Zivilisationskrankheiten bremsen Wirtschaftswachstum
Schon im kommenden Jahr wird es mehr Europäer über 60 als im Erwerbsalter geben. Die europäische Innovationspartnerschaft für aktives und gesundes Altern entwickelt ein Paket von Maßnahmen, mit denen diesen Herausforderungen begegnet werden soll. Beim European Health Forum Gastein wurde das ambitionierte Projekt COURAGE vorgestellt, das auf wissenschaftlicher Basis die Determinanten für ein gesundes Alter erforscht.
Die Brüsseler "AGE Platform Europe" plädierte dafür, nicht auf das Heer der informellen Pflegekräfte zu vergessen - 80% der Pflege erbringen Familienmitglieder - die selbst alt und hilfsbedürftig werden.
Die europäische Innovationspartnerschaft für aktives und gesundes Altern ist Teil der Innovationsstrategie der EU und eine der Vorreiter-Initiativen von Europa 2020. Die Innovationspartnerschaft soll Strategien zur Lösung jener Probleme entwickeln, die sich durch Europas demografische Schieflage ergeben. Mit Unterstützung der Europäischen Kommission sollen Stakeholder bis Ende 2013 jene vorrangigen Maßnahmen umsetzen, die derzeit definiert werden.
Besonders interessiert ist die Kommission am Konzept der sozialen Innovation und seiner Anwendung auf den Gesundheitsbereich und an verbessertem Zugang der Patienten/-innen zu ihren Gesundheitsdaten. "Im Mittelpunkt der europäischen Partnerschaft steht ein ganz wesentlicher Paradigmenwechsel: dass eine alternde Gesellschaft eine Chance ist und kein Problem darstellt", sagte Robert Madelin, Generaldirektor für die Informationsgesellschaft der Europäischen Kommission am European Health Forum Gastein (EHFG). "Durch die gegenwärtige Schuldenkrise sind öffentliche Dienste gefordert, mehr Leistung für weniger Geld zu bringen. Die Partnerschaft zielt darauf, die Nachhaltigkeit und Effizienz unserer Gesundheits- und sozialen Sicherungssysteme zu verbessern. Das umzusetzen, sind wir nicht nur unserer alternden Bevölkerung schuldig, sondern auch den jüngeren Generationen. Wenn wir die Innovationen beschleunigt vorantreiben, die unsere älteren Mitmenschen unterstützen, unabhängig, aktiv und gesünder zu leben, ist es ein großer Schritt, um für Ältere jene Lebensqualität zu schaffen, die sie verdienen."
Wissenschaft richtig verstehen - eine Voraussetzung für richtige Strategien
"Bis zum Ende dieses Jahrzehnts wird rund ein Drittel aller Europäer 65 Jahre und älter sein. Ziel ist, das Know-how aller Player zu vereinigen, um Leben nicht nur zu verlängern, sondern auch zu verbessern. Wir fordern alle auf, die mit Technologie und Gesundheit befasst sind, sich zusammenzuschließen und daran zu arbeiten, dass unsere Bevölkerung so gesund, aktiv und erfüllt wie möglich leben kann", sagte Paola Testori-Coggi, Generaldirektorin für Gesundheit und Verbraucherschutz in der Europäischen Kommission. "Die Europäische Innovationspartnerschaft ist die Antwort der Europäischen Kommission auf die Herausforderungen, neue Wege zu beschreiten, um die Lebensqualität unserer alternden Bevölkerung zu verbessern und Menschen zu befähigen, länger aktiv zu bleiben. Unser Ziel ist, in Entwicklung befindliche Technologien für praktische Anwendungen im Alltag nutzbar zu machen. Wir wollen letztlich ganz konkrete Anwendungen entwickeln, die das Leben der Menschen in Europa erleichtern sollen und von beispielgebende Bedeutung für die ganze Welt sein werden."
