Artikel • Multiple Sklerose

Das Rückenmark als Schlüssel zur MS-Diagnostik

Bei der Multiplen Sklerose (MS) führt eine Entzündung im Zentralnervensystem zur Bildung von Narben. Wenn mehrere vernarbte Stellen größere Herde bilden, spricht man von Plaques. Jahrelang wurde davon ausgegangen, dass sich diese Veränderungen auf die weiße Gehirnsubstanz beschränken. Doch diese Sichtweise geriet in jüngster Zeit ins Wanken:

Quelle: M. Thurnher

„Es ist mehr als klar, dass Multiple Sklerose eine diffuse Erkrankung des Zentralnervensystems ist und die Schädigung viel weitgreifender ist als ursprünglich gedacht“, bekräftigte Univ.-Prof. Dr. Majda M. Thurnher von der Klinischen Abteilung für Neuroradiologie und Muskuloskeletale Radiologie der Medizinischen Universität Wien.

portrait of madja thurnher
Univ.-Prof. Dr. Majda M. Thurnher

Der zunehmende Einsatz von Magnetresonanztomographie (MRT) mit hoher Feldstärke (drei Tesla und mehr) hat dazu geführt, dass die von der schubförmig verlaufenden Erkrankung verursachten Läsionen auch an anderen Stellen des zentralen Nervensystems gefunden wurden. Die Plaques lassen sich auch in der grauen Hirnsubstanz nachweisen. Besonders schwierig zu entdecken sind die juxtakortikalen Plaques, also Ablagerungen an der Grenze zwischen weißer und grauer Substanz.

Plaques entstehen bei MS aber auch im Rückenmark. „In pathologischen Studien weisen 90 Prozent aller MS-Patienten fokale Läsionen im Rückenmark auf “, weiß Thurnher: „30 Prozent der Patienten haben sogar eine isolierte, rein spinale Multiple Sklerose.“ Die Plaques im Rückenmark sind auch deshalb von großer Bedeutung, weil sie eine eindeutige Diagnose der Erkrankung zulassen.

Wenn nicht klar ist, ob eine Läsion im Gehirn auf MS oder eine Ischämie zurückzuführen ist, muss man einen Blick auf das Rückenmark werfen

Frederik Barkhof

„Fünf bis zehn Prozent der unter 50-Jährigen haben Läsionen in der weißen Gehirnsubstanz“, unterstreicht Prof. Dr. Frederik Barkhof, Professor für Neuroradiologie am Vrije University Medical Centre in Amsterdam (Niederlande). Doch diese haben meist eine andere Ursache, nämlich ein Ischämie in Folge von Diabetes, Bluthochdruck oder schlicht und einfach des Alterns. Diese Läsionen freilich kommen nur in der weißen Substanz, nicht im Rückenmark vor. „Wenn nicht klar ist, ob eine Läsion im Gehirn auf MS oder eine Ischämie zurückzuführen ist, muss man einen Blick auf das Rückenmark werfen“, betont Barkhof. Das funktioniert bereits mit Drei-Tesla-MRT-Geräten, als Methode der Wahl empfiehlt er T2- und Protonendichtegewichtete Aufnahmen.

MRT ist jedoch nicht nur für die Erstdiagnose, sondern auch für das Therapiemonitoring von entscheidender Bedeutung. „Insbesondere bei neuen Therapien besteht ein eindeutiger Bedarf nach Monitoring“, sagt Thurnher. Bestes Beispiel dafür ist der Arzneistoff Natalizumab, der die Entzündungen signifikant verringert, die Anzahl der Schübe reduziert und eine Progression der Krankheit verhindert. Leider aber kam es bei 242 von bisher rund 96.000 mit dem Wirkstoff behandelten Patienten zum Ausbruch der progressiven multifokalen Leukoenzephalopathie (PML).

MRT-Untersuchung des Gehirns eines 25-jährigen Patienten mit klinisch verifizierten multiplen Sklerose (MS):

Dabei handelt es sich um eine schwerwiegende, potentiell tödliche Virusinfektion, die häufig bei immunsupprimierten Patienten auftritt. 80 Prozent aller Erwachsenen sind mit dem auslösenden JC-Polyomavirus infiziert, der jedoch normalerweise in mehreren Organen schlummert, ohne eine manifeste Infektion zu verursachen. Die Symptome einer PML ähneln einem MS-Schub, auf klinischen Weg sind beide Erkrankungen kaum voneinander zu unterscheiden. „Mittels MRT lassen sich PML-Läsionen von fokalen MS-Läsionen unterscheiden, so dass eine etwaige PML so früh wie möglich diagnostiziert werden kann“, betont die österreichische Neuroradiologin.

Die Magnetresonanztomographie erlaubt aber auch eine frühere Diagnose von MS selbst. „MRT ermöglicht es, sowohl die räumliche als auch die zeitliche Dissemination der Entzündungsherde in Gehirn und Rückenmark nachzuweisen“, erklärt Barkhof. Nach der 2010 erfolgten Revision der McDonald-Kriterien – die aktuellen Kriterien zur Diagnose von MS – gelinge der Nachweis einer zeitlichen Dissemination mittels MRT mittlerweile mit einem einmaligen Scan, freut sich der niederländische Neuroradiologe. „Die Diagnose von MS ist dadurch leichter geworden.“

31.05.2013

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