Interview • Multiresistente Keime
"Erreger kennen keine Grenzen mehr"
Im Interview mit European Hospital verrät PD Dr. med. Beniam Ghebremedhin, Facharzt für Mikrobiologie, Virologie und Infektionsepidemiologie am Helios Universitätsklinikum Wuppertal, wie sich Migration auf Infektionen auswirkt und an welchen Stellschrauben im Kampf gegen multiresistente Keime gedreht werden muss, um dieses Problem in den Griff zu bekommen.
Source: shutterstock/AuntSpray
EH: Dr. Ghebremedhin, die Deutsche Gesellschaft für Infektiologie schlägt Alarm, in Deutschland gibt es zu wenig Infektiologen, stimmen Sie zu?
Ja, wir haben einen Mangel an Infektiologen, sowohl in der direkten Patientenversorgung auf den Stationen als auch im infektiologisch-diagnostischen Bereich. Zudem gibt es zu wenig Hygieniker und zu wenig Fachärzte für Mikrobiologie oder Virologie. In Zeiten von multiresistenten Bakterien und großflächig auftretenden mikrobiellen Infektionen muss dringend der Nachwuchs gefördert werden, um Forschung und Diagnose zu stärken.
Die EU hat Ende Juni Leitlinien für den Umgang mit Antibiotika veröffentlicht, um die Weiterentwicklung von Resistenzen einzudämmen. Wird das helfen?
Das Thema ist von großer Bedeutung, denn es gibt immer noch viele Bereiche, in denen zu schnell und vor allem nicht zielgerichtet genug Antiinfektiva eingesetzt werden. In der ambulanten Versorgung wird zum Beispiel häufig auf Antibiotika zurückgegriffen, auch aus Zeitmangel um Patienten schnell zu versorgen. Bei einer viralen Infektion sind aber Amoxycillin oder Cefuroxim die falsche Wahl. Hier müsste viel stärker darauf geachtet werden, Therapiemöglichkeiten präziser auf den Patienten und seine Risikofaktoren abzustimmen.
Dabei gibt es ja abseits der EU-Leitlinien längst Empfehlungen, wie eine adäquate Therapie eingeleitet werden kann, zum Beispiel die „Tarragona-Strategie“. Diese bildet das Grundkonzept für eine adäquate antibiotische Initialtherapie bei bakteriellen Infektionen. Sie besagt u.a., dass der Patient zunächst systematisch untersucht werden muss, denn wenn mir Informationen fehlen, beispielsweise woher der Patient stammt – ggf. seine lokale Epidemiologie (Häufigkeit der Infektionen und Resistenzen), kann ich keine adäquate Therapie in Gang setzen. Auch die Dosierung, die Dauer der Behandlung und deren Kontrolle stehen im Fokus, aber auch dafür brauche ich möglichst umfassende Informationen über den Patienten sowie Schweregrad seiner Erkrankung. Hierbei ist es prognostisch entscheidend, dass die Einleitung einer adäquaten Therapie hochdosiert ohne Zeitverlust erfolgt.
Ihr wesentliches Interesse gilt der Migrationsmedizin und auf der Medica 2017 werden Sie über „Infektiologie – Neue Multiresistenzen im Zeitalter der Migration“ berichten. Warum?
Bakterien werden mit dem Koffer von einem Land ins andere getragen
Beniam Ghebremedhin
Viren und Bakterien kennen keine Grenzen mehr. Die weltweite Migration hat stark zugenommen, nicht nur durch Flüchtlingswellen, sondern auch durch offene Grenzen und veränderte Reisegewohnheiten. Urlaub im Ausland, Arbeiten auf einem anderen Kontinent, das ist zur Normalität geworden. Das bedeutet aber auch, dass lokal auftretende Infektionen nicht mehr lokal bleiben. Ein Erreger wie Influenza-Virus könnte schnell global zirkulieren. Bakterien werden mit dem Koffer von einem Land ins andere getragen. Um einen Patienten behandeln zu können, muss ich deshalb wissen, woher er stammt, welche Erreger er mitgebracht haben könnte, oder welchen multi-resistenten Infektionserregern er möglicherweise ausgesetzt war.
Das ist vor allem elementar, wenn es um multiresistente Keime geht. In meinem Vortrag widme ich mich den gram-negativen Bakterien, die zunehmend an Bedeutung gewinnen, zum Beispiel Escherichia coli, Klebsiella pneumoniae oder Acinetobacter baumannii. Die letztgenannte Art vor allem hat für Schlagzeilen gesorgt, so zum Beispiel in Kiel oder auch Anfang des Jahres in Stuttgart.
Was kann man gegen multiresistente Erreger tun?
Das ist eine sehr wichtige und zugleich schwierige Frage. Deutschland muss eindeutig besser in Bezug auf Isolationsmaßnahmen und Detektion werden. Besiedelte Patienten müssen früher abgeschirmt werden. In Holland ist die Isolation von Risikopatienten bei Einweisung Usus, in Deutschland sind solche Kapazitäten für Isolationsmaßnahmen oft unzureichend. Das ist ein starker Kritikpunkt, denn es wird ernst: die letzten Waffen, die wir im Kampf gegen multiresistente Erreger einsetzen können, werden immer stumpfer.
Neue Antiinfektiva werden selten zugelassen und sind ohnehin nur spezifisch wirksam. Momentan werden etwa dreißig neue Substanzen in Studien untersucht, von denen vielleicht vier oder fünf die Voraussetzungen haben, auf den Markt zu kommen. Aber auch diese sind keine Vielzweckwaffen, sondern Wirkstoffe gegen ganz spezielle Erreger. Zudem kommt es immer schneller zur Resistenzbildung, früher waren einige wenige Substanzen bis zu zehn Jahre lang wirksam, heute ist das illusorisch.
Ist die Pharmaindustrie in diesem Bereich denn nicht aktiv?
Nicht so, wie wir uns das wünschen würden. Mit Antibiotika lassen sich keine großen Gewinne wie mit Arzneimitteln aus der Krebstherapie erzielen. Die Investitionen in Studien sind teuer und eine Antibiotikabehandlung nicht umfangreich genug, um das investierte Geld zurückzubekommen.
Ein ebenso großes Problem ist die Verletzung von Hygienevorschriften im Krankenhaus.
Richtig, Handhygiene ist wirklich ausschlaggebend. Durch Handhygiene könnte ein Drittel aller Keimübertragungen vermieden werden. Mittlerweile gibt es vielerorts Hygienefachschwestern, die sich um genau dieses Thema im Krankenhaus kümmern. Leider kämpfen sie immer noch tagtäglich mit unbelehrbaren Kollegen. In der Hygiene gibt es aber keine Hierarchie, ein Bakterium interessiert keine Weisungskette. Deshalb müssen wir jetzt handeln – sonst gehen uns vielleicht schon sehr bald die Optionen im Kampf gegen Multiresistenzen aus.
Profil:
PD Dr. med. Beniam Ghebremedhin spricht auf dem Medica Labmed Forum 2017 am Donnerstag, 16. November 2017, über „Infektiologie – Neue Multiresistenzen im Zeitalter der Migration“. Die Vorträge finden in der Zeit von 11 bis 16 Uhr in der neuen Messehalle 18 in Düsseldorf statt und sind für Messebesucher kostenlos. Die Tagungssprache ist Englisch.
12.10.2017