X-Akt Mamma RTX mit Brust-Phantom während einer Bestrahlung
X-Akt Mamma RTX mit Brust-Phantom während einer Bestrahlung

© HSHL/ GermanPhysics GmbH

Artikel • Medizinprodukt erhält Patent

Neues Lagerungssystem schont Organe bei Brustkrebs-Bestrahlung

Bei der Behandlung von Brustkrebs mittels Strahlentherapie ist das Risiko der Schädigung von Organen oder umliegendem Gewebe seit jeher ein Problem. Ein neues Lagerungssystem, für das die Hochschule Hamm-Lippstadt (HSHL) jetzt ein Patent erhalten hat, positioniert die Brust weit entfernt vom Oberkörper und erhöht somit den Abstand zu den Risikoorganen. Das Medizinprodukt mit dem Namen ‚X-Akt Mamma RTX‘ soll nun im Rahmen einer Studie zum Einsatz und noch in diesem Jahr auf den Markt kommen.

Artikel: Sonja Buske

Die Bestrahlung bei Brustkrebs findet standardmäßig in Rückenlage statt. Dabei legen sich jedoch vor allem größere Brüste teilweise seitlich um den Thorax, wodurch Teile des Herzens und der Lunge ebenfalls der Strahlung ausgesetzt werden. Neben den direkten Nebenwirkungen wie Hautrötungen, kann dies auch Spätfolgen auf Zellebene zur Folge haben, wie der Medizinphysik-Experte (MPE) Christopher Stegmann erklärt: „Der Lungensaum kann Nekrosen bilden und die Herzkranzgefäße können porös werden. Das kann zu Kurzatmigkeit, eingeschränkter Belastbarkeit und sogar zum Herzinfarkt führen. Es gibt zwar Vorgaben, wie viel Dosis ein Organ erhalten darf, jedoch muss man hier oft einen Kompromiss eingehen, um den Tumor effektiv bestrahlen zu können.“  

Positionierung eine Herausforderung in allen Kliniken

Portraitfoto von Christopher Stegmann
Christopher Stegmann

Diese Tatsache hat Stegmann, der aktuell in der Strahlentherapie des MVZ Aurich-Norden tätig ist, so gestört, dass er sich auf die Suche nach einer Alternative gemacht hat. Erste Recherchen ergaben, dass augenscheinlich alle Kliniken vor dem gleichen Problem stehen. „Manche Einrichtungen legen die Patientinnen für die Bestrahlung auf die Seite, jedoch liegt dann der Tisch zwischen Bestrahlungsgerät und der zu behandelnden Brust, wodurch die Haut stark geschädigt werden kann“, musste der MPE feststellen. „Es gibt Hersteller, die Lösungen für eine Bestrahlung in Bauchlage anbieten. Hierbei handelt es sich aber durchweg um Aufbauten, die auf den Bestrahlungstisch gesetzt werden, und dadurch die Freiheitgrade des Beschleunigers stark einschränken.“ Bei anderen Lösungen handelt es sich um komplette Tischplatten-Systeme, deren Anschaffung sehr kostspielig ist. „Das ist im klinischen Alltag kaum realisierbar und wird daher auch wenig genutzt.“ Ein guter Ansatz sind seiner Meinung nach Atem-Gating-Systeme, bei denen nur dann bestrahlt wird, wenn sich die Patientin in der tiefen Einatmungsphase befindet und die Risikoorgane im Thorax so weit wie möglich von der Brust entfernt sind. „Das Problem ist hierbei jedoch, dass einige Patientinnen gar nicht so lange die Luft anhalten können, wie es nötig wäre. Also wird dann ohne Atem-Gating oder als Kompromiss auch schon bei halber Einatmung bestrahlt, was die eigentlich gute Idee wieder zunichtemacht“, erklärt Stegmann die Problematik.

