© Emre Yaksi Lab
News • Gliazellen in Gefahr
Epilepsie: veränderte Abwehr im Gehirn ist die Ursache
Einen epileptischen Anfall kann jeder bekommen. Was genau passiert dabei im Körper und welche Mechanismen lösen eine solche plötzliche Störung aus?
Ein internationales Team von Wissenschaftlern unter der Leitung von Prof. Dr. Emre Yaksi von der Norwegischen Universität NTNU, in dem auch Forscher des Zentrums für Regenerative Therapien der TU Dresden (CRTD) mitgearbeitet haben, hat entdeckt, dass ein Versagen der sogenannten Gliazellen im Gehirn die epileptischen Anfälle auslöst.
Die Forscher veröffentlichten ihre Erkenntnisse jetzt im Journal Nature Communications.
Die Studie untersuchte epileptische Anfälle bei Zebrafischen – einem weit verbreiteten Modellorganismus zur Erforschung der menschlichen Gehirnphysiologie. Zebrafische enthalten die gleichen Zelltypen, die auch im menschlichen Gehirn vorhanden sind. Zwei dieser Zelltypen sind Glia und Neuronen. Neuronen sind in erster Linie an der Übertragung von Signalen beteiligt. Zu den Hauptfunktionen der Gliazellen gehören die Aufrechterhaltung eines ausgeglichenen Gehirnzustands, die Unterstützung der Neuronen und des Immunsystems sowie die Erhöhung der Geschwindigkeit der neuronalen Signalübertragung.
Unsere Ergebnisse liefern den Beweis dafür, dass sich die Wechselwirkungen zwischen Gliazellen und Neuronen während der Entstehung eines epileptischen Anfalls ändern
Emre Yaksi
Die Studie ergab, dass kurz vor einem epileptischen Anfall Nervenzellen abnormal aktiv waren, aber nur in einem begrenzten Gehirnbereich. Im Gegensatz dazu zeigten Gliazellen eine starke synchrone Aktivität im gesamten Gehirn. Während des eigentlichen Anfalls nahm die neuronale Aktivität abrupt zu. Die funktionellen Verbindungen zwischen den Nervenzellen und den Gliazellen wurden sehr kraftvoll. Damit verbreitete sich der Anfall quasi wie ein Sturm elektrischer Aktivität über das gesamte Gehirn. Auch der Glutamatspiegel – eine chemische Verbindung, die Signale zwischen Nervenzellen überträgt – nahm stark zu. Das Glutamat wurde von Gliazellen abgesondert, die damit vom Freund zum Feind werden.
Die Ergebnisse der Studie deuten darauf hin, dass Epilepsie nicht nur aufgrund eines anormalen Verhaltens von Neuronen, sondern auch von Gliazellen entsteht. "Unsere Ergebnisse liefern den Beweis dafür, dass sich die Wechselwirkungen zwischen Gliazellen und Neuronen während der Entstehung eines epileptischen Anfalls ändern. Es wird interessant sein zu sehen, ob dieses Phänomen bei den verschiedenen Arten von Epilepsie auftritt und verallgemeinerbar ist", sagt Prof. Emre Yaksi.
Normalerweise absorbieren die Gliazellen das überschüssige Glutamat, das während einer erhöhten Aktivität der Nervenzellen ausgeschieden wird. Die Studie zeigte jedoch, dass der Absonderungsprozess der Gliazellen, der in Kombination mit ihrer Hyperaktivität kurz vor einem Anfall beobachtet wurde, mit großer Wahrscheinlichkeit ein Abwehrmechanismus des Gehirns ist. "In unserem Gehirn befinden sich mehr Gliazellen als Neuronen. Doch Gliazellen wurden von der Wissenschaft bisher weniger beachtet. Unsere Arbeit deckt eine interessante Funktion der Gliazellen auf und wird zweifellos mehr Interesse an diesem Zelltyp wecken", sagt CRTD-Forschungsgruppenleiter Dr. Caghan Kizil, der mit seinem Mitarbeiter Mehmet Ilyas Cosacak zu den Co-Autoren der Studie gehört und sowohl am CRTD der TU Dresden als auch am Deutschen Zentrum für Neurodegenerative Erkrankungen (DZNE) forscht.
In den letzten Jahrzehnten wurden eine Reihe neuer Epilepsiemedikamente entwickelt. Ein Drittel der Patienten hat jedoch immer noch keine gute Kontrolle über die Anfälle. Ein Grund dafür könnte sein, dass die aktuellen Antiepileptika meist auf Neuronen abzielen, während die Gliazellen, die rund 80 Prozent der Zellen im Gehirn ausmachen, übersehen wurden. "Wir werden jetzt untersuchen, ob wir die Mechanismen, die wir in unserer aktuellen Studie identifiziert haben, auch im klinischen Umfeld erkennen können", sagt Yaksi.
Quelle: Technische Universität Dresden
27.08.2019