News • Herzinsuffizienz, Organfibrosen

RNA-Wirkstoffe: Potential weit über Covid-19 hinaus

Als Impfstoff hat RNA bereits Furore gemacht. Damit ist das Potenzial von RNA-basierten Wirkstoffen aber noch lange nicht ausgeschöpft. Denn RNA ermöglicht völlig neue Therapieansätze.

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Prof. Thomas Thum

© Fraunhofer ITEM/Ralf Mohr

Prof. Thomas Thum, Co-Institutsleiter des Fraunhofer-Instituts für Toxikologie und Experimentelle Medizin ITEM, hat eine RNA-Therapie gegen Herzinsuffizienz entwickelt und in einer klinischen Phase-1b-Studie bereits erfolgreich an Patienten getestet. Weitere RNA-Therapien gegen Lungenfibrosen und andere Organfibrosen sind in der Entwicklung. 

RNA kann in vielen Varianten im Körper vorkommen. Am bekanntesten sind die messenger RNAs (mRNAs). Sie tragen in ihrer Struktur einen Code, der als Bauplan für Proteine dient. So codieren zum Beispiel die mRNAs in den Corona-Impfstoffen für Proteine von SARS-CoV-2. Neben den mRNAs gibt es im Körper aber eine Vielzahl von RNAs, die nicht für Proteine codieren. Viele Jahre hielt man diese RNA für Abbauprodukte längerer RNA – also für genetischen Müll. "Wir waren vor 15 Jahren eine der ersten Gruppen weltweit, die untersucht haben, ob die nichtcodierenden RNAs wirklich Müll sind. Dabei haben wir herausgefunden, dass diese RNA-Moleküle in den Zellen wichtige Steuerungsaufgaben übernehmen", berichtet Prof. Thomas Thum, der gleichzeitig das Institut für Molekulare und Translationale Therapiestrategien an der Medizinischen Hochschule Hannover leitet.

Thum konnte zeigen, dass nichtcodierende Mikro-RNAs an krankhaften Umbauprozessen im Herzgewebe beteiligt sind, so zum Beispiel die Mikro-RNA 21. Sie ist besonders häufig in Herzen, deren Bindegewebe verhärtet ist. Durch diesen Befund ergab sich die Möglichkeit für einen neuen Therapieansatz. Zusammen mit einem Kooperationspartner konstruierte Thum eine Anti-Mikro-RNA, die im Schlüssel-Schloss-Prinzip an die Mikro-RNA 21 bindet und sie damit neutralisiert. Das war der Durchbruch. Das Forschungsteam konnte zeigen, dass man durch gezielte Hemmung einer nichtcodierenden Mikro-RNA die Verhärtung von Herzgewebe verhindern kann. Diesen Befund patentierte die Arbeitsgruppe und publizierte ihn 2008 in der Fachzeitschrift Nature. Die Anti-Mikro-RNA 21 wird mittlerweile vom Pharmakonzern Sanofi in einer klinischen Phase-2-Studie bei Patienten mit Nierenfibrose getestet. 

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Um die molekularen Signalwege in gesunden und kranken Herzen besser zu verstehen, analysieren Forschende nichtcodierende Mikro-RNAs mithilfe der Real-time-PCR. Mikro-RNAs, die im Zusammenhang mit der Krankheit stehen, wie etwa die Mikro-RNA-132, können somit identifiziert werden.

© Fraunhofer ITEM/Ralf Mohr

Bei den Experimenten an Herzgewebe fiel Thums Team noch eine weitere Mikro-RNA auf. Sie trägt die Nummer 132 und stimuliert ein pathologisches Herzwachstum, das schließlich zu einer Herzinsuffizienz führt. Und auch hier ließ sich durch Hemmung der Mikro-RNA ein positiver, heilender Effekt erzielen, zuerst in den Zellkulturschalen, später in weiteren präklinischen Versuchen. Damit erfüllte die Anti-Mikro-RNA 132 alle Voraussetzungen, um in der Klinik an Patienten mit Herzinsuffizienz getestet zu werden. 

Allein in Deutschland leiden rund vier Millionen Menschen an Herzinsuffizienz. Bei ihnen ist das Herz krankhaft vergrößert und zu schwach, das Blut durch den Körper zu pumpen. Die Patientinnen und Patienten klagen über Atemnot, Wassereinlagerungen und Gewichtszunahme. "In den letzten 20 Jahren wurden in der Behandlung wenig Fortschritte erzielt", betont Thum. Nach Angaben der Herzstiftung sterben in Deutschland jährlich mehr als 40 000 Betroffene an der Krankheit. 

Mit der Gründung des Start-ups Cardior Pharmaceuticals gelang Thum 2016 der Sprung vom Labor in die klinische Studie am Menschen. Daran nahmen 28 Herzinsuffizienz-Patienten teil. Die Ergebnisse sind vielversprechend. "Wir haben gezeigt, dass die Therapie mit Anti-Mikro-RNA 132 sicher ist und keine Nebenwirkungen an anderen Organen hervorruft", berichtet Thum. "Außerdem konnten wir eine Verbesserung der Herzinsuffizienz-Marker beobachten." Nach diesem positiven Befund gab es frisches Kapital und damit grünes Licht für die Phase-2-Studie. Sie soll bereits in der ersten Jahreshälfte 2022 starten und wird an 280 Patienten in mehreren europäischen Ländern durchgeführt. 

Während die klinischen Studien laufen, arbeitet Thum mit seinem Team intensiv an neuen RNA-Therapien. Im Fokus steht dabei unter anderem die Lungenfibrose. "Die Lungenfibrose ist eine fortschreitende Erkrankung, bei der sich das Lungengewebe umbaut und die Lunge nach und nach verhärtet", erklärt der Mediziner. "Wir hoffen, dass sich diese bislang unheilbare Krankheit mithilfe der RNA-Therapie ursächlich behandeln lässt." 


Quelle: Fraunhofer-Institut für Toxikologie und Experimentelle Medizin ITEM

01.02.2022

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