Transformation
Die Zukunft der datengetriebenen Medizin
Wie Fortschritte in der Informationstechnologie das Gesundheitswesen transformieren können, stellen Wissenschaft und Industrie auf der Medica in zahlreichen Veranstaltungen vor. Um nichts weniger als die Zukunft der datengetriebenen Medizin ging es Dr. Bruno Michel, Manager Smart System Integration bei IBM Research Zürich, in seinem Vortrag auf der Pressekonferenz der DGIM zur Medica Education Conference „Innere Medizin: Zukunftstechnologien und Remote Patient Management“ am 16. November.
Report: Sascha Keutel
Für Michel entstehen diese Fortschritte dadurch, dass die Technik „schlau“ gemacht wird, also intelligente Soft- aber auch Hardware entwickelt werden. Der Schweizer nannte insbesondere zwei Anwendungen: Cloud Computing mit kognitiver Funktionalität und die Verwendung von verbesserten Sensoren in Wearables. Der Computer-Ingenieur stellte drei Bereiche vor, an der die IBM aktuell arbeitet:
1. Selbstlernende Systeme
Schätzungen gehen davon aus, dass sich bis 2020 das quantitative medizinische Wissen alle 73 Tage verdoppeln wird, weshalb zukünftig die Masse der zur Diagnose und Therapie verfügbaren Daten im klinischen Alltag nur durch kognitive Assistenzsysteme gemeistert werden können. Schon heute werden intelligente Systeme wie Watson Health eingesetzt, um Ärzten notwendige Informationen transparent darzustellen und damit dem Patient die bestmögliche Versorgung zu gewährleisten.
Kognitive Systeme verstehen Konzepte im Zusammenhang und lernen kontinuierlich aus der Interaktion mit Daten und medizinischen Fachpersonal. Da sich mit ihnen die zur Diagnose und Behandlung relevanten Erkenntnisse schnell aus der Datenflut extrahieren lassen und somit ganzheitliche auf den Patienten zugeschnittene Lösungen erarbeitet werden können, werden solche Computersysteme in Zukunft ein wichtiger Bestandteil der medizinischen Versorgung sein, ist Michel überzeugt. Zeitgleich betont er, dass die letztendliche Behandlungsentscheidung immer beim Arzt liege, dieser also nicht obsolet werde: „Die von uns entwickelten Systeme werden Ärzte nicht ersetzen, aber den Ärzten helfen, in verschiedenen Situationen bessere Entscheidungen zu treffen.“
2. Kognitiver Hypervisor
„Darüber hinaus verbinden wir die Datenquelle ‚Mensch‘ besser mit diesen analysierenden Systemen“, berichtete Michel und bezog sich dabei auf den kognitiven Hypervisor, der die Datenströme verbundener Wearables sammelt und aufbereitet sowie erste Analysen erstellt. Intelligente Systeme wie Watson können dann die erhobenen Daten tiefergehend analysieren, was kurzfristig ermöglicht, die Behandlung besser auf den individuellen Patienten zuzuschneiden. Da das System mit dem ihn zugeführten Daten lernt, kann es langfristig bessere Behandlungsschemata entwickeln und so letztendlich die Kosten im Gesundheitswesen senken.
3. Präzisionsdiagnostik
Mit dem dritten Forschungsfeld, der Präzisionsdiagnostik, verfolgen die Forscher die Vision einer quantitativen Diagnostik, die Resultate unmittelbar über Smartphones zugänglich macht. Bei der Präzisionsdiagnostik werden mikrofluidische Strukturen mit integrierten langzeitstabilen Reagenzien verwendet, um Immun- und Gen-Analysen schneller, besser und genauer zu erstellen.
Die hierfür implementierten mikrofluidischen Strukturen reduzieren den Bedarf an Gewebeproben und Reagenzien für Biopsien und für lokale Untersuchungen von Heterogenität in Zellschnitten. Diese Technologie erlaubt kürzere Analysezeiten und erhöht dabei aber die Datenqualität. Gerade bei zeitkritischen Entscheidungen wie im Falle des Nachweises eines Herzinfarkts könne dies Leben retten, merkte Michel an.
Die durch Präzisionsdiagnostik ermittelten Daten werden dann wieder den intelligenten Systemen eingespeist, damit dieser dadurch lernen kann. Es schließt sich also der Kreis.
PROFIL:
Dr. Bruno Michel promovierte in Biochemie und Computer-Ingenieurwesen an der Universität Zürich. Er arbeitet am IBM-Forschungszentrum in Rüschlikon an Rastertunnel-Mikroskopie, Soft-Lithografie und thermisch-elektrischer Integrationstechnologie mit derzeitigem Fokus auf Mikrotechnologie/Fluidik und 3D-Packaging. Im Rahmen der Smart-System-Integrations-Initiative entwickelt er datengetriebene medizinische Technologien, basierend auf effizienten kognitiven Wearables.
17.11.2016