Artikel • Intervention & Ausbildung

Moderne Technik ist nur die halbe Miete

Prof. Dr. Ralph Kickuth, Interventioneller Radiologe am Universitätsklinikum Würzburg, spricht über die wichtigsten Neuerungen in Behandlung und Ausbildung sowie die drängendsten Baustellen in seinem Fachgebiet.

Bericht: Wolfgang Behrends

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Prof. Dr. Ralph Kickuth ist Interventioneller Radiologe am Universitätsklinikum Würzburg.

TASC-C- und D-Läsionen, insbesondere Okklusionen ab 15 Zentimetern Länge, zählen nach wie vor zu den größten Hürden. Zwar gibt es bezüglich der gefäßeröffnenden Verfahren mittlerweile eine bessere Datenlage, die einen guten Überblick über die Effektivität der Behandlungen bietet. „Diese Läsionen stellen uns aber immer noch vor große Herausforderungen, denn je länger sie sind, desto schwieriger ist es, sie längerfristig offen zu halten“, erklärt Kickuth. Besserung versprechen mit Medikamenten beschichtete Ballonkatheter, da sie einen Wirkstoff abgeben, der überschüssiges Gewebewachstum an der Gefäßintima unterdrückt, wobei Gefäße damit über mehrere Monate und sogar Jahre offengehalten werden können. Allerdings stoßen auch diese Spezialballonkatheter bei kalzifizierten Läsionen – Stenosen und vollständige Verschlüsse – an ihre Grenzen.

Stents und VMI werden vor allem in Bail-Out-Situationen eingesetzt

Ralph Kickuth

Auch Läsionen in Beugesegmenten der Arteria poplitea sind schwierig zu behandeln, weil die Gefäße durch Einwirkung exzessiver mechanischer Kräfte wie Torsion, Flexion, longitudinale Extension und Kompression besonderer Belastung ausgesetzt sind. „Zudem ist die Arteria femoralis superficialis entlang des Adduktorenkanals einer enormen muskulären Kompression ausgeliefert“, sagt Kickuth. Inzwischen sorgen neue Instrumente wie die sogenannten Vascular Mimetic Implants (VMI) für höhere Erfolgsraten in den entsprechenden Gefäßsegmenten. VMI sind gefäßnachahmende Implantate, die stabiler und flexibler als herkömmliche Stents sind. „Ein Allheilmittel sind auch die VMI nicht“, gibt Kickuth zu, „Stents und VMI werden vor allem in Bail-Out-Situationen eingesetzt, um das erfolgreiche Resultat nach einer Ballon-PTA zu erhalten.“

Trotz aller Fortschritte gibt es Bereiche mit geringen interventionellen Erfahrungen, wie in den schmalkalibrigen Unterschenkelgefäßen. „Dort behandeln wir nur, wenn eine chronisch kritische Ischämie im Rahmen einer peripheren arteriellen Verschlusskrankheit (pAVK) vorliegt“, erklärt Kickuth.

„Materiell sind wir derzeit schon an der Grenze des Machbaren“

Moderne Werkstoffe sind jedoch nicht einziges Erfolgskriterium: „Das Material alleine garantiert nicht, dass der Ballonkatheter auch an der gewünschten Stelle platziert werden kann. Kalzifikationen oder pathologische Veränderungen der Gefäße, etwa durch Diabetes oder Niereninsuffizienz, erschweren den Eingriff. Ob auch in diesen Fällen Abhilfe geschaffen werden kann, ist fraglich, denn: „Materiell sind wir derzeit schon an der Grenze des Machbaren“, so Kickuth.

Mehr Teamwork ist gefragt

Hoffnungsträger bei der Gefäßintervention sind kombinierte Behandlungen mit Medikamenten, insbesondere den Thrombozytenaggregationshemmern, obwohl die Datenlage diesbezüglich schwach ist und die Erfahrungen auf Therapiekonzepten aus der Kardiologie beruhen. „Wir wissen allerdings, dass sich Koronararterien nach Intervention anders verhalten als periphere Gefäße, daher ist eine 1:1-Übertragung solcher Therapiekonzepte nicht ohne weiteres möglich“, erklärt Kickuth.

Umso wichtiger ist die interdisziplinäre Zusammenarbeit, betont der Radiologe: „Gemeinsam können Angiologen, Gefäßchirurgen und Radiologen leitliniengerechte Entscheidungen treffen, die dem Patienten zugutekommen.“

Etablierte Embolisationsverfahren, aber kaum verwertbare Daten hinsichtlich des Langzeitverlaufs

Ein großer Fortschritt ist bei den gefäßverschließenden Verfahren zu verzeichnen: „Inzwischen können wir Blutungskomplikationen sehr gut behandeln. Leider ist die Datenlage schwach im Hinblick auf den Langzeitverlauf nach Embolisation. Wir können aus ethischen Gründen keine prospektiven, randomisierten Studien durchführen. Wünschenswert wären aber zumindest Follow-up-Daten aus Multicenter-Studien, damit die Outcomes und Komplikationsraten adäquat gemessen werden können.“ In den meisten klinischen Publikationen ist dies ein blinder Fleck: Die langfristigen Behandlungsausgänge bei Blutungen in der Niere, Leber oder im Gastrointestinaltrakt sind kaum dokumentiert. „Wir wollen aber wissen, ob es z.B. nach Embolisation unterer gastrointestinaler Blutungen zu Strikturen kommt oder der Darm reseziert werden muss – dafür stehen kaum Langzeitdaten bereit“, sagt Kickuth.

