Toxikologen befürchten Gefahr für Umwelt- und Gesundheitsschutz

Das Fach Toxikologie wird von der Hochschulpolitik in Deutschland sträflich vernachlässigt. Dabei haben die Aufgaben der "Giftkunde" zugenommen. Die Gesellschaft für Toxikologie warnt vor gefährlichen Lücken im Gesundheits- und Umweltschutz und fordert, den Abbau von Ausbildungsplätzen zu stoppen und neue Institute zu schaffen.

Bei ihrer Jahrestagung vom 9. bis zum 12. März in Kiel legt die Fachgesellschaft ein Positionspapier zur Lage der Toxikologie in Deutschland vor. Schon in den Jahren 1975 und 2000 hatte die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) zwei Denkschriften herausgegeben, in denen ein Ausbau der Toxikologie angemahnt wurde, um Verbraucher und Umwelt besser vor Risiken zu schützen. Insbesondere fehle es an akademisch aus- und weitergebildeten Toxikologen. Eine Besserung ist leider nicht eingetreten – im Gegenteil.

Traditionell war in Deutschland die Toxikologie an den Universitäten in gemeinsamen Instituten mit der Pharmakologie angesiedelt, also an medizinischen Fakultäten. Dies hatte unter anderem mit der Aufgabe zu tun, die Toxizität von Arzneimitteln zu erforschen. Inzwischen haben sich die Themenbereiche jedoch längst erweitert und die Schwerpunkte verlagert, so zur chronischen Giftigkeit von Stoffen, zur moderner Analytik (Biomonitoring) sowie zur Verringerung von Tierversuchen. Die Toxikologie untersucht zum Beispiel die gesundheitlichen Auswirkungen von hormon-ähnlichen Stoffen in Lebensmitteln und in der Umwelt sowie von Partikeln in der Luft, oder sie nimmt die Risikoabschätzung bei der Nanotechnologie vor.

In medizinischen Fakultäten wird die Toxikologie fatalerweise als nicht mehr sehr bedeutsam angesehen. Dies hat dazu geführt, dass zahlreiche toxikologische Lehrstühle umgewidmet oder ganz abgeschafft wurden. Die Mehrzahl der medizinischen Fakultäten verfügt heute nicht mehr über ein toxikologisches Institut. In zahlreichen anderen Ländern, zum Beispiel in den angelsächsischen, sind hingegen toxikologische Arbeitsgruppen oder Professuren meist an naturwissenschaftlichen Fachbereichen angesiedelt.

Toxikologische Expertise ist notwendig, um Gefahren für Menschen abzuwenden – sei es am Arbeitsplatz, als Verbraucher oder aus der Umwelt. Umgekehrt können die Experten unbegründete Sorgen durch fachliche Argumentation abbauen. Behörden und andere Institutionen sowie auch die Industrie benötigen mehr denn je gut ausgebildete und erfahrene Toxikologinnen und Toxikologen für die nachhaltige Entwicklung und Sicherheitseinschätzung von zum Beispiel Medikamenten, Pflanzenschutz- und Nahrungsmitteln sowie zahlreichen Produkten des täglichen Bedarfs. Dies ist nur durch den Ausbau der universitären Lehr- und Forschungsstellen zu erreichen.

Die deutsche Gesellschaft für Toxikologie ist eine der weltweit führenden Fachgesellschaften auf diesem Gebiet, was sich unter anderem an der Arbeit ihrer Mitglieder in internationalen Vereinigungen zeigt. Dagegen gibt der Zustand des Faches Toxikologie an den Hochschulen Anlass zu großer Besorgnis für die künftige Entwicklung. "Das Potenzial ist in Deutschland noch vorhanden", erklärt die Vorsitzende der Fachgesellschaft, Prof. Ursula Gundert-Remy (Berlin), "aber es muss auch gefördert und genutzt werden". Angesichts der Altersstruktur sei es für die Erfüllung der Aufgaben in Zukunft unabdingbar, dafür zu sorgen, dass kompetenter Nachwuchs in den Hochschulen ausgebildet werden kann. Die Fachgesellschaft hat ihrerseits Weiterbildungskurse eingerichtet. Die Ausbildung von Toxikologen ist jedoch Aufgabe der Hochschulen.

Die Toxikologie ist eine Wissenschaft an der Schnittstelle zwischen Grundlagen- und angewandter Forschung. Ein hohes Niveau toxikologischer Forschung stellt sicher, dass bei Auftreten neuartiger Probleme bei der Entwicklung von Medikamenten, Chemikalien und Materialien eine wissenschaftlich fundierte Bewertung möglich ist und Anleitungen zum weiteren Vorgehen erstellt werden können.

Die Gesellschaft für Toxikologie mahnt an, dass jede Universität über eine toxikologische Forschungseinrichtung (Institut, Lehrstuhl, planmäßige Professur) verfügen muss. Es geht um eine Größenordnung von 40 bis 60 notwendigen Stellen. Sie wiederholt die bereits vor 40 Jahren aufgestellten Forderungen der DFG. Die Fachleute erinnern auch an die Verantwortung der Ministerien der Länder und des Bundes für die Gesundheit der Bevölkerung und für die wirtschaftliche Entwicklung Deutschlands. Sie betonen, dass kurzfristige Einsparungen mit einem Risiko für vermeidbare Schäden bei Mensch und Umwelt erkauft werden.

 

Quelle: Pressemitteilung der Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften

02.03.2015

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