News • Neu entdeckter Mechanismus
Wie oxidativer Stress die Elastizität des Herzmuskels beeinflusst
Ein gesundes Herz schlägt im Durchschnitt 50 bis 100 Mal pro Minute und pumpt rund 8.000 Liter Blut pro Tag durch den menschlichen Körper. Voraussetzung ist die Elastizität der Herzwände, die sich beim Einstrom von Blut ausdehnen (Diastole) und beim anschließenden Ausfließen des Bluts wieder zusammenziehen (Systole).
Für diese Bewegung sind Millionen kleiner Hohlräume in den Herzmuskelfasern verantwortlich – die Sarkomere. In ihnen befindet sich das größte Protein des menschlichen Körpers, das Titin. Es hat hier die Funktion einer mechanischen Feder, die bei der Dehnung der Muskelfächer eine Rückstellkraft entwickelt – ähnlich einem Gummiband.
Ein Forscherteam um Prof. Dr. Wolfgang Linke, Direktor des Instituts für Physiologie ll der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster (WWU), fand nun gemeinsam mit Wissenschaftlern der Universitäten Bochum, Würzburg, Köln, Regensburg, Göttingen und Düsseldorf heraus: Oxidativer Stress löst zusammen mit der Dehnung der Herzwände eine Veränderung der Herzmuskelsteifigkeit aus; das elastische Titin der Herzmuskelzellen wird verstärkt oxidiert und dadurch in seiner Dehnbarkeit moduliert. Diesen neu entdeckten Mechanismus bezeichnen die Forscher als UnDOx („Unfolded Domain Oxidation“). Die Studienergebnisse sind in dem Fachmagazin „PNAS“ veröffentlicht.
Im menschlichen Organismus stellt Titin das Rückgrat des Sarkomers dar, der kleinsten funktionellen Einheit des Muskels. Dort sorgt es aufgrund seiner besonderen Struktur sowohl für Stabilität als auch für Elastizität. Viele Herzerkrankungen, unter anderem die sogenannte diastolische Herzinsuffizienz und die dilatative Kardiomyopathie, gehen auf Defekte im Titin zurück. Das Forscherteam zeigte nun zum ersten Mal im Herzgewebe, das aus Mäusen entnommen wurde, dass oxidativer Stress und die Herzdehnung die Titin-Federfunktion verändern. Von oxidativem Stress spricht man, wenn zu viele reaktive Sauerstoffverbindungen in den Zellen eines Organismus vorhanden sind. Diese Sauerstoffverbindungen, zu denen sogenannte freie Radikale zählen, können Zellschäden verursachen. In geringerer Menge regulieren die Sauerstoffverbindungen jedoch wichtige physiologische Funktionen.
Den Oxidierungsstatus der Herzproteine ermittelten die Wissenschaftler mit Hilfe eines Massenspektrometers. Zusätzlich isolierten sie Herzmuskelzellen vom tiefgefrorenen Gewebe eines menschlichen Herzens, befestigten an den Zellen einen Kraftsensor und einen Mikromotor, um die Präparate anschließend schrittweise zu dehnen. Dadurch konnten sie die entstehenden Kräfte messen und deren Absinken oder Ansteigen bei unterschiedlichen Formen von oxidativem Stress beobachteten. Darüber hinaus stellte das Team rekombinante Titinmoleküle her und ließ sie im Reagenzglas mutieren – dadurch konnte die Oxidierung nicht mehr stattfinden. „Die Auswirkungen von Dehnung und Oxidierung auf die Titinfeder haben wir dann mit einem sogenannten Rasterkraftmikroskop gemessen. Mit diesem Gerät konnten wir einzelne Titinmoleküle wie ein Gummiband aufspannen und die dabei entstehende Kraft, beziehungsweise deren Veränderung bei Oxidierung aufnehmen“, erklärt Wolfgang Linke.
Bei der diastolischen Herzinsuffizienz, einer häufigen Erkrankung bei älteren Menschen, ist die Herzversteifung ein Kardinalproblem
Wolfgang Linke
Die Wissenschaftler zeigten in ihren Versuchen, dass der UnDOx-Mechanismus bei Herzen unter oxidativem Stress auftritt. Das ist zum Beispiel der Fall nach einem akuten Herzinfarkt oder bei chronischen Herzerkrankungen, die mit veränderter Dehnbarkeit der Herzwände einhergehen. „Der Mechanismus reguliert also die Herz-Dehnbarkeit. Eine Versteifung ist für das Herz ungünstig, weil dann weniger Blut einströmt. Bei der diastolischen Herzinsuffizienz, einer häufigen Erkrankung bei älteren Menschen, ist die Herzversteifung ein Kardinalproblem. Wir hoffen, diese Herzen durch pharmakologische Regulation der Titinoxidation – also durch Medikamente – wieder dehnbarer zu machen“, fasst Wolfgang Linke zusammen.
Quelle: Westfälische Wilhelms-Universität Münster
15.09.2020