Die Forscher Alexander Hoischen und Lisenka Vissers vom Radboud University...
Die Forscher Alexander Hoischen und Lisenka Vissers vom Radboud University Medical Center zählen zu den leitenden Wissenschaftlern der aktuellen Studie

Bildquelle: Radboud UMC

News • Diagnostischer Meilenstein

Seltene Erkrankungen: Genetische Reanalyse bringt über 500 Diagnosen

Die Ursache für seltene, erblich bedingte Erkrankungen zu finden, ist häufig schwierig. Durch neue genetische Forschungsansätze haben jetzt jedoch mehr als 500 Patienten eine Diagnose für ihre seltene, ungeklärte Erkrankung erhalten.

Dazu gehören Menschen mit neurologischen Störungen, schweren geistigen Beeinträchtigungen, Muskelerkrankungen und Verdacht auf erbliche Tumor-Erkrankungen des Magen-Darm-Trakts. Die Diagnosen wurden durch eine Reanalyse der genetischen Daten von einem umfassenden europäischen Forschungsteam unter der Leitung von Forschenden des Radboud University Medical Center Nijmegen in den Niederlanden, der Universität Tübingen und des National Center for Genomic Analysis in Barcelona ermöglicht, an der auch das Universitätsklinikum Bonn (UKB) beteiligt war. Die Arbeit ist nun in der Fachzeitschrift „Nature Medicine“ erschienen.

Das Projekt ist ein großer Erfolg in Bezug auf die internationale Zusammenarbeit sowie die standardisierte Datenerhebung, -analyse und -auswertung

Stefan Aretz

Eine Krankheit gilt als selten, wenn weniger als 50 von 100.000 Menschen davon betroffen sind. Von den mehr als 6.000 seltenen Erkrankungen, die bisher bekannt sind, haben mindestens 70% eine genetische Ursache. Da diese Krankheiten so selten sind, ist es jedoch schwierig, die genaue Ursache im Erbgut zu bestimmen. 

Ein großes europäisches Forschungsteam hat nun aber versucht, die genetische Ursache der seltenen Erkrankung zu identifizieren, in dem eine sehr große Zahl von Patienten genetisch untersucht wurde. Dafür wurden die Daten des Erbguts (Genoms) von insgesamt über 6.400 Betroffenen und rund 3.200 nicht-betroffenen Familienmitgliedern aus Europa umfassend untersucht. Die Forschenden analysierten die genetischen Daten mit neusten Ansätzen, um möglichst viele Diagnosen stellen zu können. Dafür mussten die Analysemethode und die  Auswertkriterien zwischen den Krankheitsbildern und Zentren harmonisiert werden. 

Diese großangelegte Untersuchung wurde durch Solve-RD („solving the unsolved rare diseases“) ermöglicht – eine große europäische Zusammenarbeit, an der 300 Forschende aus zwölf europäischen Ländern und aus Kanada beteiligt waren. Die Patientenkohorten und das Fachwissen wurden von mehreren Europäischen Referenz-Nnetzwerken (ERN) bereitgestellt, die sich auf bestimmte seltene Krankheiten konzentrieren. Das Universitätsklinikum Bonn gehört zu den Gründungsmitgliedern des ERN GENTURIS, das sich mit Tumorrisiko-Syndromen befasst, und trug vor allem zur genetischen Analyse von Patienten mit einer vermuteten erblichen Form von Darmtumoren (Polypenerkrankung oder Darmkrebs) bei. 

Es zeigte sich: Durch die umfassende Analyse konnte bei über 500 Patienten und ihren Familien mit seltener Erkrankung eine klare genetische Diagnose gestellt werden. Für 15% dieser Patienten bestehen durch die geklärte Diagnose medizinische Handlungsmöglichkeiten, insbesondere neue Behandlungsoptionen und vorbeugende Maßnahmen – in anderen Fällen verschafft die Diagnose zumindest Klarheit. „Die durch unsere großangelegten Reanalyse gestellten Diagnosen helfen insbesondere den Familienangehörigen, die ihr eigenes Erkrankungsrisiko durch genetische Testung nun viel präziser ermitteln lassen können“, erklärt Anna Sommer, Doktorandin am Institut für Humangenetik des Universitätsklinikums Bonn und Mit-Erstautorin der Publikation. „Unter anderem konnten wir auch eine neue Genotyp-Phänotyp-Assoziation herstellen, die dazu beitragen könnte, die zukünftige Diagnostik zu verbessern.“

