Huntington
Den Boten stummschalten
Die Huntington-Krankheit (HK) ist eine der häufigsten erblich bedingten neurodegenerativen Erkrankungen. In Deutschland rechnet man mit rund 8.000 Erkrankten und weiteren 30.000 Personen, die das veränderte Gen in sich tragen könnten. Eine an die Wurzel gehende Behandlung, die den Krankheitsverlauf wesentlich abmildern könnte, gibt es bisher nicht. In einer neuartigen klinischen Behandlungsstudie, an der sechs Huntington Zentren in drei Ländern auf zwei Kontinenten zusammenarbeiten, wird erstmals das therapeutische Stummschalten eines krankmachenden Gens am Menschen erprobt. Sollte dies wie erhofft funktionieren, wäre das ein Durchbruch in der Behandlung der Huntington-Krankheit und wäre wegweisend für die Behandlung anderer Erbkrankheiten.
Im März 2016 hat am Huntington Zentrum des Universitätsklinikums Ulm eine neue zukunftsweisende Studie zur Behandlung der Huntington-Krankheit begonnen. An einer kleinen, ausgewählten Gruppe von Patienten wird mittels des Wirkstoffs IONIS-HTT-Rx erprobt, ob das krankmachende Huntington-Gen therapeutisch stummgeschaltet und damit der Krankheitsverlauf verlangsamt oder sogar gestoppt werden kann. Weltweit sind noch fünf weitere Zentren in Kanada, Großbritannien und Deutschland an der Studie beteiligt.
Bereits im Jahr 1993 haben Wissenschaftler die Genveränderung entdeckt, die für die Huntington-Krankheit verantwortlich ist: ein fehlerhaft verlängerter Abschnitt der Erbsubstanz DNS auf dem kurzen Arm von Chromosom 4. Normalerweise werden in diesem Bereich die DNS-Bausteine Cytosin-Adenin-Guanin (CAG) zehn bis dreißig Mal wiederholt. Sind es mehr als 35 Wiederholungen ("Stottern"), entwickeln die Betroffenen die Huntington-Krankheit, die mit Bewegungsstörungen, Einschränkungen der Denkfähigkeit und psychischen Veränderungen einhergeht und nach langen Jahren des Leidens zu Pflegebedürftigkeit und zum Tod führt.
Das mutierte Huntington-Gen „stumm“ schalten
Die Informationen, die in einem Gen verschlüsselt sind, werden über genau kontrollierte Zwischenschritte in Eiweiße umgewandelt: Eiweiße ihrerseits führen alle Funktionen unserer Zellen aus. Ein wichtiger Zwischenschritt ist dabei die Entstehung von sogenannter messenger-RNS, die als Bote die Bauanweisung für Eiweiße überbringt. Aufgrund der Veränderungen durch die Huntington-Erkrankung, wird eine „falsche“ Bauanweisung überbracht: Es entsteht ein schadhaftes Eiweiß, das sich falsch faltet, leicht verklumpt und Gehirnzellen schädigt. Auf diesen Boten mit seiner Bauanweisung für das Huntington-Gen hat es das internationale Ärzteteam abgesehen.
Professor G. Bernhard Landwehrmeyer vom Huntington Zentrum des Universitätsklinikums Ulm, der die Studie in Deutschland leitet, erklärt: „Der Wirkstoff IONIS-HTT-Rx führt zu einem vermehrten Abbau der Bauanweisungen für das Huntington-Eiweiß. In Folge wird die Produktion des schädlichen Huntington-Eiweißes gedrosselt und damit die Belastung der Patienten mit den fehlerhaften Huntington-Gen-Produkten gesenkt.“
Dabei wird ein DNS-ähnliches Molekül (Antisense Oligonukleotide – ASO) schonend in die Nervenwasserflüssigkeit der Patienten eingebracht, um die messenger-RNS in Gehirnzellen zu neutralisieren, also den Boten mit dem falschen Bauplan stumm zu schalten. „Wenn alles so funktioniert, wie wir es erwarten, dann wird dieser Wirkstoff die Neubildung des schädlichen Huntington-Proteins nachhaltig hemmen. Ein neuartiger Ansatz, der auf lange Sicht das Potenzial hat, den Krankheitsverlauf zu verlangsamen, zu stoppen oder gar umzukehren“, so PD Dr. Patrick Weydt, der zusammen mit PD Dr. Jan Lewerenz, Dr. Panteha Fathinia sowie den Studienassistentinnen Ariane Schneider, Carolin Geitner und Stefanie Uhl diese Medikamentenprüfung am Huntington Zentrum der Ulmer Universitätsklinik für Neurologie (Ärztlicher Direktor Prof. Dr. Albert C. Ludolph) durchführt. Professor Carsten Saft leitet die Studie am zweiten deutschen Standort, dem Universitätsklinikum der Ruhr-Universität Bochum.
„Eine Aufgabe Universitätsmedizin ist es, Menschen mit seltenen Erkrankungen bessere Therapiemöglichkeiten zu bieten. Die Ulmer Forschung zur Huntington-Erkrankung leistet dazu mit ihrer international anerkannten und vernetzten Forschung und ihrer therapeutischen Erfahrung einen wichtigen Beitrag, der vielen Patienten Hoffnung geben kann“, sagt Prof. Dr. Udo X. Kaisers, der Leitende Ärztliche Direktor des Universitätsklinikums Ulm.
Quelle: Universitätsklinikum Ulm
23.03.2016