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COVID-19 und Schlaganfall: Begünstigt das Virus Schlaganfälle?
Wer an dem Coronavirus erkrankt, hat häufig ein erhöhtes Schlaganfallrisiko – das belegen aktuelle wissenschaftliche Erkenntnisse. Besonders hoch ist das Risiko für schwer erkrankte, intensivpflichtige Patienten. „SARS-CoV-2 betrifft primär die Atemwege und die Lunge. Je schlechter die Lunge belüftet ist, beispielsweise durch Lungenvorschädigungen, Übergewicht oder Immobilität durch einen früheren Schlaganfall, umso kränker wird die Lunge“, erklärte Prof. Dr. Helmuth Steinmetz, Vorsitzender der Deutschen Schlaganfall-Gesellschaft (DSG), im Rahmen einer Pressekonferenz zum Weltschlaganfalltag (29. Oktober 2020).
Nach aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnissen sind Schlaganfälle bei einer SARS-CoV-2- Erkrankung nicht selten. Vor allem bei intensivpflichtigen Patienten kann es vermehrt zu thromboembolischen Komplikationen wie ischämischen Schlaganfällen kommen. Denn wie bei anderen Entzündungen auch, kann das Coronavirus das Blutgerinnungssystem aktivieren, was das Risiko für Thrombosen und Embolien erhöht. Gelangen kleine Blutgerinnsel in das Gehirn, können sie dort die Durchblutung mindern und einen Schlaganfall auslösen. „COVID-19 ist natürlich keine monokausale Ursache für einen Schlaganfall, sondern ein begünstigender Umstand. Er ist einer der zahlreichen Risikofaktoren“, sagte Steinmetz.
COVID-19 verläuft umso schwerer, je älter und je kränker Betroffene sind. Patienten mit einer aus einem früheren Schlaganfall verbliebenen Behinderung haben einen schwereren Krankheitsverlauf als Menschen, die vorher gesund waren. „Sie gehören daher – ähnlich wie Immungeschwächte – zu den Risikogruppen, die durch SARS-CoV-2 besonders gefährdet sind. Dieser Patient wird eine COVID-19-Erkankung weniger gut überstehen als ein Patient ohne Schlaganfall“, sagte Steinmetz.
„Insbesondere wenn Risikofaktoren wie Übergewicht, Diabetes oder Bluthochdruck vorliegen, kann auch bei jungen SARS-CoV-2-Patienten vermehrt ein Schlaganfall auftreten“, ergänzte Professor Dr. Wolf-Rüdiger Schäbitz, Pressesprecher der DSG.
Kollateralschäden
Weil Deutschland die erste Welle der Pandemie gut bewältigt hat, sind die direkten Folgen der durch SARS-CoV-2 ausgelösten Schlaganfälle hierzulande überschaubar. „Doch während der Hochphase der Pandemie im März und April 2020 gab es erhebliche Auswirkungen auf die Versorgungssituation in vielen Krankenhäusern“, erklärte Schäbitz, Neurologe am Evangelischen Klinikum Bethel.
So haben die Aufnahmen auf Stroke Units abgenommen: 20 Prozent der Stroke Units verzeichneten Rückgänge von mehr als 30 Prozent, mehr als die Hälfte von zehn bis zu 30 Prozent, die übrigen Stroke Units weniger als zehn Prozent. Eine aktuelle Analyse der Schlaganfälle, die über deutsche Notfallaufnahmen akquiriert worden sind, bestätigt diesen Trend. „Vor allem in der Hochphase der ersten Welle der Epidemie – also von Mitte März bis Mitte April – wurden weniger Patienten mit Verdacht auf Schlaganfall in den Notfallaufnahmen aufgenommen“, berichtete Schäbitz.
Die erste Welle hatte auch Auswirkungen auf die telemedizinische Versorgung. „Zeitweise kam es zu 30 Prozent weniger telemedizinischen Behandlungen, obwohl die Ressourcen für die Versorgung von Schlaganfällen in den Kliniken zur Verfügung standen“, berichtete PD Dr. Christoph Gumbinger, Sprecher der DSG-Kommission telemedizinische Schlaganfallversorgung.
Der Rückgang der Zahlen liegt nach Einschätzung der Experten vor allem an der Angst davor, einen Arzt oder eine Klinik aufzusuchen. „Diese Angst ist unbegründet. Vor allem in Kliniken ist der Umgang mit Erregern – und natürlich auch mit dem Coronavirus – äußerst professionell organisiert“, sagte Steinmetz.
Die DSG empfiehlt daher dringend, Anzeichen für einen Schlaganfall auch in Zeiten der Corona-Pandemie ernst zu nehmen. „Obwohl wir auf eine mindestens so starke zweite Welle zulaufen, gibt es keine Gründe zu zögern, mit Verdacht auf Schlaganfall den Notarzt zu kontaktieren und sich einer derzeit ungeschmälerten Akuttherapie zuzuführen“, betonte der Steinmetz.
Denn bei der Diagnose und Therapie eines Hirninfarkts entscheiden oft wenige Minuten darüber, wie groß der durch die Unterversorgung verursachte Schaden im Hirn ist. Der Zeitverlust durch eine zu späte Vorstellung im Krankenhaus kann bei einem medizinischen Notfall – wie einem Schlaganfall – auch durch eine telemedizinische Behandlung nur noch teilweise wettgemacht werden“, sagte Gumbinger.
„Jeder Zeitverlust birgt Risiken, die ungleich höher sind, als eine COVID-19-Infektion im Krankenhaus zu bekommen“, mahnte Steinmetz.
Profile:
Professor Dr. Helmuth Steinmetz ist seit 1998 Lehrstuhlinhaber und Direktor der Klinik für Neurologie an der Goethe-Universität Frankfurt am Main. Er ist seit 2018 im Vorstand der Deutschen Schlaganfall-Gesellschaft.
Prof. Dr. Wolf-Rüdiger Schäbitz ist Chefarzt der Klinik für Neurologie am Evangelischen Klinikum Bethel in Bielefeld, Regionalbeauftragter der Stiftung Deutsche Schlaganfallhilfe und Pressesprecher der Deutschen Schlaganfall-Gesellschaft.
Priv.-Doz. Dr. Christoph Gumbinger ist Sprecher der Kommission Telemedizinische Schlaganfallversorgung der DSG, Koordinator FAST-Teleneurologie-Netzwerk, Leiter der Stroke Unit und Neurologischen Überwachungsstation, Neurologie und Poliklinik am Universitätsklinikum Heidelberg.
29.10.2020