Die Entwicklung der Leberbildgebung - die Suche nach dem Heiligen Gral?

Röntgenvorlesung 2012: Prof. Richard Baron, University of Chicago.

Prof. Richard L. Baron
Prof. Richard L. Baron

 

Warum ist die Entwicklung der Leberbildgebung Ihrer Meinung nach wie die Suche nach dem Heiligen Gral?

Richard Baron: Diese Analogie ist mir eines Tages aufgefallen, weil Radiologen, insbesondere, wenn sie die Leber untersuchen, in ihrem Wunsch, Gutes zu tun – denn sie wollen ja immer das Beste für den Patienten – etwas suchen, von dem sie nicht genau wissen, was es eigentlich ist. Ähnlich wie die Ritter im Mittelalter, die auf der Suche nach dem Heiligen Gral waren: Sie wussten nicht, wie der Heilige Gral aussah, sie wussten nicht, wo genau sie nach ihm suchen sollten, und sie wussten nicht einmal, was ihnen der Heilige Gral nützen würde, wenn sie ihn finden.

Mein Vortrag konzentriert sich auf die dramatischen Fortschritte, die die Radiologen in den vergangenen 30 Jahren in ihrem Wunsch, Gutes zu tun, in der Leberbildgebung erzielt haben. Ähnlich wie die Ritter waren die Radiologen etwas zu sehr auf das fixiert, was sie sehen konnten, anstatt zu fragen, was der Patient und der Arzt suchen oder brauchen. Wir suchen nach immer kleineren Tumoren mit dem CT – und wir finden sie auch. Aber wenn das, was wir finden, keinen Einfluss auf das Ergebnis für den Patienten hat, dann haben wir die Frage, wie wir den Patienten helfen können, nicht beantwortet. Wir müssen definieren, wie wir die Behandlung der Patienten positiv beeinflussen können, und wir müssen Informationen und Antworten geben, die den zuweisenden Ärzten und den Patienten wirklich helfen.

Heißt das, es ist nicht so wichtig, die kleinstmöglichen Tumoren zu erkennen?

Richard Baron: Doch, es ist schon wichtig, und die Tatsache, dass wir immer kleinere Tumoren finden, ist natürlich ein Beispiel dafür, wie wir den Patienten in den vergangenen Jahrzehnten geholfen haben. Aber im Laufe des Vortrags werde ich auch einige Beispiele zeigen, bei denen das in der Tat nicht so wichtig war oder bei denen es sogar negative Auswirkungen für den Patienten hatte. Die Fortschritte, die wir in punkto Technologie gemacht haben, sind zweifellos toll, aber das, was uns wirklich voran gebracht hat, war nicht die spezifische Suche nach immer kleineren Tumoren, sondern es war der Prozess der Suche an sich. Kurz: Es ist die Suche selbst, aus der wir am meisten lernen. Nicht das, was man sucht, sondern wie man sucht, wie man das sieht, was man sieht, und welche Auswirkungen das für die Patienten hat.

Wenn Sie sich die Fachliteratur in der Radiologie ansehen, von dem ersten sehr unscharfen CT im Jahr 1978 bis heute, dann haben Sie Tausende von Artikeln und in jedem einzelnen lesen Sie: Wir erkennen 80 Prozent bis 90 Prozent der Lebertumoren. Das haben wir 1978 gesagt. Die Technologie wurde besser und 1988 haben wir immer noch gesagt: Wir erkennen 80 Prozent bis 90 Prozent der Lebertumoren. Die Technologie wurde noch besser, mit Spiral-CT und MRT, und im Jahr 2000 lasen wir es immer noch: Wir erkennen 80 Prozent bis 90 Prozent der Lebertumoren. Es ist Teil des Prozesses, dass wir immer besser lernen zu suchen. Aber offensichtlich haben wir vor 30 Jahren nicht 80 Prozent der Tumoren gesehen, egal, was in den Artikeln behauptet wurde.

Die Forscher meinten es ernst und ehrlich, aber der Prozess des Suchens hat uns so viel gelehrt, und wir haben gelernt, wie wir immer besser suchen können – und wir haben auch gelernt, wie wir unsere Suche optimal bewerten.

Welche Modalität ist heute der Goldstandard in der Leberbildgebung?

Richard Baron: Heute ist das zweifellos die MRT mit den Kontrastmitteln, die wir in den vergangenen 10 bis 15 Jahren entwickelt haben. Sie ermöglichen es uns, Tumoren in einer Art und Weise zu entdecken und zu charakterisieren, wie wir das vor 20 oder 30 Jahren nie gekonnt hätten. MRT ist die beste Modalität.

Es ist wichtig, dass wir immer die beste Technologie suchen, aber die beste Technologie ist auch immer nur ein Teil der Lösung. Fakt ist, dass wir heute so viele falsch-positive Ergebnisse haben, weil wir jetzt all die winzigen Dinge sehen. Und das kann sich negativ auf das Outcome für den Patienten auswirken. Unter Umständen verweigern wir dem Patienten die Behandlung, weil unsere Technologien so viel erkennen. Wir sehen Dinge, die bedeutungslos sind, von denen wir aber annehmen, dass sie wichtig sind.

Was sollen die Radiologen Ihrer Meinung nach tun?