Portraitfoto von Jürgen Trzewik
Prof. Dr. Jürgen Trzewik

„Ich habe mir eine Lösung vorgestellt, bei der die Patientin in Bauchlage bestrahlt wird, nichts selbst machen muss, und das Produkt von den MTR einfach und schnell eingebaut werden kann.“ Mit seinen Plänen hat er sich schließlich an die HSHL gewandt, an der er selbst studiert hat und inzwischen als Dozent für Strahlenschutzkurse tätig ist. Dort stieß er bei dem Medizintechniker Prof. Dr. Jürgen Trzewik auf offene Ohren. „Ich war sofort von der Idee begeistert“, erinnert sich der Experte. „Unsere Prototypenlabore und Werkstätten boten die perfekte Umgebung für das Projekt, so dass ich Christopher Stegmann direkt meine Unterstützung zusicherte und mich im ersten Schritt mit ihm zusammen um die Beantragung von Fördergeldern gekümmert habe, die auch allesamt bewilligt wurden.“ 

Erster Prototyp aus Holz, zweiter aus Carbon

Der erste Prototyp wurde 2021 aus Holz gefertigt, im April 2024 folgte die finale Version aus Carbon, die am bestehenden Bestrahlungstisch befestigt wird und ihn dadurch verlängert, statt ihn zu erhöhen. „Die Herausforderungen waren hoch“, erläutert Stegmann. Das Material muss strahlendurchlässig sein, darf nicht durchbiegen oder abbrechen, und das System muss symmetrisch aufgebaut sein, damit es für beide Brüste nutzbar ist. Die Kundenanforderungs-Analyse ergab zudem, dass es nicht zu schwer sein darf sowie schnell und einfach zu montieren sein muss. Für Letzteres sorgt ein einrastender Doppelmechanismus. 

Um die Ethikkommission von der Funktion und Wirkung des X-Akt Mamma RTX zu überzeugen, entwickelte das Team um Stegmann und Trzewik aus bereits existierenden, anonymisierten Datensätzen ein Brust-Phantom. Sobald die Kommission ihre Zustimmung gegeben hat, kann die Studie mit einer so genannten 0-Serie in mehreren Strahlentherapien starten. Ob nach erfolgreicher Studie für die Serien-Produktion des Medizinprodukts ein Partner aus der Industrie gesucht, oder aber ein eigenes Unternehmen gegründet wird, ist noch offen. Stegmanns Wunsch ist es jedenfalls, dass sich jede Strahlentherapie die Innovation leisten kann und möglichst viele Frauen davon profitieren. 


Profile: 

Christopher Stegmann ist seit 2014 als Medizinphysik-Experte (MPE) bei der GermanPhysics GmbH angestellt und in der Strahlentherapie des MVZ Aurich-Norden tätig. Er hat Biomedizinische Technologie und Angewandte Biomedizin Technik an der Hochschule Hamm-Lippstadt (HSHL) studiert und verfügt über die MPE-Fachkunden im Bereich der Teletherapie, Röntgendiagnostik und Röntgentherapie. 2022 übernahm er die Leitung der Abteilung für medizinische Physik in Aurich. Zudem ist er Lehrbeauftragter an der HSHL im Bereich Strahlenschutz. 

Prof. Dr. Jürgen Trzewik ist Diplom-Ingenieur im Bereich Physikalische Technik/Medizintechnik und hat seit 2011 eine Professur für Medizintechnik an der Hochschule Hamm-Lippstadt (HSHL) inne. Zuvor war er als Forschungs- und Entwicklungsingenieur sowie im Management in der Industrie tätig. 

25.08.2025

Verwandte Artikel

Photo

News • Boost Bestrahlung

Höhere Dosis im Tumorgebiet bringt bessere Tumorkontrolle

Die Strahlentherapie nach einer brusterhaltenden Operation ist eine hocheffektive Behandlungsmethode. Eine Dosissteigerung – „Boost“ genannt – im ehemaligen Tumorbereich kann verhindern, dass…

Photo

News • Strahlungstherapie

Laser-beschleunigte Protonen zur Krebstherapie

Die Bestrahlung mit Protonen gilt als sehr wirksame und gleichzeitig schonende Methode der Krebsbehandlung. Ein interdisziplinäres Team von Physikern und Mediziner aus Düsseldorf, Essen und…

Photo

Sponsored • Strahlentherapie

Verkürzte Bestrahlung bei Brustkrebs bringt Vorteile für Patientinnen

An Brustkrebs erkranken in Deutschland jedes Jahr etwa 72 000 Frauen. Die Strahlentherapie nach brusterhaltender Operation ist fester Bestandteil der Krebsbehandlung und dauerte bislang sechs bis…

Verwandte Produkte

Newsletter abonnieren