstand der Bayerischen Röntgengesellschaft und übernahm 2010 die Tagungspräsidentschaft des Bayerisch-Österreichischen Röntgenkongress in Linz.

Einer dieser „alten Hasen“ ist Prof. Dr. Josef Tacke, Chefarzt des Instituts für Diagnostische und Interventionelle Radiologie/Neuroradiologie am Klinikum Passau. Auf dem BRK 2012 wird er den Kursteilnehmern die Carotis PTA näherbringen. Ein Thema, das aktuell nicht unumstritten ist.

Prof. Tacke hat gleich mehrere Theorien, warum die FFF-Reihe so gut ankommt: „Kein Lehrbuch der Welt kann das praktische Wissen vermitteln, das ein erfahrener Kollege weitergeben kann. Dadurch gewähren die Workshops hautnahe Einblicke in die klinische Routine und bleiben den Teilnehmern besser im Gedächtnis. Die Themen sind dabei bewusst einfach gehalten und konzentrieren sich auf die wesentlichen Grundlagen, z.B. Standardindikationen oder Materialkunde.“ Das Schwierigste sei deshalb am Anfang gewesen, die Tutoren, die sonst anspruchsvolle Vorträge vor einem Fachpublikum halten, so weit herunterzubremsen, dass auch Nicht-Experten alles verstehen, setzt er schmunzelnd hinzu.

Besonders begrüßt Prof. Tacke, dass auch sein Fachgebiet Interventionelle Radiologie durch die FFF-Reihe ein Forum bekommt: „Auf diese Weise bekommen wir Nachwuchstalente auf die Kongresse und in die Kurse, die sonst vielleicht nur wenig oder gar nichts mit Interventioneller Radiologie zu tun haben.“ Deshalb ist es selbstredend, dass er natürlich auch auf dem Bayerischen Röntgenkongress über eine Intervention vor den Facharztkandidaten referieren wird. Die Stent-PTA zur Aufdehnung von Stenosen bei Verschlusskrankheiten in der Halsarterie gehöre allerdings schon zu den anspruchsvolleren Eingriffen, die viel Fingerspitzengefühl und Expertise verlangen, so Tacke: „Alles, was oberhalb des Aortenbogens passiert, ist mit Vorsicht zu genießen. Wer beim Kathetern in der Halsarterie Fehler macht, richtet unter Umständen mehr Schaden als Nutzen an.“

Die Carotisstenose ist aber auch aus aktuellem berufspolitischem Anlass interessant. Zurzeit steht die S3-Leitlinie zur Carotisstenose nämlich auf der Kippe. Grund sind erbitterte Grabenkämpfe, die sich zwei Fraktionen innerhalb der Leilinienkommission liefern, die sich in Fürsprecher und Gegner des Carotis-Stentings mittels Katheter aufteilen. Prof. Tacke erklärt die geschichtlichen Hintergründe: „Die Carotisstenose war früher entweder zu operieren oder gar nicht zu therapieren. Die ersten Studien zur gefäßchirurgischen Methode wurden daher noch mit einer Kontrollgruppe ohne Intervention durchgeführt. An diesen frühen Daten sollen wir uns heute mit dem Katheter messen. Das geht aber nicht, weil das Szenario nicht wiederholbar ist. Man weiß, dass das Schlaganfallrisiko bei Nicht-Behandlung zu hoch ist.“
Es folgten prospektiv randomisierte Erhebungen, die operative und interventionelle Methode miteinander verglichen. Darunter die EV3S-Studie, die wegen des schlechten Studiendesigns vorzeitig abgebrochen werden musste, oder die ICSS Studie, deren wissenschaftliche Aussagekraft umstritten ist, weil neurologische Beurteilungen teilweise von Gefäßchirurgen gefällt wurden.

Jetzt geht die Kontroverse in eine nächste Runde, weil die 2010 veröffentlichte nordamerikanische CREST-Studie (Carotid Revascularization Endarterectomy versus Stenting Trial) an über 2.500 Patienten zeigte, dass zwischen Endarteriektomie oder Stent-Implantation kein signifikanter Unterschied im Behandlungsergebnis besteht, wenn sie in beiden Fällen von einem erfahrenen Arzt durchgeführt werden. Die American Heart Association hat bereits reagiert und diese neuen Erkenntnisse in ihren Leitlinien berücksichtigt. Die AHA gibt den Hinweis, dass die Carotis-PTA bei bestimmten Indikationen sinnvoll sei. In den deutschen Leitlinien ist man dagegen weit entfernt davon, die aktuellen Ergebnisse widerzuspiegeln. „Dabei ist es eine wichtige Voraussetzung, dass Leitlinien den neuesten Stand der Wissenschaft abbilden“, betont Prof. Tacke. „Kommen wir hier zu keiner Einigung, dann müssen die S3-Leitlinien zur Carotisstenose auf eine S2-Leitlinie zurückgestuft werden, die der Therapieempfehlung einer einzelnen Fachgesellschaft entspricht.“

Auch ohne Zuspruch durch die Leitlinien wird heute schon die Hälfte aller Carotisstenosen gestentet. Die nötige Sicherheit bei der Entscheidung für eine Stent-Implantation bekommen Tacke und seine Kollegen vor allem durch das Mehraugenprinzip: „Wir sind es in der Radiologie als Zuweiserfach gewöhnt, gemeinsam mit anderen Fachdisziplinen zu einer Therapieentscheidung zu kommen, die die beste für den individuellen Einzelfall darstellt. Wir befinden uns dadurch in einer permanenten Qualitätskontrolle. Wer eine Carotisstenose behandelt, ohne dass ein Neurologe den Patienten mitbeurteilt und am Entscheidungsprozess beteiligt ist, der handelt weit ab von den Standards.“
 

12.10.2011

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