Die MRT als sensitiver Marker

Diagnostik und Therapie der Multiplen Sklerose haben in den zurückliegenden Jahren große Fortschritte gemacht. Zwar liegen Ursachen und Auslöser der Erkrankung weiterhin im Dunkeln, allerdings ist mittlerweile bekannt, wie die Läsionen entstehen.

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Prof. Dr. Peter Rieckmann
Prof. Dr. Peter Rieckmann

„Wir wissen, dass es neben der Entzündung und dem Abbau des Myelins schon ziemlich frühzeitig zu einer axonalen Schädigung kommt, also zu Unterbrechungen des Nervenfaserkabels und eben auch zur Neurodegeneration“, erklärt Prof. Dr. Peter Rieckmann, Chefarzt der Neurologischen Klinik an der Sozialstiftung Bamberg, der zuvor das MS-Forschungsprogramm an der University of British Columbia in Vancouver geleitet hat.

Und mittlerweile ist auch mehr bekannt über die Mechanismen, die hierbei eine Rolle spielen. Sie bilden den Hebel für neue Therapieansätze jenseits der klassischen entzündungshemmenden Behandlung mit Kortison und Interferonen. Denn es gibt tatsächlich Anzeichen dafür, dass der Verlauf der Erkrankung mit Blick auf die Veränderungen, die sich durch den Myelinabbau ergeben, modifiziert werden können. „Es gibt erste Medikamente, die eine Remyelisierung induzieren, und im experimentellen Bereich wird erforscht, wie der Prozess des Axonabbaus gestoppt werden kann. Die klinische Forschung in den letzten fünf Jahren hat neue Therapien hervorgebracht, die – basierend auf mehreren Säulen – entzündlich bedingte Schäden an Myelin und Nervenzellen deutlich reduzieren“, erklärt der Chefarzt.

Das Hauptaugenmerk der klinischen Studien liegt nach wie vor auf einer Reduktion der Schubzahlen bzw. der Verlängerung der schubfreien Zeiten und damit der Minderung der Krankheitslast, die die Multiple Sklerose im Laufe der Zeit auf das zentrale Nervensystem ausübt. Neuere Studien gehen sogar noch einen Schritt weiter und haben als Zielparameter einen Disease-Activity-Free Status definiert. Hierbei soll der Patient möglichst überhaupt keine Krankheitsaktivität mehr aufweisen: also weder Schübe oder eine klinische Nachweisbarkeit der Krankheitsprogression, noch neue oder vergrößerte Läsionen oder mit Gadolinium angereicherte Herde. „Das ist aktuell ein realistisches Ziel, welches wir im Moment mit den zur Verfügung stehenden Mitteln auch quantitativ im MRT abzubilden versuchen“ erläutert Prof. Rieckmann, der als außerordentlicher Professor weiterhin in die Forschung der University of British Columbia involviert ist.

Eine ganz neue Bedeutung für MS-Diagnostik hat die Magnetresonanztomographie mit der Einführung der McDonald-Kriterien angetreten. Erstmals ist für den Krankheitsnachweis eine Disseminierung in Ort und Zeit nicht mehr allein anhand klinischer Symp-tome erforderlich. „Die McDonald Kriterien erlauben es, das zweite Ereignis auch durch MR-Aktivität zu definieren. Wenn bereits zum Zeitpunkt des ersten klinischen Ereignisses außerhalb der Region, die für die klinische Symptomatik verantwortlich ist, eine weitere kontrastmittelaufnehmende Läsion im MRT zu sehen ist, wird dadurch das Kriterium der Disseminierung in Ort und Zeit bestätigt“ so Rieckmann – dann kann die Diagnose einer MS gestellt werden. Hierbei ist es aber von entscheidender Bedeutung, dass die Mitteilung der Diagnose durch den behandelnden Neurologen erfolgt, denn vor Anwendung der McDonald-Kriterien müssen mögliche Differenzialdiagnosen ausgeschlossen worden sein.

Auch für die Verlaufskontrolle und den Nachweis der Effektivität der Therapie wird die MRT immer wichtiger, allerdings hat sie sich – anders als etwa in Frankreich, Skandinavien und Kanada – in Deutschland die MRT zur Verlaufskontrolle des Therapieerfolges noch nicht flächendeckend durchgesetzt.

„Wir nutzen die MRT als sensitiven Marker, um ein optimales Therapieansprechen zu definieren, bzw. ein suboptimales zu detektieren, wenn beispielsweise unterhalb der klinischen Schwelle die Erkrankung weiter fortschreitet. Untersuchungen aus Barcelona zeigen, dass die Veränderungen, die im MRT innerhalb des ersten halbes Jahres unter Therapie sichtbar werden, eine hohe Aussagekraft im Hinblick auf das weitere Therapieansprechen in den nächsten 3-4 Jahren haben. Wenn der Patient in dieser kritischen Phase stabil ist, ist die Wahrscheinlichkeit groß, dass er das auch weiterhin bleibt.“

Die MRT zeigt damit, was bisher klinisch nicht präzise zu erfassen war. Sie erkennt frühzeitig Defekte in Hirnre-gionen, die kaum Symptome hervorrufen, denn es liegt in der Natur des Gehirns, Fehler so zu kompensieren, dass sie klinisch nicht auffällig werden. Doch ist es gerade bei jungen Patienten im Erkrankungsalter zwischen 20-30 Jahren wichtig, diese Kompensationsfähigkeit des Gehirns durch subklinische Herde nicht aufzuzehren. Das A und O einer guten Patientenführung liegt für Rieckmann daher in der Standardisierung der Protokolle. Nur wenn die MRT-Untersuchungen immer in der gleichen Abfolge, mit der gleichen Kippung, den gleichen Schichtabschnitten und mit den gleichen Sequenzen erfolgen, kann die MRT auch als sensitiver Marker zum Therapieverlauf fungieren.

Bei allem Fortschritt, der in der MS-Diagnostik mit der MRT zu verzeichnen ist, liegt ihm aber am Herzen, dass die Neurologen weiterhin die Diagnose stellen: „Wir haben mittlerweile eine leichtere Zugänglichkeit zum MRT als zum Facharzt für Neurologie. Dadurch wird bei Patienten, die z.B. wegen Kopfschmerzen ein MRT erhalten und bei denen sich dann entzündliche Herde finden, immer häufiger ein sogenanntes „radiologisch isoliertes Syndrom (RIS)“ diagnostiziert. Oftmals wird der Patient durch vorschnelle Diagnosen des Radiologen extrem verunsichert.“, so Rieckmann. Er plädiert deshalb weiterhin für eine Arbeitsteilung, wonach der Radiologe die Bilder beschreibt und der Neurologe die Diagnose stellen sollte.


Im Profil:
Prof. Dr. Peter Rieckmann leitet seit 2009 die Neurologische Klinik am Klinikum Bamberg. Nach dem Studium und der Ausbildung zum Facharzt für Neurologie an der Universität Göttingen wurde er Oberarzt an an der Neurologischen Klinik der Julius-Maximilians-Universität Würzburg und war dort kooptierende Leitung der Klinischen Forschung für Multiple Sklerose und Neuroimmunologie. Von 2007-2009 leitete er die MS Klinik und MS Society of Canada an University of British Columbia, Vancouver, Kanada. Prof. Rieckmann ist Preisträger diverser Auszeichnungen und Mitglied in mehreren wissenschaftlichen Beiräten.

17.10.2013

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