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Artikel • Viszeralmedizin-Kongress 2022
Zentralisierung, Ambulantisierung, Mindestmengen: Mehr Sicherheit für Patienten
Die Themen Ambulantisierung, Zentralisierung und Mindestmengen betreffen die gesamte stationäre Versorgung in Deutschland und beschäftigen derzeit viele Krankenhäuser und Fachgesellschaften. Über Vor- und Nachteile sowie Gefahren und Chancen sprachen Experten beim Viszeralmedizin-Kongress 2022, dem größten Kongress für Gastroenterologie und Viszeralchirurgie im deutschsprachigen Raum.
Artikel: Sonja Buske
Deutschland hat im Vergleich zu anderen europäischen Ländern zu viele Krankenhäuser und Betten, insbesondere in Ballungszentren. So sieht es zumindest die Politik und setzt daher auf eine Ambulantisierung und Zentralisierung von Leistungen. Prof. Dr. Thomas Frieling, Chefarzt der Medizinischen Klinik II am Helios Klinikum Krefeld, kann das zwar nachvollziehen, spricht sich aber ausdrücklich dafür aus, die Fachgesellschaften in diese Entwicklungen inhaltlich mit einzubeziehen. „Wir müssen darauf achten, dass auch die Ärzte, die ihre Leistungen nicht mehr stationär anbieten können, weiterhin in die Versorgung eingebunden werden. Zudem muss der Prozess der Ambulantisierung durch eine Qualitätssicherung begleitet werden“, so Frieling. Er empfiehlt dafür ein Zertifizierungssystem in verschiedenen Stufen, vom Kompetenz- bis zum Exzellenzzentrum, damit die Expertise des entsprechenden Hauses für jeden Patienten klar erkennbar ist. Zudem wünscht er sich für die Viszeralchirurgie eine Reduktion von hierarchischen Strukturen und eine bessere Arbeitszeitgestaltung, um den Fachbereich auch für den Nachwuchs interessanter zu machen.
Zentralisierung für geringere Letalität
Für Prof. Dr. Jens Werner, Direktor der Klinik für Allgemein-, Viszeral- und Transplantationschirurgie der Ludwig-Maximilians-Universität (LMU) München, liegt das Hauptproblem in Deutschland darin, dass zu viele Krankenhäuser in eine schlechte Struktur eingebettet sind: „Schlimmstenfalls werden Patienten in eine falsche Klinik gebracht. Unser Ziel muss sein, dass Patienten in das Krankenhaus eingeliefert werden, in dem sie die adäquateste Versorgung erhalten.“ Mit der Mindestmengenregelung hat man in der Chirurgie bereits versucht, einen Schritt in diese Richtung zu gehen. Doch auch wenn die Regelung eigentlich besagt, dass Abteilungen zum Beispiel im onkologischen Bereich Eingriffe an der Speiseröhre und der Bauchspeicheldrüse erst ab zehn Fällen pro Jahr durchführen dürfen, passiert das in über 50 Prozent bereits ab fünf Fällen. „Bei so wenigen Eingriffen kann keine Routine aufkommen und die Letalität ist exorbitant“, weiß Werner zu berichten. „Die Letalität bei Bauchspeicheldrüseneingriffen liegt bei über 12 Prozent bundesweit, obwohl sie bei 2-4 Prozent sein müsste. Wenn wir zentralisieren, könnten wir die Letalität deutlich senken.“
Dafür müsse die Zentralisierung seiner Meinung nach allerdings auch mit strukturellen und personellen Veränderungen einhergehen. Ziel sei es, insbesondere ältere und sozial schwache Patienten, die sich nicht vorher im Internet über die Krankenhäuser informieren können, angemessen zu versorgen. „Wenn die Strukturen stimmen, ist das Ambulantisierungspotenzial hoch“, so Werner. „Es darf jedoch nicht vergessen werden, die Vergütungsstruktur von zukünftig ambulant zu erbringenden komplexen Leistungen anzupassen.“
Ambulantisierung: Die Expertise muss stimmen
In der Endoskopie wird der Anteil ambulant durchgeführter Eingriffe stark ansteigen, ist sich Prof. Dr. Ulrike Denzer, Sektionsleiterin Endoskopie an der Klinik für Gastroenterologie der Uniklinik Gießen und Marburg, sicher. Für die Patienten könnte das ein Vorteil sein, jedoch müssen die Rahmenbedingungen stimmen: „Endoskopie ist mehr als nur Diagnostik. Viele Eingriffe ersetzen Operationen, zum Beispiel die Entfernung von Frühtumoren oder komplexe Gallenwegseingriffe unter Röntgendurchleuchtung. Um diese Eingriffe ambulant erbringen zu können, muss nicht nur die apparative Ausstattung vorhanden sein, es müssen auch die Strukturen stimmen. Für Notfälle muss rund um die Uhr ein interventionelles Team – bestehend aus Gastroenterologen, Radiologen und Viszeralchirurgen – zur Verfügung stehen. Die fachliche Expertise des Untersucherteams muss dafür unbedingt gegeben sein.“ Denn auch wenn es in der Endoskopie momentan noch keine Mindestmengen gibt, können laut Denzer komplexe Eingriffe nur von Ärzten durchgeführt werden, die sehr viel Routine haben. „Aktuelle Daten belegen, dass man mindestens 200 Gallenwegsstenosen behoben oder Steine im Gallengang entfernt haben muss, um gute Qualität leisten zu können. Ein Auszubildender benötigt 100 Eingriffe, um endoskopisch große, breitflächige Polypen oder Frühtumoren abtragen zu können. Sonst ist die Gefahr eines Rezidivs zu groß.“ Um das leisten zu können, brauche es nicht nur in der Endoskopie Zentren, in dem Mindestmengen eingehalten werden und viele qualifizierte Mediziner zusammenarbeiten und ausbilden, so die Expertin abschließend.
04.10.2022