Richard Baron: Wir brauchen Radiologen, die ihre kognitiven Fähigkeiten einsetzen, um aus den klinischen Daten des Patienten, aus der Geschichte des Patienten und aus den aktuellen Bildern ein sinnvolles Ganzes machen. Wir müssen quasi Übersetzer sein, die die Sprache der Bildgebung verstehen, einschließlich der Bedeutungsnuancen, die in den unterschiedlichen klinischen Kontexten entstehen. Und dann müssen wir im Team gemeinsam den Weg festlegen, der für den Patienten zum besten Ergebnis führt. Radiologen müssen Kliniker sein, die die klinische Medizin und die klinischen Befunde verstehen und mit den zuweisenden Ärzten diskutieren können. Ich blicke zurück in die Zukunft: Radiologen müssen praktizierende Ärzte sein. Wir dürfen die wichtige Rolle eines Radiologen, der die klinische Medizin versteht, nicht aus den Augen verlieren.

Welche Modalität verwenden Sie selbst am häufigsten in der Leberbildgebung?

Richard Baron: Wir verwenden am häufigsten eine Kombination aus Ultraschall und CT. Beide Technologien haben in den letzten Jahren enorme Fortschritte gemacht und eignen sich heute hervorragend für mehrphasige Untersuchungen. MRT ist zwar wahrscheinlich die beste Technologie, sie ist aber am teuersten und sie ist nicht überall verfügbar. Wir setzen die MRT als Problemlöser oder in ganz bestimmten Situationen ein. Dennoch stimmt es aber natürlich auch, dass die MRT bei Patienten mit hohem Risiko einer Lebererkrankung zunehmend zur Standardmodalität wird.

Bei Patienten mit Hepatitis zum Beispiel besteht ein erhöhtes Risiko für ein hepatozelluläres Karzinom. Deshalb verwenden wir dort häufig MRT. Da die Prävalenz chronischer Lebererkrankungen hoch ist, setzen wir eher den Ultraschall ein; wenn wir ernstere Probleme erwarten, gehen wir gleich zum MRT.

Verwenden Sie auch PET-CT in der Leberbildgebung?

Richard Baron: Manchmal setzen wir auch PET-CT ein, aber nicht so häufig wie bei anderen Organen. Da die Leber starke inhärente Stoffwechselaktivitäten aufweist, ist die PETCT nicht zur wesentlichen Modalität für die Tumordetektion geworden. Von Zeit zu Zeit verwenden wir die PET-CT für die Charakterisierung, aber was die Leberbildgebung betrifft, so hat die PET-CT die Art und Weise, wie wir die Patienten angehen, nicht beeinflusst.

Wie wichtig ist der interdisziplinäre Ansatz für Sie?

Richard Baron: Das ist so ähnlich wie die Sache mit dem Heiligen Gral: Es sind die Menschen, mit denen wir in unseren Prozessen zusammenarbeiten, die unter Umständen den größten Einfluss auf uns haben – auf das, was wir lernen. Die Menschen sind vielleicht der Schlüssel zum Heiligen Gral. In meiner persönlichen Suche nach dem Heiligen Gral arbeite ich eng mit Hepatologen und Chirurgen zusammen, und sie erklären mir, was sie wissen müssen, um die Behandlung optimal durchführen zu können. Das ist ein ganz anderer Ansatz, als wenn ich sage: „Ich möchte so viele Läsionen wie möglich so gut wie möglich sehen, auch wenn ich gar nicht weiß, was diese Läsionen genau sind, wenn ich sie sehe.“

Meine Kollegen haben mir etwas sehr wichtiges beigebracht: Bei manchen Läsionen ist es wichtig, dass wir sie finden, aber bei manchen ist es auch egal, ob wir sie finden oder nicht. Ohne diese multidisziplinäre Zusammenarbeit funktionieren wir als Radiologen nicht sehr gut, aus den unterschiedlichsten Gründen und nicht nur in dieser einen Frage: Wie diene ich diesem einen Patienten am besten? Ich erkläre meinen klinischen Kollegen, was die Radiologie und die Bildgebung für sie und ihre Patienten tun können, und die Kollegen erklären mir, was sie wissen müssen, um die Patienten optimal zu versorgen. Wenn ich das weiß, dann kann ich auch zur Beantwortung der Frage beitragen, wie hilfreich die Bildgebung für die Behandlung des Patienten ist. Diese Art der Kommunikation ist das A und O – nicht nur für die akute Versorgung der Patienten, sondern für unser lebenslanges Lernen.

 

Veranstaltungshinweis
Saal Röntgen
Fr, 18.05., 10:30 - 12:00 Uhr
The evolution of liver imaging –
Search for the Holy Grail?
Baron R / Chicago
Session: Röntgen-Vorlesung

 

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Im Profil

Prof. Richard L. Baron ist einer der Pioniere der diagnostischen Bildgebung, insbesondere des Abdominalbereichs, der weltweit große Anerkennung genießt. Der Dekan für Klinische Anwendung an der Pritzker School of Medicine in Chicago forscht seit vielen Jahren über die Leberbildgebung und ist eine international geachtete Autorität in der Darstellung chronischer Erkrankungen und Tumoren der Leber.

Der vielfach ausgezeichnete Preisträger ist Mitglied zahlreicher Fachgesellschaften und Mitglied des Direktorenkollegiums der RSNA.

10.05.2012

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