Abbildung: Nikoloz Sirmpilatze
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Einfluss von Narkosemitteln auf Hirnfunktionen
Forschende der Abteilung Funktionelle Bildgebung am Deutschen Primatenzentrum (DPZ) – Leibniz-Institut für Primatenforschung haben mittels funktioneller Magnetresonanztomographie (fMRT) die genaue räumliche Verteilung der synchron arbeitenden Hirnregionen untersucht.
Die moderne Anästhesie ist eine der wichtigsten medizinischen Errungenschaften. Während zuvor Patienten bei jeder Operation Höllenqualen durchleiden mussten, ermöglicht die Narkose heute vollkommen schmerzfreie Eingriffe. Man fühlt nichts und kann sich danach an nichts erinnern. Durch Elektroenzephalographie (EEG)-Studien an Patienten ist bereits bekannt, dass das Gehirn während der Narkose in einen tiefschlafähnlichen Zustand versetzt wird, bei dem sich Perioden rhythmischer elektrischer Aktivität mit Phasen von völliger Inaktivität abwechseln. Dieser Zustand wird Burst-Suppression genannt. Unklar ist jedoch, wo genau dieser Zustand im Gehirn passiert und welche Hirnareale daran beteiligt sind. Diese Erkenntnis ist jedoch wichtig, um das Phänomen besser zu verstehen und damit auch die Funktionsweise des Gehirns unter Narkose. Die Forschenden haben mittels funktioneller Magnetresonanztomographie (fMRT) die genaue räumliche Verteilung der synchron arbeitenden Hirnregionen in narkotisierten Menschen, Javaneraffen, Weißbüschelaffen und Ratten untersucht. Sie konnten erstmalig zeigen, dass sich die Bereiche, in denen Burst-Suppression erkennbar ist, bei Primaten und Nagern signifikant unterscheiden. Während bei der Ratte weite Teile der Hirnrinde synchron das Burst-Suppression-Muster zeigen, sind bei den Primaten einzelne sensorische Regionen, wie beispielsweise die Sehrinde, davon ausgeschlossen.
„Unser Gehirn kann man sich im wachen Zustand wie ein volles Fußballstadion vorstellen“, erklärt Nikoloz Sirmpilatze, Wissenschaftler in der Abteilung Funktionelle Bildgebung und Hauptautor der Studie. „Unsere aktiven Nervenzellen sind wie zehntausende Zuschauer, die alle durcheinander reden. Unter Narkose ist die Aktivität der Nervenzellen jedoch synchronisiert. Man kann diese Aktivität mittels EEG als gleichförmige Wellen messen, so als würden alle Zuschauer im Stadion das gleiche Lied singen. In tiefer Narkose wird dieses Lied immer wieder durch Phasen der Stille unterbrochen. Das nennt man Burst-Suppression. Je tiefer die Narkose ist, desto kürzer werden die Phasen der gleichförmigen Aktivität, die Bursts, und die periodisch wiederkehrenden inaktiven Phasen, die Suppressions, verlängern sich.“
Gehirn ist wie ein Fußballstadion
Das Phänomen wird durch viele verschiedene Narkosemittel hervorgerufen, die teilweise unterschiedliche Wirkmechanismen haben. Und auch in Komapatienten ist die Burst-Suppression nachweisbar. Es ist jedoch nicht bekannt, ob dieser Zustand eine Schutzreaktion des Gehirns oder Zeichen einer gestörten Funktionsweise ist. Unklar war bislang ebenfalls, wo im Gehirn die Burst-Suppression auftritt und welche Hirnareale daran beteiligt sind, da eine Lokalisierung durch EEG allein nicht möglich ist.
Um diese Frage zu beantworten, setzte das Team um Nikoloz Sirmpilatze das bildgebende Verfahren der fMRT ein. Die Methode macht Durchblutungsänderungen im Gehirn sichtbar. Die gesteigerte Aktivität von Nervenzellen in einem bestimmten Hirnareal führt zu einer Erhöhung des Stoffwechsels und damit zu einer gesteigerten Blutzufuhr und Sauerstoffversorgung an dieser Stelle, was schließlich im fMRT-Bild sichtbar wird.
Im ersten Teil der Studie etablierten die Forschenden ein System, um die fMRT-Daten in Menschen, Affen und Nagern mit der gleichen Methode standardisiert auswerten zu können. Dazu nutzten sie zeitgleich gemessene EEG- und fMRT-Daten von narkotisierten Patienten, die in einer zuvor durchgeführten Studie an der Technischen Universität München entstanden waren. „Wir haben zunächst geschaut, ob die im EEG nachgewiesene Burst-Suppression auch in den fMRT-Daten sichtbar ist und ob diese ein bestimmtes Muster zeigt“, sagt Nikoloz Sirmpilatze. „Darauf aufbauend haben wir einen neuen Algorithmus entwickelt, der es ermöglichte Burst-Suppression-Ereignisse in den Versuchstieren mittels fMRT nachzuweisen, ohne zusätzliche EEG-Messung.“
Implikationen für die Neurowissenschaften
Die Forschenden führten anschließend fMRT-Messungen in narkotisierten Javaner- und Weißbüschelaffen sowie in Ratten durch. In allen Tieren konnten sie die Burst-Suppression in Abhängigkeit von der Konzentration des Narkotikums nachweisen und genau lokalisieren. Die räumliche Verteilung der Burst-Suppression zeigte, dass sowohl im Menschen als auch in den Affenarten bestimmte sensorische Bereiche, wie der visuelle Kortex, davon ausgeschlossen sind. In den Ratten war hingegen die gesamte Großhirnrinde von der Burst-Suppression betroffen.
„Über die Gründe können wir im Moment nur spekulieren“, sagt Nikoloz Sirmpilatze, der für seine Arbeit mit dem Promotionspreis des Deutschen Primatenzentrums 2021 ausgezeichnet wurde. „Primaten orientieren sich hauptsächlich über ihren Sehsinn. Deshalb ist der visuelle Kortex eine hochspezialisierte Region, die sich von anderen Hirnarealen durch besondere Zelltypen und Strukturen unterscheidet. In Ratten ist das nicht der Fall. In zukünftigen Studien werden wir untersuchen, was genau in diesen Regionen während der Narkose passiert, um schlussendlich zu verstehen, weshalb Burst-Suppression dort mit fMRT nicht nachweisbar ist.“
Susann Boretius, Leiterin der Abteilung Funktionelle Bildgebung und Seniorautorin der Studie ergänzt: „Die Studie wirft nicht nur die Frage auf, inwieweit Nagetiere geeignete Modelle für viele Bereiche der Hirnforschung am Menschen sind, speziell wenn es um Anästhesie geht, sondern die Ergebnisse haben auch viele Implikationen für die Neurowissenschaften und die Evolution von neuronalen Netzwerken im Allgemeinen.“
Die Ergebnisse wurden im Journal eLife veröffentlicht.
Quelle: Deutsches Primatenzentrum GmbH - Leibniz-Institut für Primatenforschung
27.05.2022