Übergewichtige leben länger

An der hohen Komorbidität von Übergewicht und Adipositas besteht kein Zweifel. Zahlreiche Studien belegen auch eine reduzierte Lebenserwartung. Umso überraschender sind Daten, dass Adipöse unter bestimmten Bedingungen bessere Überlebenschancen aufweisen als Normal- oder Untergewichtige, berichtete Prof. Dr. J. G. Wechsler auf dem 116. Internistenkongress in Wiesbaden.

Professor Dr. med. Dr. med. habil. Johannes Georg Wechsler, Chefarzt der...
Professor Dr. med. Dr. med. habil. Johannes Georg Wechsler, Chefarzt der Abteilung für Innere Medizin und Leiter des Zentrums für Ernährungsmedizin und Prävention (ZEP) am Krankenhaus Barmherzige Brüder, München (Quelle: Wechsler)

"Zweifelsohne sind Übergewicht und Adipositas mit erhöhter Komorbidität wie arterielle Hypertonie, Diabetes mellitus, Hyperlipidämie und Folgekrankheiten wie Herzinfarkt und Schlaganfall assoziiert. Darüber hinaus besteht eine enge Beziehung zwischen Adipositas und gehäufter Krebserkrankung, gehäuften pulmonalen Erkrankungen, häufigeren gynäkologischen Erkrankungen und dem Schlafapnoesyndrom. Die Lebensqualität sinkt mit Zunahme des Körpergewichts. 

Umso überraschender sind Daten, dass Adipöse unter bestimmten Bedingungen bessere Überlebenschancen aufweisen als Normal- oder Untergewichtige. Dies wird als Adipositas-Paradoxon bezeichnet, weil es vordergründig nicht erklärbar ist. Richtig ist, dass Adipöse bei schwerwiegenden Eingriffen wie der Bypass-Chirurgie oder bei Operationen im gastrointestinalen Bereich der Onkologie peri-, intra- und postoperativ bessere Überlebenschancen haben. Verschiedene Faktoren können diskutiert werden, um dieses Paradoxon zu erklären. So ist in erster Linie peri-, intra- und postoperativ aufgrund der bekannten Risiken eine höhere Aktivität, Vorsorge und Vigilanz des OP-Teams und der perioperativen Überwachungssysteme festzustellen. Die moderne Medizin ist heute in der Lage, auch Hochrisikopatienten perioperativ sowohl im OP als auch auf der Intensivstation hervorragend zu betreuen.

Ein weiterer Aspekt ist möglicherweise doch die erhöhte Reservekapazität nach schwerem Trauma im Postaggressionsstoffwechsel. Der Adipöse hat entscheidende Energiereserven im Gegensatz zum Normal- oder Untergewichtigen. Die Bedeutung der postoperativen Ernährung und Vermeidung einer Katabolie ist für eine adäquate Immunantwort notwendig. Aus zahlreichen Studien der Ernährungsforschung ist bekannt, dass die parenterale Ernährung nicht in der Lage ist eine adäquate Immunität zu gewährleisten. Insofern ist bei fehlender Möglichkeit einer enteralen Ernährung der Adipöse im Vorteil. Möglicherweise spiegeln sich diese metabolischen und Energieaspekte in besseren Überlebenschancen Adipöser wider.

Kritisch anzumerken ist, dass die vorliegenden Studien längerfristig die Prognose adipöser Patienten
noch nicht berücksichtigen. Solange muss Adipositas weiterhin als Risikofaktor betrachtet werden, der
mit einer erhöhten Komorbidität und einer erhöhten Sterblichkeit einhergeht."

30.04.2010

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