Nicht Saulus, sondern Paulus

Warum die Medizintechnik-Industrie kein Kostentreiber im Gesundheitswesen ist

Technische Innovationen erleichtern und verbessern das Leben, diese Erkenntnis ist seit der industriellen Revolution Allgemeingut. Auch in der Gesundheitsversorgung leisten sie einen wichtigen Beitrag zur Verbesserung von Effizienz und Effektivität. Dennoch ist die öffentliche Haltung gegenüber neuen technischen Entwicklungen in der Medizin oft kritisch.

Photo: Nicht Saulus, sondern Paulus
Photo: Nicht Saulus, sondern Paulus

Im Gegensatz zu anderen Branchen werden sie in der Gesundheitswirtschaft selten unvoreingenommen betrachtet: Die einen befürchten eine Zunahme der Gerätemedizin, andere sehen in der zunehmenden Technisierung einen Kostentreiber. Prof. Dr.-Ing. Erich R. Reinhardt, Vorsitzender des Medical Valley EMN e. V. in der Metropolregion Nürnberg, widerspricht diesen Ansichten ausdrücklich und erklärt, warum die Medizintechnik-Industrie nicht Saulus, sondern Paulus ist. Um die Wirtschaftlichkeit in der Medizin im Allgemeinen und in der Radiologie im Speziellen zu erhöhen, sieht der ehemalige Siemens-Vorstand drei Hauptansatzpunkte. „Das Gesundheitswesen ist der größte Wirtschaftssektor der deutschen Volkswirtschaft mit einer hohen nationalen Wertschöpfung, die nicht ins Ausland verlagert werden kann und deren Potenzial künftig stärker genutzt werden muss. Dafür ist es entscheidend, den Wettbewerb zwischen den Leistungsträgern zu forcieren. Mehr Wettbewerb wird aber nur funktionieren, wenn es mehr Transparenz gibt. Die Leistung im Sinne von Qualität muss sichtbar werden, damit sie zur Grundlage von Entscheidungen taugt“, erläutert Reinhardt. Und natürlich sollte sich eine bessere Qualität auch in der Vergütung niederschlagen.

So gut begründbar diese Forderung nach einem stärkeren Wettbewerb auch sein mag, gibt es nach Ansicht des Experten dennoch Grenzen für die freie Marktwirtschaft im Gesundheitswesen. „Die Gesundheitsversorgung hat besondere und vor allem ethische und soziale Komponenten, die Regulierung erfordern. Die Frage ist nur, an welcher Stelle und wie viel davon? Der Gesundheitsökonom Prof. Neubauer hat mit dem ¸Kompass Gesundheit´ einen guten Vor schlag erarbeitet, wie man unter Berücksichtigung der sozialen Marktwirtschaft den sozialen Aspekt im Gesundheitssystem beibehält und die wirtschaftliche Komponente trotzdem voranbringt“, berichtet Reinhardt, „ich bin überzeugt davon, dass strukturelle Innovationen erforderlich sind, um voranzukommen, aber es gibt da leider hohe Barrieren, die nicht ganz einfach zu überwinden sind.“ Viele Lösungsversuche scheiterten auch an der konsensgetriebenen Kultur, die oftmals nur durchschnittliche Lösungen zulasse. Daher sieht Reinhardt vor allem darin einen Ansatz, neue Lösungen erst einmal in kleineren Regionen modellhaft zu testen und nicht gleich bundesweit zu agieren. Die Industrie ist ein wichtiger Partner für die Finanzierbarkeit eines bezahlbaren Gesundheitssystems und hat nach Ansicht von Reinhardt auch großes Interesse, sich mit nachhaltigen Strategien einzubringen: „Das Potenzial, durch technologische Innovationen die Effizienz der Versorgung zu verbessern, ist groß.“ Ansatzpunkte gibt es bei der Therapiekontrolle in der personalisierten Medizin, die sowohl die Kosten senken als auch die Qualität steigern kann. Auch bei der Medical-Valley-Initiative gibt es viele Produkte und Dienstleistungen, die die Qualität der Versorgung steigern und die Kosten senken sollen. „Die ersten Schätzungen zeigen, dass sie die Gesundheitsausgaben unter Beibehaltung des Qualitätsniveaus signifikant reduzieren können. Bis diese Produkte sich am Markt bewähren und den gewünschten Effekt zeigen, müssen allerdings noch viele Schritte gemacht werden. 2015 müssen sich die ersten Lösungen auf dem Markt bewähren. Dann wird sich zeigen, ob wir praktisch richtig gedacht und entwickelt haben“, so Reinhardt abschließend.

IM PROFIL

Prof. Dr. Erich Reinhardt begann 1983 seine Karriere bei der Siemens AG als Leiter der Applikationsentwicklung in der Magnetresonanztomographie, ehe er von 1986 bis 1990 dieses Geschäftsgebiet leitete. In Indien war Erich Reinhardt danach bis 1993 als Managing Director der Siemens Ltd. Bombay tätig. Er kam nach Erlangen zurück und wurde 1994 zum Vorsitzenden des Bereichsvorstands Medical Solutions ernannt. 2001 wurde Reinhardt zusätzlich in den Vorstand der Siemens AG berufen und führte diese Aufgabe in der neu aufgestellten Siemens AG als CEO für den Sektor Healthcare bis 2008 weiter. Bis März 2011 war er noch beratend in der Siemens AG tätig. Heute ist er Vorsitzender des Vorstands des Medial- Valley-EMN-Vereins.

 

Veranstaltungshinweis
Raum Werner
Fr, 31.05., 14:00 – 14:30 Uhr
Ökonomie in der Radiologie –
Sicht der Industrie
Reinhardt E/Erlangen
Session: Radiologie in Klinik
und Praxis VII – Ökonomische
Strategien im Gesundheitswesen
 

31.05.2013

Verwandte Artikel

Photo

Artikel • Produktpräsentationen auf der Medica 2024

Taiwan gibt Chirurgen KI-Unterstützung

Zukunftsweisende Großinvestitionen auf der einen Seite, politische Spannungen auf der anderen: Die Präsentation preisgekrönter Medizintechnik aus Taiwan auf der Medica in Düsseldorf spiegelte ein…

Photo

News • Unsicherheiten, Handlungsdruck und Chancen

Was bedeutet die Wiederwahl von Trump für die deutsche MedTech-Industrie?

Was bedeutet die Wiederwahl von Donald Trump für deutsche Medizintechnik-Unternehmen? Der Industrieverband Spectaris über Unsicherheiten und Handlungsdruck, aber auch Chancen für Neuorientierung.

Photo

News • TV-Serie blickt auf Zukunft der Medizin

Charité 2049: Von der Fiktion zur Wirklichkeit

Klimawandel, Kostendruck, KI: In Staffel 4 zeigt die ARD-Serie "Charité" die Medizin im Jahr 2049. Dazu wirft auch der Vorstandsvorsitzende der (echten) Charité einen Blick in die Zukunft.

Verwandte Produkte

Newsletter abonnieren