Virtueller Testlauf mit Potenzial

Foto: Land NRW / Ralph Sondermann

Artikel • Telekonsile gehen in NRW in die Pilotphase

Virtueller Testlauf mit Potenzial

Medizinische Expertise standortunabhängig verfügbar machen – das ist der Grundgedanke des Virtuellen Krankenhauses (VKh) NRW. So kann etwa bei einem komplexen Fall ein Spezialist einbezogen werden, der die Fallakte sichtet und per Telekonsil sein Fachwissen beisteuert. Seit Kurzem läuft die Pilotphase des Projekts, in der finalen Version soll es landesweit verfügbar sein. Prof. Dr. med. Ulf Peter Neumann, Direktor der Klinik für Allgemein-, Viszeral- und Transplantationschirurgie an der Uniklinik RWTH Aachen, berichtet über den aktuellen Stand, die künftige Spannweite und den Einfluss der Corona-Pandemie auf das ambitionierte Landesprojekt.

Bericht: Wolfgang Behrends

portrait of ulf peter neumann
Prof. Dr. Ulf Peter Neumann
Quelle: Uniklinik RWTH Aachen

Im Rahmen einer Podiumsdiskussion auf dem eHealth NRW-Kongress sprach Prof. Neumann über bisherige Erfahrungen der Uniklinik Aachen – einem der ersten Konsilgeber des Projekts – auf dem Weg zur Telemedizin und über Herausforderungen, die das Projekt bis zum Übergang in den regulären Betrieb noch zu meistern hat.

Herzstück des Virtuellen Krankenhauses sind die Telekonsile, in denen sich Mediziner über Behandlungsoptionen in komplexen Fällen beraten. „Es geht darum, gemeinsam und zeitnah eine optimale Therapie für einen Patienten festzulegen“, bringt es Neumann auf den Punkt.  „Ein solches Konsil kann etwa bei einem Patienten mit Leberkrebs angefragt werden, um zu diskutieren, ob der vorliegende Tumor resektabel ist oder ein anderer Therapiepfad erfolgversprechender ist.“ Die Beratung mündet in einer gemeinsam erarbeiteten Empfehlung, die bei beiden Konsilpartnern dokumentiert wird. Im Gegensatz zur telemedizinischen Fernbehandlung gehe es jedoch nur um Konsile von Arzt zu Arzt, betont der Klinikdirektor.

Während der Pilotphase stand zunächst die Intensivmedizin im Fokus, mittlerweile wurden die Indikationen auf den Bereich der Infektiologie sowie die Therapie refraktärer Herzinsuffizienz und resektabler Lebertumoren ausgeweitet. „Gerade im onkologischen Bereich wird die Zahl der Indikationen sicherlich noch anwachsen“, blickt Neumann voraus.  

Die Pandemie als Digital-Beschleuniger

Wie vieles andere hat die Corona-Pandemie den Zeitplan des Projekts kräftig durcheinandergebracht – doch in mancher Hinsicht konnte das Virtuelle Krankenhaus sogar von der besonderen Situation profitieren: „Die Digitalisierung hat während der Krise einen deutlichen Schub erfahren. Die Entwicklung wird befeuert durch stärkere Investitionen, aber auch die Benutzerfreundlichkeit und Akzeptanz dieser Technologien haben sich deutlich verbessert.“ Auch die bisherigen Rückmeldungen aus dem VKh-Pilotbetrieb seien ausgesprochen positiv, berichtet Neumann; die Telekonsile würden als Bereicherung wahrgenommen. „Die Entscheidungsfindung bei komplexen Fällen wird dadurch auf eine breitere Basis gestellt; bei manchen Patienten ergeben sich neue Therapiepfade, bisweilen kann eine Verlegung durch die bloße Verfügbarkeit eines zusätzlichen Spezialisten vermieden werden.“

(Daten-)Sicherheit hat ihren Preis

In der Praxis ähneln die Telekonsile den Videokonferenzen, wie sie im Verlauf der Covid-Pandemie auch in der breiten Öffentlichkeit Bekanntheit erlangt haben. „Das Format, in dem sich die Mediziner von Angesicht zu Angesicht gegenübersitzen, hat sich bei der fallbezogenen Beratung bewährt. Bei Bedarf können relevante Informationen wie Laborwerte oder Aufnahmen aus der Bildgebung, simultan eingeblendet werden.“ Weil es also um hochsensible Patientendaten geht, sind im Vergleich zu Zoom & Co. die Anforderungen an Sicherheit und Datenschutz ungleich höher. So seien für die Teilnahme spezielle Zertifikate nötig, für deren Implementierung erst eine praxistaugliche technische Lösung entwickelt werden müsse, gewährt Neumann einen Einblick in den Entwicklungsstand.

Insbesondere der Onboarding-Prozess, also die Einrichtung der IT-Systeme zur Teilnahme, ist derzeit noch zu kompliziert und aufwändig

Ulf Peter Neumann

Aus diesem Grund sind auch die Einstiegshürden höher als bei einer privat geführten Videokonferenz: Bevor eine Klinik oder Praxis ein Telekonsil führen kann, muss die technische Infrastruktur auf dem System installiert werden. Diese stellt unter anderem die Sicherheit der ausgetauschten Daten sicher. In der Pilotphase sind etwa 40 Kliniken und niedergelassene Onkologen Teil des Netzwerks, mehr als 1000 Konsile wurden bereits über die Plattform absolviert; im späteren Regelbetrieb soll der Dienst für sämtliche Krankenhäuser und Praxen in Nordrhein-Westfalen zur Verfügung stehen. Bis dahin ist jedoch noch einiges zu tun, erklärt Neumann: „Insbesondere der Onboarding-Prozess, also die Einrichtung der IT-Systeme zur Teilnahme, ist derzeit noch zu kompliziert und aufwändig.“ Auch die nötigen Zertifikate müssen derzeit noch alle 3 Monate erneuert werden. Ein Softwareupdate, das für Oktober geplant ist, soll diese Vorgänge erheblich vereinfachen, so dass die Zielsetzung, das Angebot flächendeckend und niederschwellig verfügbar zu machen, erfüllt wird.

Auch wenn es an einigen Stellen noch an Feinschliff fehle, werde das Virtuelle Krankenhaus bereits gut angenommen. Die entscheidenden Bausteine – die Anfrage und Vergabe der Telekonsile, deren Durchführung sowie die unkomplizierte Einbindung diagnostischer Bilder – stünden jedoch bereits auf einem stabilen technischen Fundament. „Wir liegen aktuell gut im Zeitplan und haben im bisherigen Testbetrieb bereits viele wertvolle Erkenntnisse gewonnen“, zieht Prof. Neumann eine positive Zwischenbilanz.


Profil:

Prof. Dr. med. Ulf Peter Neumann, Direktor der Klinik für Allgemein-, Viszeral- und Transplantationschirurgie an der Uniklinik RWTH Aachen und einer der federführenden Mediziner bei der Entwicklung des Virtuellen Krankenhauses NRW. Er ist Mitglied in zahlreichen wissenschaftlichen Fachgesellschaften, darunter die Deutsche Gesellschaft für Chirurgie (DGCH), die Deutsche Transplantationsgesellschaft (DTG) sowie die Deutsche Krebsgesellschaft (DKG). Darüber hinaus ist Prof. Neumann als Gutachter für mehrere wissenschaftliche Zeitschriften mit Schwerpunkten auf Transplantationsmedizin, Chirurgie und Onkologie tätig.

15.09.2021

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