Wie aus wenig noch weniger werden könnte - Dosisreduktion für die Kleinsten
Die Strahlenbelastung von Kindern ist ein besonders heikles Thema, denn natürlich möchte man diese so niedrig wie möglich halten, um die Wahrscheinlichkeit für Folgeschäden zu minimieren. In der Abteilung Pädiatrische Radiologie im Dr. von Haunerschen Kinderspital in München ist in den letzten 35 Jahren eine in dieser Form zumindest europaweit einzigartige Datenbank entstanden, die wichtige Erkenntnisse über die Strahlenbelastung bei pädiatrischen Röntgenuntersuchungen liefert.
Seit Einführung der Datenbank im Jahre 1976 durch den damaligen Leiter der Kinderradiologie, Dr. med. Helmut Fendel, wurden alle Röntgenuntersuchungen, die im Dr. von Haunerschen Kinderspital durchgeführt wurden, im Hinblick auf Untersuchungsart, Aufnahmetechnik und Dosis genauestens dokumentiert. Die Auswertung der Datenbank, in welcher mittlerweile insgesamt mehr als 310.000 konventionelle Röntgenuntersuchungen archiviert sind, zeigt erstaunliche Ergebnisse. „Seit Beginn der Dokumentation können wir zum Teil ganz beträchtliche Dosisreduktionen beobachten“, erklärt Dr. Michael Seidenbusch, Arzt und Medizinphysiker am Dr. von Haunerschen Kinderspital.
Während bei projektionsradiografischen Untersuchungen der Dosisbedarf um etwa den Faktor 2 bis 3 gesunken ist, haben wir beispielsweise bei der Miktionszysturethrografie, der häufigsten Durchleuchtungsuntersuchung im Kindesalter, die Strahlendosis sogar um den Faktor 100 reduzieren können,
natürlich abhängig von der Altersgruppe der Kinder. Weiterhin konnten wir anhand von Literaturstudien nachweisen, dass die Strahlendosen, die im Dr. von Haunerschen Kinderspital appliziert werden, seit Jahrzehnten zu den niedrigsten in Europa zählen“, erklärt Seidenbusch.
Ist diese enorme Dosisreduktion allein auf den technischen Fortschritt zurückzuführen? Zu einem großen Teil ist dafür nach Ansicht von Dr. Seidenbusch in der Tat die technische Weiterentwicklung der Röntgengerätetechnik verantwortlich. „Die optimale Abstimmung sämtlicher Komponenten der Röntgeneinrichtung aufeinander, angefangen vom Röntgengenerator und dem Röntgenstrahler über die Zusatzfilterung und die Einblendung bis hin zum Bildempfängersystem, bildet eine unabdingbare Voraussetzung für die Dosisoptimierung.
Diesen Weg möglichst konsequent beschritten zu haben, ist das besondere Verdienst des derzeitigen Leiters der Kinderradiologie, Prof. Dr. med. Karl Schneider. Die häufigsten Röntgenuntersuchungen beim Kind sind derzeit gemäß Röntgenverordnung durch Specific Operational Procedures (SOP) für jede Altersgruppe standardisiert. In Zukunft sollte es aber möglich werden, streng patientenbezogene, individuelle Röntgenuntersuchungen durchzuführen. Allerdings fehlt uns dazu momentan noch ein Algorithmus“, blickt der Medizinphysiker in die Zukunft.
Auf der Grundlage der riesigen Datensammlung haben Schneider und Seidenbusch in den letzten Jahren an der Entwicklung neuer Algorithmen zur computergestützten Dosisrekonstruktion gearbeitet. Dazu musste zunächst aus fünf verschiedenen Datenbanksystemen eine einheitliche Datenbasis geschaffen werden, aufgrund der Heterogenität der Datenformate kein einfaches Problem. Die zweite Aufgabe bestand darin, die zu einer Dosisrekonstruktion erforderlichen Röntgenexpositions-Parameter aus den Datenbankaufzeichnungen zu ermitteln. „Leider sind die Dateneingaben in der täglichen Routine oftmals nicht standardisiert erfolgt, weswegen wir einen Algorithmus finden mussten, der sozusagen mitdenkt und je nach Datenlage fehlende Daten aus Hintergrundtabellen ergänzt“, schildert Michael Seidenbusch seine Aufgabenstellung. Schließlich mussten aus der Datensammlung Einfalldosen und aus diesen über neu errechnete Umrechnungsfaktoren dann Organdosen ermittelt werden. Die Gesamtheit der Organdosen bzw. die hieraus zu errechnende effektive Dosis kann derzeit als Maß für die Strahlenbelastung des Kindes betrachtet werden.