Seltene Erkrankungen: Genetische Reanalyse bringt über 500 Diagnosen

Bildquelle: CNAG

„Insbesondere hat sich gezeigt, dass die erneute Analyse bereits vorhandener genetischer Daten mit neuen Methoden und großen kombinierten Patientenkohorten diagnostische Vorteile bringt“, ergänzt Stefan Aretz, Professor für die Genetik erblicher Tumorsyndrome und Leiter des ERN GENTURIS Solve-RD-Teams in Bonn, und lobt auch die internationale Zusammenarbeit: „Das Projekt ist ein großer Erfolg in Bezug auf die internationale Zusammenarbeit sowie die standardisierte Datenerhebung, -analyse und -auswertung.“ Viele logistische Herausforderungen konnten bewältigt werden, auch wenn zahlreiche nationale Gesetze und Vorschriften beachtet werden mussten. Dank dieses Netzwerks aus Forschenden spielt nun weniger eine Rolle, ob Betroffene mit einer seltenen Erkrankung in den Niederlanden, Deutschland oder Frankreich behandelt werden: Die Methoden zur Diagnosestellung haben sich angeglichen. 

Das Solve-RD-Projekt bietet einen strukturierten Ansatz zur Diagnose, Vorsorge und potenziellen Behandlung seltener Krankheiten. Hierdurch können die Analysen durch Experten aus verschiedenen Bereichen, wie zum Beispiel der medizinischen Genetik und der Datenwissenschaft, überprüft werden, sodass sich die diagnostische Genauigkeit erhöht. Der Ansatz wird durch die European Rare Disease Research Alliance (ERDERA) erweitert, eine neue und erweiterte Zusammenarbeit mit Koordinatoren aus Paris und führenden Forschenden von Solve-RD: Durch die Sammlung von Daten aus einem breiteren Patientenkreis und die Zusammenarbeit mit weiteren europäischen medizinischen Zentren möchte ERDERA Diagnosen für diejenigen anbieten, die bisher nicht diagnostiziert wurden – und so die Forschung zu seltenen Krankheiten verbessern. 

Im Rahmen von ERDERA wird das etablierte klinische Forschungs-Netzwerk („Clinical Research Network“) mit enger Zusammenarbeit innerhalb Europas weiterentwickelt. Dazu gehört die Ausweitung der Reanalyse von 10.000 auf über 100.000 Datensätze zu seltenen Krankheiten und die Abdeckung eines breiteren Krankheits-Spektrums. Das Projekt legt den Schwerpunkt auf den Einsatz modernster Techniken wie die Long-Read-Genom-Sequenzierung, die optische Genomkartierung und die RNA-Sequenzierung, um die Diagnose ungeklärter seltener Erkrankungen zu beschleunigen. 


Quelle: Universitätsklinikum Bonn

19.01.2025

Verwandte Artikel

Photo

News • Erkennung therapie-relevanter Genetik

Leukämie: KI hilft bei der Diagnostik

Bestimmte genetische Merkmale sind für die Diagnostik der AML-Leukämie entscheidend. Ein neues KI-basiertes Verfahren kann diese Merkmale aus Aufnahmen von Knochenmarkausstrichen vorhersagen.

Photo

News • Erforschung seltener CFTR-Varianten

Mukoviszidose: Gensequenzierung hilft bei unklarer Diagnose

Mukoviszidose (Cystische Fibrose, CF) lässt sich nicht immer genetisch eindeutig diagnostizieren. Forscher prüfen jetzt, wie Gensequenzierungsmethoden Abhilfe schaffen können.

Photo

News • Forschung & Ethik

Gesetzliche Regelungen für Zusatzfunde gefordert

Sollen Biomaterialspenderinnen beispielsweise über eine potentiell Brustkrebs auslösende BRCA-Mutation informiert werden, wenn diese als Zusatzfund in einer Studie festgestellt wird? Und wenn ja,…

Verwandte Produkte

Newsletter abonnieren