News • Neurologie
Epilepsie: Dreiecksbeziehung im Gehirn
Wenn es im Gehirn zu einem epileptischen Anfall kommt, dann geraten die Nervenzellen aus ihrem gewohnten Takt und feuern in einem sehr schnellen Rhythmus. Ursache ist ein komplexes Zusammenspiel verschiedener Faktoren. Wissenschaftler der Universität Bonn haben nun die wichtige Rolle eines Beteiligten entdeckt: α2δ4 (alpha2delta4). Es handelt sich dabei um einen zentralen Player zwischen den Nervenzellen, der als ein Puzzlestein an der Entwicklung von Epilepsien maßgeblich beteiligt und ein möglicher Ansatzpunkt für Therapien ist.
Bei einem epileptischen Anfall feuern die Nervenzellen gleichzeitig in einem sehr schnellen Rhythmus – wie bei einem Gewitter im Gehirn. Krampfanfälle sind dann die Folge. Aus einem solchen kurzen Anfall kann sich langfristig durch Veränderungen im Gehirn eine chronische Epilepsie entwickeln. „Bei der Suche nach neuen Therapien geht es vor allem auch darum, die allmähliche Ausbildung solcher schweren Anfallsformen zu verhindern“, sagt Prof. Dr. Albert J. Becker vom Institut für Neuropathologie des Universitätsklinikums Bonn (UKB).
Wenn es zu einem epileptischen Anfall kommt, sind auch Gene und deren Regulation beteiligt. Gene sind Blaupausen der DNA. Von ihnen werden bei der Transkription Abschriften erstellt, die an unterschiedliche Orte in den Nervenzellen gelangen und deren Funktion beeinflussen. Wie die Wissenschaftler der Universität Bonn bereits vor einigen Jahren zeigen konnten, regelt der Transkriptionsfaktor Early growth response 1 (Egr1) die Calciumkanäle in den Nervenzellen hoch. Calcium kann dann vermehrt in die Poren der Nervenzellenkanäle einströmen. Dadurch beginnen diese, im Gleichtakt zu feuern – ein epileptischer Anfall beginnt.
Fahndung nach Epilepsie-Genen
„Allerdings ist das Geschehen deutlich komplexer, wie wir nun herausgefunden haben“, sagt Dr. Karen M. J. van Loo, Nachwuchsgruppenleiterin am UKB. „Es sind weitere Faktoren beteiligt.“ Wie bei einer Rasterfahndung suchte die Wissenschaftlerin mit ihren UKB-Kollegen Prof. Dr. Dirk Dietrich von der Neurochirurgie und Prof. Dr. Sandra Blaess vom Institut für Rekonstruktive Neurobiologie mit bioinformatischen Methoden nach weiteren Epilepsie-Genen, die an den Anfällen beteiligt sind. Anschließend beobachteten die Forscher an menschlichem Gewebe, das bei der operativen Entfernung von Epilepsieherden aus den Gehirnen von Patienten gewonnen wurde, und Mäusen das Zusammenspiel der epilepsieauslösenden Faktoren.
Im Wesentlichen geht es um die Dreiecksbeziehung aus dem bereits bekannten Transkriptionsfaktor Egr1 sowie den spezialisierten Calciumkanal-Poren Cav3.2 und α2δ4 (alpha2delta4). Van Loo: „Vor allem die Rolle von α2δ4 wurde bislang deutlich unterschätzt.“ Die Wissenschaftler sorgten bei den Mäusen durch eine Hochregulierung des Transkriptionsfaktors dafür, dass deren Nervenzellen im Gehirn deutlich mehr α2δ4 produzierten. „Je mehr α2δ4 vorhanden war, desto stärker war die Anfallsneigung“, fasst Prof. Dr. Susanne Schoch-McGovern vom Institut für Neuropathologie des Universitätsklinikums Bonn die Ergebnisse zusammen. Dieser Zusammenhang bestätigte sich auch bei den Untersuchungen mit menschlichem Hirngewebe.
Quelle: Katharina Wislsperger/UKB
Wie das Antiblockiersystem beim Auto
Die Nervenzellen im Gehirn schützen sich normalerweise durch einen stabilen Rhythmus vor einem epileptischen Anfall. „Das lässt sich mit dem Antiblockiersystem beim Auto vergleichen, das ebenfalls vor einem Überreagieren schützt“, sagt Becker. Verschiedene Sensoren messen, ob ein Rad blockiert und dosieren dadurch optimiert die Bremskraft des Fahrzeugs. Wird α2δ4 hochreguliert, fällt dadurch in dem Nervenzellennetzwerk im übertragenen Sinn das Antiblockiersystem aus und das Gaspedal wird dabei voll durchgetreten: Der gewohnte Nervenzellenrhythmus gerät aus dem Takt und beschleunigt – ein epileptischer Anfall bahnt sich an. „Es reicht nicht aus, sich einzelne Moleküle im Gehirn anzusehen, um den Ausbruch eines epileptischen Anfalls zu verstehen“, sagt Karen van Loo. „Vielmehr ist das ganze Netzwerk zu betrachten.“ Die Wissenschaftler sehen die Calciumkanalporen α2δ4 und Cav3.2 in Kombination mit dem Transkriptionsfaktor Egr1 als einen vielversprechenden therapeutischen Ansatzpunkt, um möglicherweise den Ausbruch von Epilepsien zu hemmen. „Es ist aber noch intensive Forschung erforderlich“, betont Susanne Schoch-McGovern.
Quelle: Rheinische Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn
27.02.2019