News • Kryptogener Hirninfarkt
Neue Daten zur Prävention nach Schlaganfällen ungeklärter Ursache
Bluthochdruck, Diabetes, Übergewicht, Rauchen – die Ursachen für ischämische Schlaganfälle, die oft bei älteren Patienten mit Arterienverkalkung auftreten, sind meistens bekannt. Bei kryptogenen Schlaganfällen, die oft jüngere Menschen betreffen, ist die Ursache unbekannt. Expertenvermutungen zufolge verbergen sich dahinter häufig Embolien unbekannten Ursprungs. Da sie sich wiederholen können, bedürfen sie einer medikamentösen Rückfall-Prophylaxe. Welches Medikament dafür optimal geeignet ist, sollte eine internationale Studie klären.
Die häufigste Form eines Hirninfarkts ist der Ischämische Schlaganfall. Er entsteht durch den Verschluss eines Blutgefäßes. Der dahinterliegende Gehirnbezirk wird dann gar nicht mehr oder nicht mehr ausreichend durchblutet. Es werden verschiedene Ursachen (Ätiologien) unterschieden: Erkrankungen großer Arterien (Makroangiopathie), Erkrankungen kleiner und kleinster Arterien (Mikroangiopathie), deren Verschluss zu kleinen, unterhalb der Hirnrinde gelegen Infarkten führt (sogenannte lakunäre Infarkte) sowie kardiale Embolien, bei denen kleine Blutgerinnsel (Emboli) vom Herz mit dem Blutstrom in die Gehirnarterien gelangen und es verstopfen (Embolisierung).
Eine der häufigsten Ursachen für Schlaganfälle ist eine Arteriosklerose, also eine Gefäßverkalkung. „Ältere Menschen haben oft Gefäßerkrankungen durch Bluthochdruck, Diabetes, Übergewicht und Rauchen“, erklärt Professor Dr. Hans-Christoph Diener von der Medizinischen Fakultät der Universität Duisburg Essen. „Bei sogenannten kryptogenen Schlaganfällen ist die Ursache dagegen unbekannt. Sie machen 20 bis 30 Prozent der ischämischen Schlaganfälle aus und betreffen oft schon jüngere Menschen unter 55 bis 60 Jahren.“ Bei fünf Prozent der Patienten mit einem kryptogenem Schlaganfall kommt es in den zwölf Monaten nach der ersten Erkrankung zu einem erneuten Schlaganfall.
Unter der Annahme, dass der Löwenanteil der „kryptogenen“ Schlaganfälle eine embolische Ursache hat (mit jedoch unbekanntem Ursprung des Embolus), wurde ein neuer Terminus eingeführt: ESUS („embolic stroke of undetermined source“ = embolischer Schlaganfall ungeklärter Ätiologie). Bei Patienten mit ESUS kommt daher der Prophylaxe erneuter Schlaganfälle eine besondere Bedeutung zu. Die Sekundärprävention erfolgt bisher mit Acetylsalicylsäure (ASS), einem Thrombozytenaggregationshemmer, der die Verklumpung – also die sogenannte Aggregation – von Blutplättchen/Thrombozyten hemmt.
Experten hoffen, mit Gerinnungshemmern – die auch als Antikoagulanzien bezeichnet werden – aus der Gruppe der sogenannten Nicht-Vitamin-K oralen Antikoagulantien (NOAK) einen noch besseren Schutz vor weiteren Schlaganfällen zu erreichen. „Die Wirkweise der NOAK beruht nicht wie bei ASS auf der Hemmung der Thrombozytenaggregation, stattdessen hemmen sie direkt bestimmte Blutgerinnungsfaktoren“, erläutert Professor Dr. Wolf-Rüdiger Schäbitz, Pressesprecher der Deutschen Schlaganfall-Gesellschaft (DSG).
Bisherige Untersuchungen – wie etwa die NAVIGATE ESUS-Studie [1] – haben gezeigt, dass gerinnungshemmende Mittel wie Rivaroxaban bei Patienten mit ESUS nicht wirksamer sind als ASS, um einen wiederkehrenden Schlaganfall nach einem embolischen Schlaganfall ungeklärter Ätiologie zu verhindern. Unter der Leitung von DGN-Pressesprecher Professor Dr. Hans-Christoph Diener wurde eine weitere große randomisierte Studie durchgeführt, welche die Wirkung einer Antikoagulation mit Dabigatran (einem direkten Faktor IIa-beziehungsweise Thrombinhemmer) im Vergleich zu ASS auf wiederkehrende (rezidivierende) Schlaganfälle nach ESUS untersuchte.
Bei der Studie „RE-SPECT ESUS („Dabigatran Etexilate for Secondary Stroke Prevention in Patients With Embolic Stroke of Undetermined Source“) handelte es sich um eine multizentrische, randomisierte, doppelblinde Studie, die Dabigatran 150 mg oder 110 mg zweimal täglich mit ASS 100 mg einmal täglich bei Patienten mit ESUS untersuchte. Der primäre Endpunkt war ein rezidivierender Schlaganfall. Wichtigster Sicherheitsparameter war das Auftreten schwerwiegender Blutungen als Nebenwirkung beziehungsweise Komplikation der Behandlung.
Insgesamt wurden 5.390 Patienten an 564 Standorten in 46 Ländern randomisiert. Alle hatten vor kurzem einen ESUS erlitten. Zur Rezidiv-Prophylaxe erhielten 2.695 Dabigatran und 2.695 ASS. Während einer mittleren Nachbeobachtungszeit von 19 Monaten trat ein rezidivierender Schlaganfall bei 177 (6,6 Prozent) der mit Dabigatran behandelten Patienten und bei 207 (7,7 Prozent) der mit ASS behandelten Patienten auf. Dabigatran verhinderte somit das Auftreten von Rezidiv-Schlaganfällen nach ESUS nicht signifikant besser als ASS 100. Schwere Blutungen als Therapienebenwirkung traten bei 77 (2,9 Prozent) Patienten mit Dabigatran und bei 64 (2,4 Prozent) Patienten mit ASS auf. Dabigatran hatte statistisch kein signifikant erhöhtes Risiko für schwerwiegende Blutungen verglichen mit ASS.
„Auch wenn die Studie keine Überlegenheit der Therapie mit Dabigatran gegenüber ASS zeigte, so konnte erfreulicherweise die Sorge um durch eine überschießende Gerinnungshemmung ausgelöste schwere Blutungskomplikationen ausgeräumt werden“, resümiert Professor Schäbitz, Neurologe am Evangelischen Klinikum Bethel in Bielefeld. Dabigatran und andere Substanzen der NOAK/DOAK-Gruppe bieten gegenüber den klassischen „alten“ Antikoagulanzien wie Heparin und Vitamin-K-Antagonisten, wie zum Beispiel Marcumar, verschiedene Vorteile für die Patienten. Sie sind im Gegensatz zu Heparin, welches täglich unter die Haut gespritzt werden muss, oral verfügbar und bedürfen keines strengen Therapiemonitorings wie die Vitamin-K-Antagonisten (deren Wirkung relativ schwer vorhersagbar ist und daher streng mit Blutkontrollen überwacht werden muss).
[1] Hart RG, Sharma M, Mundl H et al.; NAVIGATE ESUS Investigators. Rivaroxaban for Stroke Prevention after Embolic Stroke of Undetermined Source. N Engl J Med 2018; 378(23): 2191-201
Quelle: Deutsche Gesellschaft für Neurologie
17.05.2019