Neue Erkenntnisse durch Neuro-Bildgebung
Bildgebende Verfahren wie funktionelle MRI oder Diffusions-Tensor-Imaging erlauben den direkten und präzisen Blick ins menschliche Gehirn. Sie beobachten Vorgänge von der Veränderung der Zelle bis hin zu Prozessen, die Menschen beim Handeln, Denken und Fühlen aktivieren. Neurologische Krankheiten wie MS, Demenz oder Migräne können damit besser vorausgesagt, diagnostiziert und behandelt werden.
„Innovative bildgebende Verfahren wie die funktionelle Magnetresonanz oder die Diffusions-Tensor-Bildgebung nehmen heute einen wichtigen Platz in der modernen Neurologie ein. Mit ihrer Hilfe können wir Erkrankungen wie Multiple Sklerose, Demenz, Amyotrophe Lateralsklerose (ALS, eine degenerative Krankheit des motorischen Nervensystems, Anm.) oder Alzheimer besser verstehen“, sagte Prof. Massimo Filippi (Mailand), Mitglied des Komitees des Jahreskongresses der Europäischen Neurologen-Gesellschaft (ENS), der vom 19. bis 23. Juni 2010 in Berlin stattfindet. Über 3.000 Neurolog/-innen aus aller Welt treffen in Berlin zusammen.
Zu den in der Neurologie bewährten bildgebenden Verfahren, auch Neuro-Imaging genannt, zählen Technologien wie die funktionelle Magnet-Resonanz (fMRI), die Diffusions-Tensor-Bildgebung (Erweiterung der MRT) oder eine Voxel-basierte Morphometrie (VBM). Diese Technologien liefern präzise Bilder von der Struktur des Gehirnes und erlauben es den Ärzt/-innen, die funktionellen Vorgänge im menschlichen Hirn zu beobachten: von der Veränderung der Zelle bis hin zu Prozessen, die Menschen beim Handeln, Denken und Fühlen aktivieren. „Wir müssen lernen das Zentralnervensystem zu verstehen, nur so können wir Erkenntnisse über die Entwicklung der Krankheiten gewinnen und bessere Maßnahmen zur Therapie setzen“, erklärte Prof. Filippi.
Veränderungen in der weißen Gehirn-Substanz kündigen Demenz an
Neurologen erwarten mit Spannung die Ergebnisse mehrerer Neuro-Imaging-Studien auf der ENS-Tagung: „Besonders in den Gebieten Früherkennung und Diagnostik von Demenz, Multipler Sklerose, Parkinson, ALS und Migräne haben wir interessante Erkenntnisse gewonnen“ sagt Prof. Filippi. Als Beispiel nennt er die frühzeitige Diagnose von Demenz, einem Krankheitsbild, das sich auch bei Patient/-innen mit Alzheimer findet und von dem weltweit rund 35 Millionen Menschen betroffen sind: „Wir haben herausgefunden, dass sich anhand von Veränderungen in der weißen Gehirn-Substanz das Auftreten von Demenz bei älteren Menschen gezielter voraussagen lässt.“
Primär Progressiver Multiple Sklerose bis zu fünf Jahre besser einschätzen
„Wenn wir wissen, wo im Gehirn ein Schaden entsteht, können wir besser auf Krankheiten reagieren und gezielter intervenieren“, erklärt Prof. Filippi. Er und sein Forscherteam präsentierten auf dem ENS Kongress eine Studie, die sich mit Primär Progressiver Multiple Sklerose befasst (PPMS). Sie zählt zu den schwierigsten Verläufen bei MS, weil die Krankheit nicht schubweise auftritt, sondern sich der Zustand der Patient/-innen konstant verschlechtert. Mittels Diffusions-Tensor-Bildgebung haben die Forscher die „graue Substanz“ im Gehirn von MS-Patienten untersucht. Es zeigte sich, dass das Ausmaß von Gewebe-Schäden im Thalamus ein Prädiktor für die von MS ausgelösten Behinderungen nach fünf Jahren stehen. Ärzte und Ärztinnen können nun die Entwicklung von PPMS um bis zu fünf Jahren besser einschätzen.
MS-Patient/-innen mit Fatigue haben stärkeren Gewebeschwund in der grauen Substanz
In einer anderen Studie konnten Wissenschafter erstmalig das „Fatigue-Syndrom“ diagnostisch einschätzen, eine der häufigsten Nebenwirkungen von MS. Betroffene Patient/-innen leiden an ständiger Erschöpfung und sind dadurch stark in ihrer Lebensqualität eingeschränkt. In einem Verfahren, das sich Voxel-basierte Morphometrie (VBM) nennt, haben Forscher MS-Patient/-innen mit und ohne Fatigue-Syndrom sowie eine gesunde Menschen verglichen. Tatsächlich zeigten sich Unterschiede: MS-Patient/-innen mit Fatigue-Syndrom hatten einen deutlich größeren Gewebeschwund in der grauen Substanz des linken Frontallappens als die Kontrollgruppen.
Veränderungen im Gehirn von Migräne-Patient/-innen: eine progressive Krankheit?
Doch nicht immer liefern bildgebende Verfahren Hinweise zur besseren Diagnostik, Früherkennung oder verbesserten Krankheitsverlauf, manchmal müssen auch ganze Krankheitsbilder neu überdacht werden. So gehen Wissenschafter nun davon aus, dass Migräne eine progressive Krankheit ist. „Wir haben festgestellt, dass sich die Gehirnsubstanz von Migräne-Patient/-innen mit der Dauer der Krankheit verschlechtert“, erklärt Prof. Filippi. Grund für diese Annahme ist eine Studie, in der 82 Migräne-Patient/-innen mit unterschiedlicher Krankheits-Ausprägung miteinander verglichen wurden. Das Ergebnis zeigte, dass die graue Substanz je nach Ausprägung und Dauer der Migräne unterschiedlich betroffen ist.
Auch in Zukunft wird Neuro-Imaging eine wichtige Rolle in der Erforschung und Behandlung neurologischer Krankheiten spielen. Ziel ist es, die Techniken noch weiter zu verbessern. Schon jetzt fokussieren sich Wissenschaftler auf eine Kombination aus funktionellem MRT und EEG. Mit dieser Kombination hoffen sie neue Erkenntnisse zur Funktionsweise des menschlichen Gehirns.
22.06.2010