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COVID-19: Herausforderungen für Tracing-Apps

Wissenschaftler haben gerade die Wichtigkeit einer Tracing-App zur Bekämpfung der COVID-Pandemie bestätigt. Politiker loten aus, welche Architektur besser mit dem Schutz der Privatsphäre vereinbar ist. Eines ist gewiss: Nur wenn diese in westlichen Ländern auf Freiwilligkeit beruhende App das Vertrauen der Bevölkerung genießt, wird sie den erhofften Erfolg haben.

Bericht: Cornelia Wels-Maug

Covid-19, Mobile map tracker, Smartphone map application and track corona virus pinpoint on screen

Bildquelle: Shutterstock/PST Vector

Mit dem Auftritt des Corona Virus auf der Weltbühne, stehen schlagartig auch digitale Technologien zur Verbesserung der Gesundheitsversorgung sowie zum Eindämmen der Pandemie im Rampenlicht. Viele Länder haben mit einem mehr oder weniger strikten Lockdown des öffentlichen Lebens auf die Pandemie reagiert, um deren Ausbreitung einzudämmen. Mit sinkenden Infektionszahlen werden diese nun allmählich gelockert. Um aber ein erneutes Hochschnellen der Infektionsrate zu vermeiden, setzen viele Regierungen eine sogenannte Corona-Tracing-App ein, um Infektionsketten frühzeitig unterbrechen zu können. Die gerade im Lancet erschienene Studie „Investigation of a COVID-19 outbreak in Germany resulting from a single travel-associated primary case: a case series” zur Ausbreitung der Pandemie in Deutschland bestätigt, wie wichtig eine solche Tracing-App ist 

So funktioniert eine Tracing-App

Das Grundprinzip einer solchen App basiert auf dem Austausch von individuellen Identifikationsnummern bei einem Zusammentreffen von Personen, sofern ein bestimmter Abstand unterschritten und ein definierter Zeitraum überschritten wurde. Dabei dient die Signalstärke von Bluetooth dazu, die Entfernung einzuschätzen. Die App stellt jedem Nutzer einen sogenannten Tagesschlüssel aus, auf dessen Basis wiederum mehrmals pro Stunde ein Kurzschlüssel generiert wird. Sollte eine der Personen positiv auf SARS-CoV-2 testen, muss sie das in die App eingeben. Alle Smartphones rufen regelmäßig eine Liste der anonymisierten Identifikationsnummern der Erkrankten ab, um zu erkennen, ob der Nutzer selbst in Kontakt mit einer nachweislich infizierten Person gekommen ist. Die Betroffenen, deren Identität nicht preisgegeben wird, sollen sich dann auf SARS-CoV-2 testen lassen und freiwillig in Quarantäne begeben.

Fachleute sagen, dass eine Corona Tracing-App aber erst dann effektiv ist, wenn mindestens 60 Prozent der Bevölkerung sie nutzen. Dies wirft die Frage auf, ob sie verpflichtend oder auf freiwilliger Basis eingeführt werden sollte. Je nach gesellschaftlichen Wertevorstellungen fallen hier die Antworten unterschiedlich aus. Befragungen in Deutschland ergaben, dass circa 50 bis 70 Prozent bereit seien, eine Tracing-App zu installieren – sofern deren Privatsphäre geschützt bleibt.

Zentrale versus dezentrale Datenspeicherung?

Hier streiten sich die Geister. In Deutschland hat die Regierung schon eine Kehrtwende von einer zentralen zu einer dezentralen Datenspeicherung vollzogen, in Großbritannien könnte dies auch geschehen. Bei dem zentralen Speicheransatz wird auf einem Server nachverfolgt, wer mit einem Infizierten in Kontakt gekommen ist, wohingegen dies bei dem dezentralen Ansatz auf den individuellen Smartphones geschieht.

Das europäische Pan-European-Privacy-Preserving Proximity Tracing Konsortium (PEPP-PT) propagiert ein zentrales Softwarekonzept, das wiederum in den jeweiligen nationalen Tracing-Apps umgesetzt werden soll. Der dezentrale Ansatz wird insbesondere von Apple und Google unterstützt. Gemeinsam wollen sie die Grundlage für eine Tracing-App auf Systemebene schaffen, um den Datenaustausch zwischen ihren Systemen und dadurch der breiten Masse an Mobiltelefonen zu ermöglichen. Sie setzen auf Open Source und Anonymität. Die Firmen ließen verlauten, dass sie ihre Smartphone Programmierschnittstellen für die Corona-Tracing-Apps nur für jeweils eine Anwendung pro Land zur Verfügung stellen wollen, um dadurch zu einer Homogenität der App-Landschaft beizutragen. Sollte aber ein Land verschiedene Apps für einzelne Regionen aufzusetzen wollen, sei man auch dazu bereit. An der Entwicklung der App selbst sind die beiden Firmen nicht beteiligt, dies übernehmen Entwickler in den jeweiligen Ländern, wohl aber wird sie über App-Stores zum Download bereitgestellt. Es wird keine zentrale Datenbank, die die Identifikationsnummern der Mobiltelefone speichert, geben; die meisten Daten liegen nur lokal auf den Geräten der Nutzer.

Für eine zentrale Datenspeicherung haben sich unter anderem Großbritannien, Frankreich und Norwegen entschieden, wohingegen Deutschland, Italien, die Schweiz und Österreich einem dezentralen Ansatz folgen.