Ähnlich schlecht steht es um Daten bei elektiven gefäßverschließenden Eingriffen. Es liegen kaum prospektive Studien vor, die das Verschließen von Gefäßen vor Anlage einer Aortenprothese, die Embolisation vor der Resektion gefäßreicher Knochentumoren oder zur Ausschaltung von Malformationen dokumentieren. Kickuth: „Diese Verfahren lassen sich gut planen und vorbereiten, daher wäre es kein Problem, aussagekräftige prospektive Studien aufzusetzen. Diese Mühe sollten wir uns definitiv machen, um eine stabilere Datengrundlage zu schaffen.“

Am Angio-Simulator werden Nachwuchsärzte in gefäßöffnenden und...
Am Angio-Simulator werden Nachwuchsärzte in gefäßöffnenden und -schließenden Verfahren geschult.

Angio-Simulatoren: Sicherheit durch Training an der Maschine

Um Interventionen zu trainieren, werden zunehmend Angio-Simulatoren eingesetzt: „Das Universitätsklinikum Würzburg ist mit seinem Interdisziplinären Trainings- und Simulationszentrum (INTUS) einer der Vorreiter auf diesem Gebiet.“ Dort werden Kurse zum Erwerb und Auffrischen interventioneller Methoden durchgeführt. „Im Gegensatz zu früher werden junge Ärzte heute am Simulator ausgebildet. Sie lernen, wie Drähte im Gefäß geführt werden, wie sich diese Führungsdrähte mit Ballonkatheter und Stentsystem verhalten oder auf welche Weise ein Gefäßverschluss den Instrumenten Widerstand leistet. Auch die Gefäßpunktion wird simuliert.“

Das Feedback ist durchweg positiv: Der Nachwuchs geht auf diesem Weg viel angstfreier an die Verfahren heran: „Die Simulation trägt mit Sicherheit dazu bei, Patienten präziser zu behandeln und ein besseres Risiko- und Fehlermanagement zu entwickeln.“ Auch für Patienten ist es ein großer Vorteil, von Ärzten behandelt zu werden, die sich zuvor bereits Erfahrung am Simulator aneignen konnten. „Ich kann mir vorstellen, dass die Fachgesellschaften sich dafür einsetzen werden, solche Ausbildungskonzepte künftig fest zu verankern.“

Durch die simulierte Bildgebung entsteht eine praxisnahe Übungssituation.
Durch die simulierte Bildgebung entsteht eine praxisnahe Übungssituation.

Eine Investition, die sich langfristig rechnet

Wer am Simulator einen Eingriff gut beherrscht, wird in der Regel auch am Patienten sicher vorgehen

Ralph Kickuth

Die simulierten Eingriffe sind sehr realitätsnah und stimmen zu etwa 80 Prozent mit der echten Intervention überein, sagt der Radiologe. Dazu trägt die Nähe zur realen OP-Situation bei – wie beim echten Eingriff ist auch am Simulator nur eine enge Schleuse zu sehen, über die die Instrumente eingeführt und bedient werden müssen. Hinter dieser Öffnung verbergen sich Sensoren, die registrieren, ob das richtige Material für den jeweiligen Eingriff verwendet wird oder ob die simulierten Gefäße nicht korrekt interveniert werden. Mehrere Monitore zeigen in Echtzeit die Lage der Instrumente innerhalb der Gefäßsegmente sowie die Vitalwerte des Patienten an. Kickuth: „Wer am Simulator einen Eingriff gut beherrscht, wird in der Regel auch am Patienten sicher vorgehen. Daher ist es aus meiner Sicht heutzutage ein Muss, diese Art des Trainings wahrzunehmen.“

Neben den eigentlichen Eingriffen sensibilisieren die Simulatoren auch für das Thema Strahlenschutz: „Die Applikation von Röntgenstrahlung wird simuliert – so entwickeln die jungen Ärzte ein Gefühl dafür, welche Eingriffe besonders strahlenintensiv sind.“

Moderne Simulatoren ermöglichen durch austauschbare Module das Training eines breiten Spektrums an Interventionen. Das Repertoire reicht von kathetergestützten Aortenklappen-Implantationen bis zu neurovaskulären Verfahren bei Schlaganfällen. Weitere Konzepte, zum Beispiel für Polytrauma-Management, sind seitens der Hersteller in Vorbereitung. „Wichtig ist der Input seitens der Ärzte, welche Anforderungen die Simulatoren konkret erfüllen müssen“, so Kickuth abschließend.


Profil:

Prof. Dr. Ralph Kickuth hat nach dem Studium der Humanmedizin seine Facharztausbildung „Diagnostische Radiologie“ am Institut für Diagnostische und Interventionelle Radiologie des Marienhospitals Herne, Klinikum der Ruhr-Universität Bochum absolviert. Seit 2008 ist Kickuth leitender OA für Interventionelle Radiologie am Institut für Diagnostische und Interventionelle Radiologie des Universitätsklinikums Würzburg, seit 2011 Mitglied des erweiterten Direktoriums des Zentrums für Innere Medizin. 2017 wurde er zum Universitätsprofessor für Interventionelle Radiologie an die Julius-Maximilians-Universität zu Würzburg berufen.

30.09.2017

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