Eine Landkarte für die Lunge

Über die Bedeutung der Anatomie für die Diagnostik interstitieller Lungenerkrankungen

Die Diagnostik diffuser interstitieller Lungenerkrankungen ist wie die Suche nach der berühmten Nadel im Heuhaufen. Die besondere Schwierigkeit liegt darin, dass sich mehr als 200 eigenständige Erkrankungen hinter diesem Oberbegriff verbergen.

Dr. Beate Rehbock
Dr. Beate Rehbock

Bei jeder dieser Krankheitsformen kommt es zu einer Pneumonitis, die sehr ähnliche pathophysiologische Reaktionsmuster aufweist. Dementsprechend überlappen sich auch die radiologischen Bildmuster. Differenzialdiagnosen sind jedoch von entscheidender Konsequenz für Therapie und Prognose.

Dr. Beate Rehbock hat sich in der radiologischen Ambulanz des St. Hedwig-Krankenhauses in Berlin auf pulmologische Bildgebung spezialisiert. Für ihre diagnostische Arbeit ist eine gute Kenntnis über die Anatomie der Lunge Grundvoraussetzung. Denn je nachdem, welches Kompartiment im Organ befallen ist, lassen sich Rückschlüsse auf das jeweilige Krankheitsbild ziehen. „Viele Erkrankungen sind durch bestimmte Verteilungsmuster gekennzeichnet“, erklärt die Expertin, „einige befallen mehr die Oberfelder, die anderen mehr die Lungenbasen und wieder andere befallen dominant den Lungenmantel. Tatsächlich ist die Zuordnung der Veränderungen zu den anatomischen Strukturen der Lunge der Schlüssel zur Interpretation.“

Bei den diffusen Lungenerkrankungen ist vornehmlich das Interstitium, also das Bindegewebe der Lunge, betroffen. Aber auch die anatomischen Strukturen, die in Beziehung zum Bindegewebe stehen, wie etwa Blutgefäße, die die Bronchien und den sekundären Lobulus durchziehen, sind dabei von Bedeutung. Auf dieser Feinstrukturebene lassen sich viele pathologische Veränderungen mithilfe der Bildgebung identifizieren. Mit einer Größe von nur 1 bis 2,5 Zentimetern stellt der sekundäre Lobulus die kleinste pulmonale Einheit, die in der hochauflösenden Computertomographie (HRCT) gerade noch abgegrenzt werden kann, dar. Auf einem Thoraxbild ist er damit nicht erkennbar.

Wichtigste Merkmale der hochauflösenden Computertomographie sind die engen Schichtdicken von 0,6 bis 1,5 Millimetern und ein kantenanhebender Rechenalgorithmus. „Die HRCT ist bei den diffusen Lungenerkrankungen die diagnostische Methode der Wahl“, berichtet Dr. Rehbock, „in schätzungsweise über 70 Prozent der Fälle verlässt sich der Pneumologe heute bereits auf die HRCT-Diagnosen, sodass weitere aufwendige und für den Patienten belastende Untersuchungen überflüssig werden können.“

So kann beispielsweise eine fortgeschrittene Lungenfibrose mithilfe der radiologischen Blickdiagnostik bereits eindeutig bestimmt werden, ohne dass weitere histologische Sicherungen nötig sind. Die idiopathische pulmonale Fibrose (IPF) spielt sich im peripheren Interstitium ab und weist ein typisches histologisches und radiologisches Muster auf, das als sogenanntes UIP-Pattern (Usual Interstial Pneumonia = gewöhnliche interstitielle Pneumonie) bezeichnet wird. Dabei kommt es vor allem im unteren Lungenmantel zu Bindegewebsverdickungen sowie zu zystischen Parenchymdestruktionen. Diese Umbauten werden aufgrund ihrer Optik als Honigwaben bezeichnet. Sind alle radiologischen Kriterien des UIP-Musters erfüllt, bedarf die Diagnose einer idiopathischen pulmonalen Fibrose laut der neu verabschiedeten S2-Leitlinie der Deutschen Gesellschaft für Pneumologie und Beatmungsmedizin für die Diagnostik und Therapie der IPF keiner weiteren lungenbioptischen Abklärung – vorausgesetzt, die klinischen Kriterien stimmen. „Die Entscheidung fällt der Radiologe natürlich nicht allein“, betont Dr. Rehbock, „sondern in einem multidisziplinären Team. Im Fibrose-Board kommen Pneumologen, Pathologen und Radiologen mit ihrem jeweiligen Fachwissen aus Klinik, Histologie und Bildgebung zusammen und stellen gemeinsam eine Diagnose. Man kann jedoch sagen, dass nicht zuletzt durch die verbesserten Bildgebungstechniken der Stellenwert des Radiologen und damit auch seine Verantwortung beim Fibrose-Management in den vergangenen Jahren enorm gestiegen ist.“

IM PROFIL

Dr. Beate Rehbock war Leitende Oberärztin im Radiologisch-Diagnostischen Institut des Fachkrankenhauses für Lungenheilkunde und Thoraxchirurgie an der Evangelischen Lungenklinik Berlin, bevor sie vor acht Jahren die Praxis für Diagnostische Radiologie mit Schwerpunkt pulmologischer Bildgebung am St. Hedwig-Krankenhaus Berlin-Mitte übernahm. Von 2004 bis 2011 war sie Dozentin an der Osteopathie-Schule Deutschland. Von 2011 bis 2013 arbeitete sie im Vorstand des BRG-RBB e. V. (Berliner Röntgen-Gesellschaft/Röntgenvereinigung zu Berlin und Brandenburg e. V.). Außerdem gehört sie zum Vorstand der Arbeitsgemeinschaft Diagnostische Radiologie arbeits- und umweltbedingter Erkrankungen der Deutschen Röntgengesellschaft und ist Mitglied der European Society of Thoracic Imaging. 2010 wurde die Fachärztin mit dem Felix-Wachsmann-Preis der Akademie für Fort- und Weiterbildung in der Radiologie ausgezeichnet.

 

Veranstaltungshinweis:

Do., 07.11.2013

09:00–09:25 Uhr

Anatomie und Untersuchungstechnik

Session: Diffuse Lungenerkrankungen/HRCT-1

Congress-Saal

 

04.11.2013

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