Wobei sich Seidenbusch und seine Kollegen gegen die Anwendung der ‚effektiven Dosis‘ in der Kinderradiologie vehement zur Wehr setzen, denn „dieser Dosisbegriff wird ja in der Radiologie im Allgemeinen und in der pädiatrischen Radiologie im Besonderen eigentlich fälschlicherweise eingesetzt. Letztlich stellt allein die Gesamtheit aller kumulativen Organdosen einen validen Parameter für das Strahlenrisiko des Kindes dar. Und diesen Satz aus rund 40 Organdosen für jeden einzelnen Patienten aus den in der Datenbasis enthalten Expositionsdaten zu ermitteln, das war die Aufgabenstellung, die wir unter anderem in den letzten Jahren für die konventionelle Radiologie wahrgenommen haben und gegenwärtig auf die Computertomografie übertragen“, so Seidenbusch.
Vieles von dem, woran Dr. Seidenbusch forscht und arbeitet, hat solches Sisyphus-Format. So werden in München momentan auch neue Wege in der CT-Dosimetrie beschritten. Die Experten der Kinderradiologie gehen nämlich davon aus, dass die Umrechnungsfaktoren, die von deutschen und englischen Kollegen im Jahr 1993 ermittelt wurden, mittlerweile den Expositionsbedingungen in der Computertomografie, speziell in der pädiatrischen, hochauf lösenden Computertomografie, nur mehr bedingtgerecht werden. Der Physiker schließt daher gerade eine äußerst aufwendige Berechnung neuer Konversionsfaktoren ab, die dann wiederum auf die Expositionsdaten in der bereits neu erstellten CT-Datenbasis angewandt werden.
Auch gibt es in München bereits erste hoffnungsvolle Ansätze einer Zusammenarbeit mit den Geräteherstellern für die Umsetzung einer adäquaten CT-Dosimetrie für Kinder. Denn bei den immer häufigeren CT-Untersuchungen ist die Möglichkeit zur Rekonstruktion valider Organdosen, wie zum Beispiel der Schilddrüsen- oder der Brustdrüsendosis im klinischen Routinebetrieb, wie sie wiederum dank des Haunerschen Datenbanksystems sorgfältig dokumentiert und publiziert werden könnten, ebenfalls ein gutes Verkaufsargument für innovative Geräte.
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Im Profil
Der Münchner Dr. Michael Seidenbusch war nach dem Studium der Physik an der Technischen Universität München Diplomand in der Arbeitsgruppe Dosimetrie am Institut für Strahlenschutz des GSF – Forschungszentrum für Umwelt und Gesundheit in Neuherberg. Im Städtischen Krankenhaus Schwabing lässt er sich von 1993-95 zum Medizinphysiker ausbilden. Parallel absolviert er ein Fernaufbaustudium der Medizinischen Physik und Technik an der Universität Kaiserlautern. Ab 1996 ist er dann auch für Humanmedizin an der Universität München eingeschrieben. Als Doktorand kommt er 2002 in die radiologische Abteilung des Dr. von Haunerschen Kinderspitals.
Seit seiner Promotion ist er hier wissenschaftlicher Mitarbeiter, nach seiner Approbation 2009 war er zeitweise auch Assistenzarzt in der Abteilung von Prof. Reiser am Uniklinikum München. Dr. Seidenbusch ist Träger des zweiten Behnken-Berger-Preises für das Jahr 2009.
11.05.2012