Ländervergleich

Südkorea, Taiwan, Hongkong, Thailand, Vietnam und Singapur sind eindeutige Beispiele für Länder, die nicht an Ressourcen und Technologie sparen, um eine rigorose Ermittlung von Kontaktpersonen durchzuführen

Annelies Wilder-Smith

In China ist die Tracing-App ein Muss

Gleichzeitig mit der Aufhebung des Lockdowns in Wuhan im April wurde eine verpflichtende COVID-Tracking-App eingeführt, die an die Identifikation des Benutzers gebunden ist und zentral auf Daten zugreift. Sie ist sowohl in die populäre Nachrichten-App WeChat und das weitverbreitete Onlinebezahlsystem AliPay integriert. Die App bedient sich unter anderem der Augmented Reality und der Fähigkeit, QR-Codes zu scannen und verlangt vom Nutzer die Beantwortung von Fragen bezüglich seines Gesundheitszustandes. Zudem greift die App auf andere Informationen wie zum Beispiel unlängst angetretene Reisen, Angaben zum sozialen Umfeld und Krankenunterlagen zu. Nach Verarbeitung dieser Informationen wird dem Nutzer mittels eines Farbcodes mitgeteilt, ob ihm Zugang zu bestimmten Orten gewährt (Grün) beziehungsweise verweigert wird (Gelb bzw. Rot bedeuten einwöchigen bzw. zweiwöchigen Hausarrest). Für das Betreten von öffentlichen Verkehrsmitteln und Einkaufszentren bedarf es eines grünen Codes.

Deutschland, Italien und Großbritannien bauen auf Freiwilligkeit

Die Bundesregierung hat Ende April die Deutsche Telekom und SAP mit der Entwicklung einer auf dezentraler Datenspeicherung beruhenden Tracing-App betraut. Am 13. Mai wurde ein erstes Konzept für die App auf der Plattform Github veröffentlicht und in Aussicht gestellt, dass ihr Download ab Mitte Juni möglich sei. Die deutsche 'Corona-Warn-App' wurde am 16. Juni gestartet; bislang wurde sie 15,8 Millionen Mal heruntergeladen. Die Nutzung der App erfolgt freiwillig.

"Immuni" ist die italienische Version einer App zur Kontaktverfolgung, deren Nutzung auf Freiwilligkeit beruht. Sie wurde von dem Unternehmen Bending Spoons S.p.a. entwickelt. Nutzer sollen die Kontrolle über ihre Daten behalten. Erst wenn eine Person positiv auf SARS-CoV-2 getestet wurde, sendet sie ihre Daten an einen Server. Über Bluetooth werden dann alle seine zurückliegenden Kontakte ermittelt, die dann gewarnt werden. Bending Spoons gibt an, dass die App, deren Einführung nun auf Ende Mai verschoben wurde, den europäischen Datenschutzbestimmungen entspricht. Die Firma hat der italienischen Regierung die Nutzungsrechte und künftige Aktualisierungen kostenlos überlassen.

Großbritannien fährt zweispurig

Ursprünglich hat sich die britische Regierung für eine Tracing-App mit zentraler Datenspeicherung entschieden, bei der Nutzer ihre Daten auf einen zentralen Regierungsserver hochladen, wenn sie Corona Symptome entwickeln. Diese App ist nun bereits als Testversion in den App-Stores erhältlich und wird seit dem 5. Mai auf der Isle of Wight erprobt. Sofern die Erfahrungen mit der App zufriedenstellend sind, soll sie dann im Rest von Großbritannien verfügbar gemacht werden. Allerdings herrscht Skepsis darüber, was mit den Daten nach der Pandemie geschieht. Matthew Gould, CEO des NHSX – des digitalen Innovationsarms des englischen Gesundheitssystems NHS – erklärt, dass die Daten nur vom NHS und für potenzielle Forschungszwecke verwendet würden, sofern die Zustimmung dafür erteilt wurde, und nicht länger als 28 Tage gespeichert würden.

In der Zwischenzeit jedoch, führten technische und ethische Bedenken innerhalb der Regierung dazu, dass nun parallel auch eine zweite, auf einer dezentralen Architektur aufbauende, App entwickelt wird, sofern sich der zentrale Ansatz als nicht tragfähig erweist. Apple und Google gaben an, dass sie die erste Version dieser App bereits Mitte Mai bereitstellen werden.

Anlässlich der Veröffentlichung des Artikels im Lancet meldete sich auch Professor Annelies Wilder-Smith, London School of Hygiene & Tropical Medicine, zu Wort, um die Bedeutung der Tracing-Apps zu unterstreichen: „Alle Länder, die eine rigorose Kontaktverfolgung eingeführt haben, waren am effektivsten darin, die Zahl der Neuinfizierten klein zu halten. Südkorea, Taiwan, Hongkong, Thailand, Vietnam und Singapur sind eindeutige Beispiele für Länder, die nicht an Ressourcen und Technologie sparen, um eine rigorose Ermittlung von Kontaktpersonen durchzuführen.“ So bleibt zu hoffen, dass auch die App bald einsetzbar ist und auch deren internationale Interoperabilität gewährleistet ist, wenn die Grenzen wieder geöffnet werden.

21.07.2020

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