Artikel • Differentialdiagnose, MRT und Histologie
Das Geheimnis der Speicheldrüsentumoren
Die Diagnostik von Speicheldrüsentumoren gilt unter Radiologen allgemein als sehr kompliziert. Für Prof. Dr. Michael Lell stellt gerade das eine spannende Herausforderung dar. Es ist die Fülle an Speicheldrüsentumoren, die den Chefarzt für Radiologie und Nuklearmedizin an der Paracelsus Medizinischen Privatuniversität in Nürnberg fasziniert. 22 gut- und 11 bösartige Tumorarten gibt es. „Verwirrenderweise sehen diese fast alle gleich aus“, weiß Lell. Eine standardisierte Untersuchungstechnik ist daher der Schlüssel zum Erfolg.
Bericht: Sonja Buske
Grundsätzlich können alle Speicheldrüsen befallen sein. Es gibt allerdings eine Faustregel: „Je kleiner die Drüse, umso größer ist die Wahrscheinlich eines bösartigen Tumors“, weiß Lell. So sind Tumoren in der vergleichsweise großen Ohrspeicheldrüse zu 80 Prozent gutartig, während sie in der kleineren Unterzungenspeicheldrüse oder in den Speicheldrüsen der Mundschleimhaut zu 80 Prozent bösartig sind. „Zudem lässt sich festhalten, dass die Wahrscheinlichkeit für einen bösartigen Tumor mit dem Grad der Zelldichte wächst.“ Die Ausnahme dieser Regel stellt der Warthin-Tumor (Zystadenolymphom) dar: Diese tumorartige Läsion manifestiert sich nahezu ausschließlich im Bereich der Ohrspeicheldrüse. „Die Zellen bei diesem gutartigen Tumor sind allerdings ebenfalls sehr dicht gepackt, so dass man als Radiologe schnell vermutet, dass es sich um einen bösartigen Tumor handelt“, erklärt Lell. „Für den Pathologen hingegen ist der Warthin-Tumor einfach zu diagnostizieren, weil das Zellbild so eindeutig ist. Beim pleomorphen Adenom, dem häufigsten Speicheldrüsentumor stimmt dagegen die Regel, die ADC-Werte sind hier typischerweise hoch. Dieser eigentlich gutartige Tumor kann in Einzelfällen bösartig entarten, die Rate der Entartung liegt bei gut 1% in den ersten 5 Jahren und bei knapp 10% nach 15 Jahren. Die entarteten Anteile weisen dann auch wieder eine erhöhte Zelldichte auf.“
MRT ist das Mittel der Wahl
An diesem Beispiel wird deutlich, wie wichtig das richtige diagnostische Verfahren ist: „Die Ultraschalluntersuchung, die meistens beim niedergelassenen Mund-Kiefer-Gesichtschirurgen (MKG) oder beim Hals-Nasen-Ohren-Arzt (HNO) durchgeführt wird, ist schon sehr gut, hier können zuverlässig solide von zystischen Läsionen unterschieden werden. Aufgrund der zahlenmäßigen Dominanz der pleomorphen Adenome liegt die Treffsicherheit bei gut 80 Prozent“, erklärt der Radiologe. „Wird diese Methode mit einer Feinnadelpunktion kombiniert, steigt sie auf 90 Prozent. Mit der multiparametrischen MRT können Treffsicherheit und positiver Vorhersagewert von über 90 Prozent erzielt werden. Wir erreichen also mit einem nicht invasiven Verfahren das gleiche Ergebnis wie mit invasiven.“ Aus Gründen des Strahlenschutzes und auch der verbesserten Gewebedifferenzierung zieht Lell die MRT der CT in jedem Fall vor. Für ihn ist sie das Mittel der Wahl.
Nicht immer ist auf den ersten Blick erkennbar, ob es sich um einen Tumor, eine Zyste oder um vergrößerte Lymphknoten handelt. Auch Tumore der Haut können in die Speicheldrüsen metastasieren. Deshalb ist die Differentialdiagnose von zentraler Bedeutung. Bei den gutartigen Tumoren spürt der Patient zunächst meist nur ein derbes, gut verschiebbares, nicht schmerzhaftes Knötchen, das mit der Zeit größer wird. „Bösartige Tumoren neigen hingegen dazu, den Gesichtsnerv zu befallen. Diese Patienten fallen mit einer Fazialisparese auf, was einen eindeutigen Befund erleichtert“, weiß Lell.
In den meisten Fällen werden diese Tumoren operativ entfernt. Lediglich bei Zysten oder gutartigen Tumoren wie dem Warthin-Tumor könne man darüber nachdenken, diese zu beobachten, statt zu entfernen. Interventionelle Verfahren kommen nur im Rahmen von Studien zum Einsatz und auch nur bei fortgeschrittenen Tumoren. „Wir haben dazu keine gute Datenlage und ich sehe auch nicht, dass sich das in nächster Zukunft ändern wird“, ist Lell überzeugt. „Die Aussichten moderner medikamentöser Ansätze scheinen aktuell erfolgsversprechender.“
Rat für junge Radiologen
Wir erleben oft, dass Untersuchungen zeitoptimiert durchgeführt und schnelle Sequenzen verwendet werden. Diese reichen in der Feindiagnostik der Tumoren aber nicht aus, so dass die Untersuchung im Zweifel wiederholt werden muss
Michael Lell
Radiologen, die am Anfang ihrer Karriere stehen, empfiehlt Lell, ausreichend Zeit bei der Untersuchung zu investieren und ein festes Untersuchungsprotokoll anzuwenden. „Mit stabilen Sequenzen und standardisierten Techniken bekommt man immer wieder die gleichen Ergebnisse und wird in der Folge immer sicherer und besser“, weiß der Experte. „Wir erleben oft, dass Untersuchungen zeitoptimiert durchgeführt und schnelle Sequenzen verwendet werden. Diese reichen in der Feindiagnostik der Tumoren aber nicht aus, so dass die Untersuchung im Zweifel wiederholt werden muss.“ Das Wichtigste ist für ihn, dass der Radiologie nach der Untersuchung den histologischen Befund bekommt. „Nur durch die histologische Bestätigung der Verdachtsdiagnose kann wirklich Expertise aufgebaut werden.“
Profil:
Prof. Dr. Michael Lell ist Chefarzt für Radiologie und Nuklearmedizin und Lehrstuhlinhaber für Radiologie der Paracelsus Medizinischen Privatuniversität in Nürnberg. Der gebürtige Landshuter hat in Regensburg und München Medizin studiert und im Anschluss als Assistenz- und zuletzt als leitender Oberarzt am Radiologischen Institut des Universitätsklinikums Erlangen gearbeitet. Schwerpunkte seiner Forschungsaktivitäten sind die onkologische Bildgebung, Intervention, Strahlenschutz in der Radiologie sowie die kardiovaskuläre Bildgebung.
01.03.2021