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Artikel • Gen-Sequenzierung

Das volle Potenzial in die Kliniken bringen

Bei der Sequenzierung der Erbinformation wurden in den letzten Jahren enorme Fortschritte erzielt. Die Bestimmung der Nukleotid-Abfolge in DNA-Molekülen kann immer schneller und zugleich akkurater durchgeführt werden. Auch ist es mittlerweile möglich, etwa in der Blutprobe eines Infizierten bakterielle DNA von der DNA des Wirtes zu unterscheiden, zu isolieren und anschließend zu sequenzieren. „Wir haben es hier mit einer technologischen Revolution zu tun, aber bei der Implementierung in klinische Einrichtungen hakt es noch”, sagt Prof. Jacob Moran-Gilad, Associate Professor an der Ben-Gurion-Universität des Negev in Israel.

Bericht: Michael Krassnitzer

Auf dem IMED-Kongress in Wien sprachen wir mit dem Experten für Mikrobiologie und öffentliche Gesundheit über die Lücke zwischen den Möglichkeiten, die sich durch neuartige Sequenzierungsverfahren eröffnen, und der klinischen Realität, in der diese Technologien noch nicht praktisch eingesetzt werden – obwohl sie großen nutzen bringen könnten, etwa um Ausbrüche unter Kontrolle zu bekommen.

portrait of jacob moran-gilad
Prof. Jacob Moran-Gilad ist Associate Professor an der Ben-Gurion-Universität des Negev in Israel

“Geld ist nicht das größte Hindernis”, betont Moran-Gilad. Vor wenigen Jahren waren diese innovativen Methoden tatsächlich noch zu kostspielig für den klinischen Gebrauch, aber inzwischen sind die Preise merklich gesunken. Das Problem liegt vielmehr in der eigentlichen Methodik: Es ist zwar sehr einfach geworden, mithilfe der Sequenzierungs-basierten Techniken eine große Menge an Daten zu generieren, aber es mangelt noch an bewährten Methoden zur schnellen und zuverlässigen Analyse der Daten, damit daraus klinisch verwertbare Informationen werden. Viele vielversprechende Assays sind noch nicht validiert, zählt Moran-Gilad einen Grund auf. Die mangende Korrelation zwischen genetischen Befunden und dem Phänotyp ist ein weiterer. Limitation gibt es besonders im Bereich der Metagenomik. Qualitativ hochwertige Proben genetischen Materials aus der Umgebung sind rar – umso wichtiger sind validierte Methoden zur Bewertung. "Wir sollten mehr in Qualitätskontrolle, Training und Standardisierung der Methoden investieren, um den Weg für die Integration dieser Technologien zu ebnen", so Moran-Gilad.

Ein Feld, auf dem new generation sequencing methods großen Nutzen entfalten können, sind die emerging diseases. Sie liefern wichtige Informationen über Infektionskrankheiten, die neu auftauchen bzw. erstmals in Gebieten auftreten, in denen sie bislang nicht vorkamen. Im Fall einer bakteriellen Information kann zuerst ein Isolat des Erregers oder dessen Erbinformation aus einer Blutprobe eines Infizierten gewonnen werden. Dazu kommen – je nach möglichem Übertragungsweg – Nahrungsmittel- oder (Trink-)Wasserproben, die ebenfalls auf Spuren des Erregers untersucht werden. Dann werden die mikrobiologischen Erkenntnisse mit den epidemiologischen Fakten verglichen: „Wir wollen die Geschichte hinter der Erkrankung verstehen: Woher kam die Infektion? Wer hat wen infiziert?“, erklärt Moran-Gilad.

Meiner Meinung nach verstehen nur wenige Klinikverwalter die Revolution, die sich gerade in der Diagnostik abspielt. Manche scheinen der Ansicht zu sein, dass Mikrobiologen nur spannendes neues Spielzeug wollen

Jacob Moran-Gilad

Bei einem lokalen Ausbruch stehen die Chancen gut, dass das regionale Klinikum damit fertig wird. Handelt es sich um einen regionalen oder sogar nationalen Ausbruch, wird üblicherweise ein sogenanntes Referenzlabor eingeschaltet. Ein derartiges Referenzlabor – meist von der öffentlichen Hand betrieben – ist automatisch für die Diagnostik bei im vornherein festgelegten Infektionen zuständig. Nationale Referenzlabore kooperieren auf internationaler Ebene miteinander: Sie unterhalten Surveillance-Netzwerke, in denen Daten aus verschiedenen Ländern oder Regionen gesammelt werden. Das European Centre for Disease Prevention and Control (ECDC) betreibt mehrere verschiedene solcher Netze. Das nach Ansicht von Moran-Gilad erfolgreichste von ihnen ist das ECDC-Netzwerk zur Überwachung der Legionellose (ELDSNet). Legionellen vermehren sich vor allem in komplexen Wassernetzen von Großgebäuden, wozu auch Krankenhäuser sowie Pflege- und Altersheime gehören.

Hier schließt sich der Kreis: „Meiner Meinung nach verstehen nur wenige Klinikverwalter die Revolution, die sich gerade in der Diagnostik abspielt. Manche scheinen der Ansicht zu sein, dass Mikrobiologen nur spannendes neues Spielzeug wollen", sagt Moran-Gilad. Tatsächlich führen die neuen Sequenzierungsmethoden aber nicht nur zu mehr Patientensicherheit, sondern machen sich auch wirtschaftlich bezahlt. Als Beispiel nennt der Mikrobiologe zwei Infektionen durch den gleichen Organismus innerhalb einer Station. "Oft besteht zwischen solchen Fällen keine Verbindung", sagt Moran-Gilad. "Doch das muss man schnell beweisen. Wenn eine Verbindung nicht ausgeschlossen werden kann, muss die ganze Station stillgelegt werden." Das ist für Krankenhäuser, die durch die regulären Abläufe auf dieser Station ihr Einkommen steigern, natürlich ein erhebliches Verlustgeschäft


Profil:

Professor Jacob Moran-Gilad, MD, MPH, ist Associate Professor für klinische Mikrobiologie in der Abteilung für Gesundheitssystem-Management, an der Ben-Gurion Universität des Negev in Be’er Sheva (Israel). Er ist zudem Senior Advisor für Mikrobiologie in der öffentlichen Gesundheitspflege, im israelischen Gesundheitsministrium und Vorstandsmitglied der ESCMID-Studiengruppe für genomische und molekulare Diagnostik (ESGMD).

18.06.2019

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