Wissenschaftler fordern Frauenquote

Das Steinbeis-Europa-Zentrum hat zur europäischen Debatte über die Chancengleichheit von Frauen und Männern in der Forschung eingeladen

Bis zum Studienabschluss sind Frauen mit 51 Prozent in der Forschung vertreten, danach geht die Schere zwischen Männern und Frauen immer weiter auf. Während der Anteil der Frauen in der Forschung europaweit bei rund 30 Prozent liegt, beträgt er in Deutschland nur 21 Prozent.

Dr. Petra Püchner
Dr. Petra Püchner

Rund 12 Prozent der hochdotierten Professorenstellen in Deutschland sind mit Frauen besetzt, europaweit sind es 19 Prozent.

Wie können Forschungseinrichtungen hier Veränderungen aktiv gestalten? In welchen Bereichen ist es sinnvoll Forscherinnen zu unterstützen? Warum bewirken die zahlreichen Unterstützungsmaßnahmen nicht die gewünschten Veränderungen?

Das Steinbeis-Europa-Zentrum hat am 19. und 20. März 2012 zur europäischen Debatte und Fachtagung mit dem Titel „Maximising Innovation Potential Through Diversity in Research Organisations“ ins Stuttgarter Haus der Wirtschaft eingeladen. Interessensvertreter aus neun europäischen Ländern diskutieren mit 90 Teilnehmerinnen und Teilnehmern über die Ursachen und Hintergründe dieser Schieflage.

Die Konferenz bildet den Abschluss des EU-Projekts GENDERA, das bereits mehrfach öffentliche Debatten mit Vertretern aus Wissenschaft und Forschung in Europa durchgeführt hat. An der Konferenz wirken unter anderem Experten der Ungarischen Wissenschafts- und Technologiestiftung, der Europäischen Kommission, der UNESCO und der Leibniz Gesellschaft mit. Beim Abendempfang am Montag war die Landtagsabgeordnete der Grünen, Andrea Lindlohr anwesend.

Wissenschaftliche Studien zeigen, dass viele exzellente Frauen, die sich in der wissenschaftlichen Gemeinschaft, an Hochschulen, in der Forschung und Industrie einbringen könnten, von einer wissenschaftlichen Laufbahn absehen. Andere starten zwar Karrieren, verlassen sie aber zu einem späteren Zeitpunkt wieder, der häufig mit einer Familiengründung zusammenfällt. Dieser Vorgang wird als „leaky pipeline“ bezeichnet. Der Verlust von erfahrenen, gut ausgebildeten Frauen wirkt sich nachteilig für alle aus.

„Wir brauchen eine veränderte Arbeitskultur und einen neuen Blickwinkel, der das Thema Innovation in den Vordergrund rückt. Unsere Arbeitsstrukturen und die institutionellen Rahmenbedingungen müssen sich verändern, damit mehr Frauen in Leitungspositionen Karriere machen. Junge Frauen bringen schon heute eine exzellente Ausbildung mit, ihre Qualifikation braucht keine weiteren Unterstützungsprogramme. Eine stärkere Partizipation von Frauen wirkt sich positiv auf die Wettbewerbsfähigkeit von Organisationen aus,“ so Dr. Petra Püchner, Geschäftsführerin des Steinbeis-Europa-Zentrums Stuttgart und deutsche Sprecherin des EU-Projekts GENDERA. Püchner, die auch stellvertretende Vorsitzende des European Centre for Women and Technology mit Sitz in Norwegen ist, spricht sich für die Frauenquote aus.

Es sind vor allem die seit langem gepflegten Netzwerke und Seilschaften der Männer, die dafür sorgen, dass Männer immer wieder in Führungspositionen aufsteigen. Wir brauchen die Frauenquote, damit Frauen dieselben Chancen wie Männer erhalten und dann ihre eigenen Netze aufbauen. Nur durch eine Quote lassen sich unsere Stereotypen von der „Frau mit Familie und Kindern“ und dem „Mann als Alleinverdiener“ langfristig verändern.

Wir diskutieren seit vielen Jahren immer wieder erneut, aber die Zahlen haben sich nicht geändert, weiß Prof. Dr. Ernst Th. Rietschel, einer der Referenten der Konferenz. Auch Rietschel, ehemals Präsident der Leibniz Gesellschaft und heute Mitglied von acatech, Deutsche Akademie der Technikwissenschaften, plädiert für die Quote und verweist in seinem Vortrag auf Quoten in anderen Bereichen, die längst nicht mehr in Frage stehen. So müssen etwa 35 Prozent der abgespielten Musik im deutschen Radio aus deutscher Quelle stammen. In Sonderforschungsbereichen ist festgelegt, wie viel Prozent der Forschung an Universitäten und wie viel an außeruniversitären Forschungsstätten gefördert werden darf.

Das Steinbeis-Europa-Zentrum und seine Projektpartner im EU-Projekt GENDERA haben sich in den letzten beiden Jahren mit der Chancengleichheit von Frauen und Männern im Europäischen Forschungsraum beschäftigt. GENDERA wird von der Ungarischen Wissenschafts- und Technologiestiftung koordiniert und im 7. Forschungsrahmenprogramm von der Europäischen Kommission von November 2009 bis April 2012 mit rund 799.000 Euro gefördert. Neun Partner aus Deutschland, Griechenland, Israel, Italien, Österreich, Slowakei, Slowenien, Spanien und Ungarn bringen ihr Fachwissen ein.

Im Austausch mit den Forschungsorganisationen aus den Partnerländern wurden gute Praktiken zur Erhöhung des Frauenanteils in der Wissenschaft ermittelt und bewertet. 64 erfolgreiche Maßnahmen von Unternehmen, Forschungsinstituten und Universitäten sind in der Datenbank von GENDERA dokumentiert. Unter den Maßnahmen finden sich 16 aus Deutschland. Beispielhaft zu nennen sind hier das MINERVA FemmeNet Programm der Max Planck Gesellschaft, das LaKoG Netzwerk an der Universität Stuttgart und das Programm „Science goes family“ an der Universität Konstanz. Außerdem wurden sogenannte Task Forces in den einzelnen Ländern ins Leben gerufen, um die Brücke zwischen Politik und Praxis zu schlagen. Die Partner haben hier nationale Empfehlungen in den jeweiligen Partnerländern von GENDERA erarbeitet. Insbesondere in den Ländern, die bisher keine Gendermaßnahmen in ihren Programmen verankert haben, gab das Projekt wichtige Impulse.

Darüber hinaus stehen die Projektpartner, insbesondere Dr. Petra Püchner im Austausch mit verschiedenen Gremien der Europäischen Kommission, wie zum Beispiel mit Neelie Kroes, der EU-Kommissarin für die Digitale Agenda und deren Initiative „Every Woman Digital“. Gemeinsam arbeitet man an einem Konzept der Chancengleichheit, das Einfluss auf das kommende europäische Forschungsrahmenprogramm „Horizont 2020“ haben soll, das im Jahr 2014 beginnen wird.

Weitere Informationen zum EU-Projekt GENDERA und zur Konferenz finden Sie hier.

 

30.03.2012

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