Bildquelle: Gioretti et al., Communications Biology 2022 (CC BY 4.0)
News • Seltene Krebserkrankung
Tumor im Thymus: Forscher klären Ursprung
Der Thymus ist lebenswichtig für die Abwehr von Infektionskrankheiten sowie Krebs. In seltenen Fällen kann in dem unscheinbaren Organ des Immunsystems ein Tumor entstehen, über dessen Entwicklung wenig bekannt ist. Forschende des Max-Planck-Instituts für Immunbiologie und Epigenetik in Freiburg haben nun das erste Tiermodell entwickelt, um dem Ursprung des Thymuskrebses auf die Spur zu kommen.
Die Ergebnisse zeigen, dass der Tumor aus Zellen entsteht, deren Ausreifung durch bestimmte genetische Veränderungen blockiert wird und damit die Immunabwehr abschwächt. Das Projekt wurde von der Wilhelm Sander-Stiftung unterstützt und kürzlich im Fachjournal Communications Biology publiziert.
Der Thymus ist ein für die Immunabwehr unerlässliches Organ im Brustkorb. In ihm reifen zum einen die sogenannten Killerzellen, die virusinfizierte und entartete Zellen zielgerichtet zerstören können und zum anderen Helferzellen, die den Antikörper-produzierenden B-Zellen wichtige Hilfe bei der Bekämpfung fremder Stoffe im Körper leisten. In den ersten Lebensjahren entfaltet der Thymus seine größte Aktivität, muss doch das Immunsystems des Körpers schnell und zuverlässig mit Abwehrzellen ausgestattet werden. Nach Erfüllung dieser lebenswichtigen Aufgabe wird der Thymus kleiner, verschwindet aber auch im fortgeschrittenen Alter nicht vollständig. In seltenen Fällen kommt es zur bösartigen Entartung des Thymusgewebes. Auch wenn der Großteil dieser Tumore langsam wächst, erfordern sie rasche Behandlung, um das Leben der Patienten zu retten. Derzeit steht in der Therapie vor allem die chirurgische Entfernung im Vordergrund, da der Ursprung und die Eigenschaften der Thymus-Tumoren nur unzureichend bekannt sind. Erst deren Kenntnis ermöglicht die Entwicklung zielgerichteter Therapien.
Ein in der Krebsforschung bewährtes und erfolgreiches Prinzip ist die Nutzung von Tiermodellen, an denen die Besonderheiten der verschiedenen Krebsarten erforscht und neuartige Therapieformen erprobt werden können. Diesen Weg haben die Forschenden um Prof. Thomas Boehm im Max-Planck-Institut für Immunbiologie und Epigenetik in Freiburg eingeschlagen. Ihr Ausgangspunkt war die Entdeckung einer bei Thymus-Tumoren oft auftretenden genetischen Veränderung in einem Gen, welches die Funktion eines Schalters für die Aktivierung zahlreicher anderer Gene ausübt. Allerdings war bislang unklar, wie diese unscheinbare Änderung des Gens namens GTF2I zur Tumorentstehung führt. Um dieser Frage nachzugehen, nutzten die Forschenden einen Trick. Sie veränderten die genetische Information von Mäusen derart, dass die betroffenen Tiere im Thymus den mutierten Schalter aktivieren. Aus dem Vergleich mit gesunden Mäusen ließen sich die Veränderungen im Thymus der kranken Tiere genau verfolgen.
Im Thymus befinden sich zwei Klassen von Zellen. Ein erster Typ, der als Stroma bezeichnet wird, stellt eine Nische bereit, in der sich der zweite Zelltyp, die Immunzellen, einfindet und reift, bis er den Thymus verlassen und im Körper die erwünschte Überwachungsfunktion wahrnehmen kann. Die in Tumoren zu findende genetische Veränderung im GTF2I-Gen wirkt sich in den Stromazellen aus, die sich lebenslang aus sogenannten Stammzellen erneuern. Die Untersuchungen zeigen, dass das mutierte GTF2I-Gen die Erneuerung der Stromazellen behindert. Sie bleiben auf halbem Weg stehen und können deshalb ihre Unterstützungsfunktion für die Bildung der Immunzellen nur unzureichend wahrnehmen. Dieser Effekt wirkt sich mit fortschreitendem Alter immer stärker aus und kann die Häufung von Thymuskrebs in der zweiten Lebenshälfte erklären. Diese Entdeckung ist in zweierlei Hinsicht bedeutsam. Zum einen konnten die Forscher damit einen bisher unbekannten Zwischenschritt im Bildungsprozess des Stromas im Thymus identifizieren und zum anderen zeigen, dass dieser eine besondere Empfänglichkeit für die bösartige Transformation markiert. Die Untersuchungen zeigen allerdings auch auf, wie Medikamente gezielt daraufhin überprüft werden können, ob sie diese Blockade überwinden und die Bildung des Stromas damit wieder normalisieren können.
„Unsere Untersuchungen zeigen einmal mehr, wie bedeutsam Tierexperimente für Fortschritte im Verständnis menschlicher Tumorerkrankungen sein können. Dies gilt insbesondere für seltene Erkrankungen, die oft nur ungenügend Aufmerksamkeit finden“, so Boehm. Die Forscher wollen ihr Tiermodell nun weiter verfeinern, um es der bei Patienten aufgefunden Situation noch besser angleichen zu können. Insbesondere hoffen sie, dass sich aus der genauen Kenntnis der schrittweisen Entwicklung der Tumore ein stadienabhängiges Therapiekonzept entwickeln lässt, welches eine risikoadaptierte Behandlung der betroffenen Patienten erlauben könnte.
Quelle: Max-Planck-Institut für Immunbiologie und Epigenetik
09.11.2022