Patientenzentrierung statt Zeitfenster

Moderne Bildgebung erlaubt präzisere Diagnostik von Schlaganfällen

Der Schlaganfall ist eine der häufigsten Erkrankungen in der westlichen Welt. Als Ursache für Behinderung, Arbeitsunfähigkeit bzw. Tod rangiert der Hirninfarkt in der volkswirtschaftlichen Bedeutung noch vor den Tumorerkrankungen, unterstreicht Prof. Dr. Tobias Engelhorn.

Multimodale CT- und MRT-Bildgebung bei Schlaganfall
Multimodale CT- und MRT-Bildgebung bei Schlaganfall
Multimodale CT- und MRT-Bildgebung bei Schlaganfall
Multimodale CT- und MRT-Bildgebung bei Schlaganfall

Zwei Methoden stehen prinzipiell in der Akutphase zur Behandlung zur Verfügung.

Eine Methode ist die Lysetherapie, die intravenöse Gabe eines Medikaments, das das Blutgerinnsel auflöst, erläutert der Oberarzt in der Abteilung für Neuroradiologie am Universitätsklinikum Erlangen-Nürnberg. „Bei langstreckigen Verschlüssen großer Gefäße, wie etwa der Karotis oder des Mediahauptstammes, lässt sich das Blutgerinnsel mit einem über die Leiste eingeführten Katheter absaugen oder mit einem modifizierten Stent einfangen (Stent-Retriever).“ Mit dieser zweiten Methode, die rund zehn Prozent der Patienten betrifft, kann man so Hirngefäße bei zumeist schwer betroffenen Patienten öffnen, bei denen dies mit der medikamentösen Therapie nicht gelingt.

Bildbasierte Patientenselektion ist entscheidend!

Wie selektiert man unter jenen Patienten, die mit Schlaganfall-Symptomen in die Notaufnahme kommen, möglichst schnell jene, für die sich eine Lysetherapie eignet? Insbesondere muss ausgeschlossen werden, dass der Patient eine Blutung aufweist – Blutungen ins Gehirn verursachen dieselben Symptome wie ein Schlaganfall, sie dürfen jedoch nicht mit einer Lyse behandelt werden.

CT und MRT stehen für die Diagnose zur Verfügung. Mit diesen bildgebenden Verfahren lässt sich feststellen, welches Gefäß verschlossen ist und welche Therapieentscheidung die richtige ist. „Die Computertomographie hat auf diesem Gebiet in den letzten Jahren eine Renaissance erlebt“, beschreibt Prof. Engelhorn: Die multimodale Diagnostik mittels CT – die Darstellung des Hirngewebe sowie der Gefäße und der Hirndurchblutung – liefert heute genauso gute Ergebnisse wie die multimodale MRT.“

Pathophysiologie ersetzt starres Zeitfenster

Für die Lyse gilt laut Leitlinie ein Zeitfenster von ca. 4,5 Stunden nach Auftreten der Symptome; nach dieser Frist ist bei vielen Patienten meist schon so viel Gewebe im Gehirn abgestorben, dass nur noch die Nachteile der Therapie zum Tragen kommen – bis zu fünf Prozent der Patienten bekommen aufgrund der Lysetherapie symptomatische Blutungen ins Gehirn. Dennoch profitieren noch einige Patienten auch außerhalb dieses Zeitfensters zum Teil erheblich von einer Therapie und diese gilt es mittels Bildgebung zu identifizieren. „Dieses starre Zeitfenster können wir durch die multimodale CT bzw. MRT jetzt umgehen, indem wir wenig durchblutete aber noch vitale Areale – die Penumbra – in Relation zu dem irreversibel geschädigten Hirngewebe darstellen“, so Prof. Engelhorn. Bei Patienten mit länger zurückliegenden Symptomen bzw. einem „Wake-up-Stroke“ lässt sich ebenso wie bei solchen innerhalb des Zeitfensters so feststellen, ob sich noch Hirngewebe hinter dem Verschluss durch eine Gefäßeröffnung retten lässt. „Ist das perfusionseingeschränkte aber noch vitale Areal mindestens zwanzig Prozent größer als das irreversibel geschädigte, so führen wir eine Lyse auch außerhalb des starren Zeitfensters durch“, sagt Prof. Engelhorn.

Patientenzentrierte Medizin

Die Basis hierfür ist, dass sich mit heutigen Vielzeiler-CTs und MRTs die Perfusion im gesamten Gehirn messen lässt. Zudem lassen sich die Hals- und Hirngefäße vom Aortenbogen bis zur letzten Gehirnarterie darstellen, erläutert der Neuroradiologe. Die Untersuchung zur Beurteilung des jeweiligen Patienten erfordert nur wenige Minuten. MRT bringt noch etwas genauere Ergebnisse, benötigt aber auch mehr Zeit. Somit können unabhängig von einem starren Zeitfenster diejenigen Patienten mittels CT- und MRT-Bildgebung erkannt werden, die von einer intravenösen oder intraarteriellen Therapie profitieren und nur diese werden dann auch behandelt.

Schulungen sind nötig

Allerdings müssen Radiologen und MTRAs für die Durchführung dieser anspruchsvollen Untersuchung und Therapieentscheidung geschult sein, unterstreicht der Neuroradiologe; daher zögern manche Kliniken. Prof. Engelhorn: „Das spezialisierte Team mit einem Neuroradiologen und ggf. einem erfahrenen Neurointerventionalisten muss 24/7 verfügbar sein; Teleradiologie ist aufgrund des hohen Datenvolumens und der anspruchsvollen Nachverarbeitung der Angiographie- und Perfusionsdatensätze schwierig und hilft auch nur bei Verzicht auf eine Katheterbehandlung.“

Um die neue patientenzentrierte Herangehensweise gesichert in die Breite zu bringen, bräuchte man flächendeckend qualifizierte radiologische Zentren und Stroke Units. Eine Qualifizierung von Radiologen und MTRAs sieht der Neuroradiologe als wichtigen Schritt in diese Richtung.

Im Profil

Prof. Dr. med. Tobias Engelhorn ist Oberarzt in der Abteilung für Neuroradiologie am Universitäts-klinikum Erlangen-Nürnberg. Er studierte in Heidelberg, erhielt seine radiologische Facharztausbildung am Universitätsklinikum Essen in der Allgemeinradiologie und Neuroradiologie und habilitierte in der Diagnostischen Radiologie mit Schwerpunkt Neuro-radiologie. Im Jahr 2009 erhielt er die Schwerpunktanerkennung für Neuroradiologie und wurde 2012 zum außerplanmäßigen Professor bestellt.

05.11.2013

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