Das i-Tüpfelchen einer radiologischen Vita
Verleihung der Grashey-Medaille an Prof. Dr. Maximilian Reiser
Ein berufliches Leben in der Radiologie ist oft facetten- und ereignisreich, von reich an Arbeit ganz zu schweigen – entsprechend ausgefüllt liest sich auch der Lebenslauf: Betrachtet man sich das Curriculum Vitae von Prof. Dr. Maximilian Reiser, Direktor des Instituts für Klinische Radiologie am Klinikum der Universität München und Dekan der Medizinischen Fakultät der Ludwig-Maximilians-Universität (LMU), erhält man einen Einblick, welche Posten, Positionen und persönlichen Auszeichnungen das Fach Radiologie zu bieten hat. Im Rahmen des diesjährigen Österreichisch-Bayerischen Röntgenkongresses erhält diese Vita nun mit der Verleihung der Grashey-Medaille noch ihr i-Tüpfelchen.
Alles richtig gemacht, oder etwa nicht? Diese Frage richtete radiologia bavarica an Prof. Reiser und erhielt
als Antwort einen nachdenklichen und zufriedenen Einblick in eine radiologische Karriere.
radiologia bavarica: Herr Prof. Reiser, gibt es aus Ihrer Sicht etwas, das Sie in Ihrer beruflichen Karriere versäumt haben?
Prof. Reiser: Um ganz offen zu sein, gibt es tatsächlich eine Sache, die ich rückblickend betrachtet eher hätte forcieren sollen, ja müssen: die Grundlagenforschung in der Radiologie. Wir – wie die gesamte deutsche radiologische Szene – hätten uns diesem Thema einfach eher widmen müssen, um in Bezug auf die Molekularmedizin besser gerüstet zu sein. In den USA beispielsweise hat man diesen Trend früher erkannt und mittlerweile große Labore aufgebaut. Während meiner Gastprofessur in Stanford hat mich die Arbeit meines Freundes Prof. Gary Glaser beispielsweise enorm beeindruckt, der dort schon sehr früh ein Zentrum für molekulare Bildgebung aufgebaut hat.
Was mich während dieser Zeit und auch bei weiteren Aufenthalten in den USA ebenfalls sehr beeindruckte, war die Kontinuität der Wissensvermittlung. Dass also emeritierte Professoren aktiv in die Ausbildung der Residents und auch der Studenten eingebunden sind. Denn das Wissen und vor allem der Erfahrungsschatz dieser Menschen sind von unermesslichem Wert, auch für künftige Forschungen und Entwicklungen – ein Trend, der bei uns seit Kurzem ebenfalls erkannt wird und dem man mit der sogenannten Seniorprofessur Rechnung trägt. Das ist begrüßenswert, sollte aber bitte nicht als Plädoyer für meine eigene Zukunft verstanden werden …
rb: … was für die Radiologie sicherlich bedauerlich ist. Welche Tipps würden Sie Ihren jungen oder angehenden Kollegen denn mit auf den Weg geben wollen?
Prof. Reiser: Die Radiologie ist für viele junge Mediziner mittlerweile ein sehr attraktives Fachgebiet. Die Bedeutung der diagnostischen Bildgebung und der minimalinvasiven bildgesteuerten Eingriffe – also der interventionellen Radiologie – nimmt laufend zu und infolgedessen steigt auch der Bedarf an gut ausgebildeten
Radiologen. Das gilt nicht nur für Deutschland und Europa, sondern weltweit. Damit ergeben sich für unsere jungen Kollegen exzellente Karrierechancen, was nur zu begrüßen ist. Die Kehrseite der Medaille – eine vielleicht
etwas altmodische Sicht – ist jedoch, dass diese jungen Radiologen kaum Gelegenheit haben, „richtig ausreifen zu können“. Die Radiologie ist ein zutiefst klinisches Fach, das zu einem wesentlichen Teil auf Erfahrungen beruht, die man nur mit der Zeit erwerben kann. Meine Empfehlung lautet darum, sich mit der Ausbildung Zeit zu lassen und sich nicht zu schnell aus einem Klinikverbund zu lösen. Ich kann die jungen Kollegen auch nur ermutigen, die vielfältigen Chancen zu nutzen, um Auslandserfahrung zu erwerben.
rb: Gesetzt den Fall, Sie wählen heute Ihr medizinisches Fach, würden Sie sich wieder für die Radiologie entscheiden?