In einer von der Europäischen Kommission organisierten EHFG-Sitzung diskutierten Stakeholder mögliche Strategien. Dr. Matilde Leonardi von der Fondazione IRCCS Istituto Neurologico Carlo Besta, Mailand, betonte die wichtigen Beiträge der Wissenschaft. "Mit der alternden Bevölkerung Europas kommen einige der drängendsten Herausforderungen auf die Gesundheits- und Sozialpolitik des Jahrhunderts auf uns zu. Um sich auf diese Veränderungen vorbereiten und innovative Antworten darauf zu finden, ist es essenziell, Messinstrumenten zu entwickeln, die valide, vergleichbare Longitudinaldaten zum Zusammenhang zwischen Gesundheitsstatus, Lebensqualität und Wohlbefinden generieren können. Damit wird eine empirische Basis für die Entwicklung und Analyse in der Gesundheits- und Sozialpolitik geschaffen."
Mehr über 60-Jährige als Menschen im Erwerbsalter
An dem für drei Jahre anberaumten EU-Projekt "COURAGE in Europe" (http://www.courageineurope.eu), das von ihren Institut koordiniert wird, sind elf Forschungspartner aus Italien, Spanien, Finnland, Polen und der WHO beteiligt. Es soll ein Instrument entwickelt werden, um die Umwelt- und sozialen Determinanten von Gesundheit und Behinderung im Alter zu evaluieren. "Damit werden wir nicht nur verlässlichere und relevantere Prävalenztrends des Alterns liefern können - und damit die Grundlage, um auch politisch rechtzeitig auf Alterungstrends zu reagieren. Wir werden endlich auch die entscheidende Rolle belegen können, die bestimmte Faktoren, etwas die baulichen Umgebung oder das soziale Netzwerk, für die Lebensqualität und das Wohlbefinden alternder Europäer/-innen spielen", sagte Dr. Leonardi.
Anne-Sophie Parent, Generalsekretärin von AGE Platform Europe, begrüßte den Anstoß der Europäischen Kommission, die nationalen Ressourcen besser zu koordinieren. Immerhin sei die Zahl der über 60-Jährigen gerade im Begriff, die Zahl der Europäer/-innen im Erwerbsalter zu übersteigen womit der Druck auf die nationalen Budgets kontinuierlich weiter zunehme.
Die vergessenen Helfer/-innen: 80 Prozent der Altenpflege wird von Angehörigen geleistet
"Die Auswirkungen des demografischen Wandels in Europa kommen nun voll zu tragen, insbesondere in Kombination mit der aktuellen Wirtschaftskrise. Die Initiative der Europäischen Kommission startet genau zum rechten Zeitpunkt", sagte Anne-Sophie Parent. "Ein Aspekt, der in dieser Debatte oft vergessen wird, ist die Tatsache, dass auch Beschäftigte im Gesundheits- und Pflegewesen älter werden. Noch alarmierender ist die - für gewöhnlich ignorierte - Tatsache, dass 80 Prozent der Altenpflege von informellen Pflegekräften, also vor allem von Angehörigen, geleistet wird - Tendenz voraussichtlich steigend, angesichts der drastischen Kürzungen von Sozialleistungen oder Subventionen in vielen Ländern Europas."
Oft seien sie selbst schon alt, aber in Sachen Angehörigenpflege seien sie weit über das sonst übliche Pensionsalter hinaus aktiv. "Sie sind die Vergessenen, mit der belastenden Pflegeaufgabe meist sich selbst überlassen - zum Nachteil für ihre eigenen Gesundheit und ihres eigenen Wohlbefinden. Es ist an der Zeit, Hilfestellungen für ältere Pflegende zu schaffen, damit sie besser auf sich selbst und ihre älteren Freunde oder Verwandte achten können", meint Anne-Sophie Parent.
Mehr Infos unter www.ehfg.org
Bildquelle: pixelio/Wandersmann
05.10.2011