Artikel • Neurologische Komplikationen
Enteroviren: „Das Forschungspotential ist groß“
Die Veröffentlichung zu „Neurologischen Komplikationen bei Infektionen mit (neuen) Enteroviren“ im deutschen Fachmagazin „Der Nervenarzt“ – ausgehend von der Medizinischen Hochschule Hannover (MHH) – sorgte für Aufsehen in der Fachwelt, da zu diesem Thema selten berichtet wird.
Bericht: Eva Britsch
Aus diesem Grund sprachen wir mit Prof. Martin Stangel über den aktuellen Stand in der klinischen Praxis bei Enteroviren. „Enteroviren (EV) sind ubiquitär vorkommende RNA-Viren, die ein weites Spektrum an klinischen Symptomen hervorrufen können. Dieses reicht von unspezifischen febrilen Erkrankungen, Exanthemen und Atemwegsbeschwerden über hämorrhagische Konjunktivitis und Hand-Fuß-Mund-Krankheit bis zu schweren Myo- und Perikarditiden, Myelitiden, Meningitiden und Enzephalitiden“, schreiben die Autoren in „Der Nervenarzt“.
Seit den 50er Jahren des vergangenen Jahrhunderts sind erste Fallberichte zu Enzephalitiden durch Enteroviren dokumentiert. Stangel beschreibt den Verlauf der Ausbrüche: Die schweren Komplikationen wie Enzephalitis seien überwiegend in Süd- und Ostasien beschrieben. „In Europa sehen wir die nicht“, sagt der Neurologe. Die schlaffen Lähmungen seien hauptsächlich in den USA beschrieben, einzelne Fälle aber auch in Europa. Stangel weist darauf hin, dass einzelne Formen des Enterovirus auch als das neue Poliovirus bezeichnet würde, das möglicherweise die Lücke, die Polio hinterlässt, fülle.
Die Beschreibung von Stangel ergibt ein vielfältiges und nicht leicht einforderbares Bild, der durch das Virus hervorgerufenen Krankheitsbilder und Ausbruchzusammenhänge. Umso wichtiger erscheinen vor diesem Hintergrund die klinischen Tests, die im Klinikalltag den Virus identifizieren können. Auch hierauf gehen die Autoren in ihrem Artikel in „Der Nervenarzt“ ein. Stangel sensibilisiert gegenüber diesem Magazin, dass es darum ginge wahrzunehmen, dass mit allen Tests auch falsch negative Ergebnisse auftreten können und die Sensitivität unterschiedlich sei: „Wir sehen PCR als Standard, allerdings gibt es auch hier Unterschiede, was aber eben auch mit vielen verschiedenen Viren zusammenhängt, die die Gruppe der Enteroviren ausmacht. Und es hat sich eben gezeigt, dass ein Nachweis nicht immer möglich ist.“
Nach wie vor ist das Virus auf therapeutischer Ebene ein unbeschriebenes Blatt. Stangel dazu: „Wir haben keine ursächliche Therapie, daher ist das Forschungspotential groß. Man muss aber auch bedenken, dass es sich hier um eine seltene Erkrankung handelt.“ Das heißt übersetzt, dass die Pharmaindustrie eben auch nur beschränktes Interesse hat, hier initiativ zu werden, denn Geld bringen die „Volkskrankheiten“ wie Krebs oder Bluthochdruck. Hinzu kommt, dass die Familie der Enteroviren unterteilt ist in mehr als 100 Viren.
Umso interessanter könnte es sein, an die Prävention zu denken und wie man sich vor dem Virus schützen kann. Doch auch hier bleibt vieles im Unbestimmten, jedoch lassen sich doch ein paar Risikofaktoren ausmachen. Diese sind nicht sonderlich überraschend. Stangel sagt: „Kinder sind am häufigsten betroffen, insbesondere auch was die Enzephalitis/Gehirnentzündung betrifft. Des Weiteren ist der sozioökonomische Status wichtig, d.h. die sanitären Bedingungen. Die Infektionen sind im Sommer/Herbst häufiger, in den Tropen über das ganze Jahr gleich verteilt.“ Die Infektion erfolgt in aller Regel fäkal-oral oder als Tröpfcheninfektion. Vor den aktuellen Erkenntnissen erscheint ein neuerlicher (überraschender) Ausbruch durch Enteroviren früher oder später als wahrscheinlich.
20.03.2019