Prof. Reiser: Mein Herz hängt sehr an den operativen Fächern. Darum würde meine Wahl vielleicht auf die Chirurgie oder die Urologie fallen. Allerdings wird dieses Bedürfnis ,„manuell“ und direkt am Patienten tätig zu sein, auch gut durch die interventionelle Radiologie erfüllt. Insgesamt bin ich tatsächlich mit meiner beruflichen Laufbahn sehr zufrieden. Ich betrachte es als großes Glück, dass ich herausragende radiologische Lehrer und Mentoren hatte – insbesondere die Professoren Anacker, Peters, Breit, Gerhardt und Lissner. Über die Jahre und inzwischen Jahrzehnte hatte ich viele ungemein begabte, einsatzfreudige und innovative Assistenz- und Oberärzte und ich hoffe, dass ich etwas von dem zurückgeben kann, was mir zuteilwurde. Mir wird immer deutlicher, dass ich ein ungewöhnliches Privileg genieße, indem ich mit wunderbaren jungen Ärzten und Wissenschaftlern zusammenarbeiten darf!
rb: Aus dieser Perspektive müsste Ihnen Ihre Arbeit als Dekan ebenfalls sehr am Herzen liegen.
Prof. Reiser: Das ist auch so. Ich empfinde diese Tätigkeit zwar als sehr fordernd, aber gleichzeitig als stimulierend und aufregend. Die Universitäten befinden sich in einem intensiven Wettstreit und es kommt für jede Universität und jede Fakultät darauf an, die bestmögliche Ausbildung für die Studierenden anzubieten und die wissenschaftliche Exzellenz auf internationalem Niveau auszubauen.
Ein wesentliches Element ist dabei die Berufung und die Bindung herausragender Wissenschaftler und Ärzte. Das vermittelt auch faszinierende Einblicke in andere medizinische Disziplinen und darin, wie eine Universität und wie Wissenschaft „tickt“. Das spielt sich in einem globalen Umfeld ab und der Austausch und Kontakt mit Kollegen aus vielen Ländern der Erde hat mich schon lange begeistert.
rb: Angesichts Ihrer zahlreichen und bedeutenden nationalen und internationalen Aufgaben und Ehrungen stellt sich uns die Frage, was Ihnen die Verleihung der Grashey-Medaille bedeutet?
Prof. Reiser: Sehr viel! Der von Rudolf Grashey begründete „Atlas typischer Röntgenbilder vom normalen Menschen“ gehörte zu Beginn meiner radiologischen Weiterbildung zur selbstverständlichen Pflichtlektüre und war schon damals ein unverzichtbares Nachschlagewerk. Wie Grashey bin ich ein echter Bayer und es hat mich wie ihn im Laufe meiner akademischen Wanderjahre ins Rheinland verschlagen. Auf dem Bayerischen Röntgenkongress habe ich meine ersten Vorträge gehalten. Die Unterstützung und Ermutigung, die ich dabei erfahren habe, waren für mich sehr wichtig und haben mich ermutigt, meinen akademischen Weg fortzusetzen. Insofern möchte ich die Verleihung der Grashey-Medaille wirklich als das „i-Tüpfelchen“ meiner radiologischen Vita bezeichnen, wofür ich der Bayerischen Röntgengesellschaft besonders danken möchte.
rb: Vielen Dank für das Gespräch!
06.10.2010