Artikel • Kontrast im Hirn
Neue Beobachtungen zur Gadolinium-Retention im Gehirn
Gadoliniumhaltige Kontrastmittel werden bei der MRT-Diagnostik zahlreicher Erkrankungen regelmäßig eingesetzt. Sie verbessern die Aussagekraft der MRT bei fast allen Untersuchungen des zentralen Nervensystems, des kardiovaskulären oder muskuloskelettalen Systems.
Insbesondere werden sie bei der onkologischen Bildgebung zur Diagnose von Tumoren oder Metastasen benötigt, aber auch, um versteckte Entzündungsherde aufzuspüren. Allerdings deuten neueste Studien darauf hin, dass deren wiederholte Verwendung zur Retention der Substanz im Gehirn führen kann (englischsprachiger Artikel). Doch warnt Prof. Dr. Ernst J. Rummeny, Direktor des Instituts für Diagnostische und Interventionelle Radiologie am Klinikum rechts der Isar der Technischen Universität München, Patienten und Radiologen davor, in Panik auszubrechen: „Es gibt weder Anzeichen von gesundheitlichen Schäden noch konnten bisher pathologische Veränderungen sicher nachgewiesen werden, die auf eine Gadolinium-Retention im Gehirn zurückzuführen sind!“
Das Seltenerdmetall Gadolinium ist eine toxische Substanz, die auf chemischem Wege in eine ungiftige Trägersubstanz eingepackt wird, damit sie sich nicht im Blut löst und dem Körper schadet. Grundsätzlich gibt es zwei verschiedene Klassen von extrazellulären Gadoliniumchelaten – lineare und makrozyklische Kontrastmittel, die überwiegend renal ausgeschieden werden. Schon länger ist bekannt, dass Gadolinium bei Niereninsuffizienz zu einer bedrohlichen Erkrankung, der nephrogenen systemischen Fibrose (NSF), führen kann.
Dauerhafte Hyperintensitäten im Gehirngewebe
Dass sich Gadolinium von seiner Trägersubstanz lösen und bis ins Gehirn gelangen kann, beschrieb 2013 als erster der japanische Radiologe Tomonori Kanda von der Teikyo Universität in Tokio. „Kanda hatte festgestellt, dass selbst Wochen nach Gabe des Kontrastmittels Signalwirkungen in bestimmten Arealen des Gehirns, dem Nucleus dentatus und Globus pallidus, auftraten. Die Anreicherung trat allerdings nur nach mehrfacher Gabe von Gadolinium auf und ist auf T1-gewichteten MRT-Aufnahmen erkennbar.“ Das war verblüffend, sollten doch bei T1-gewichteten Aufnahmen mit wenigen Ausnahmen langfristig keine hellen Strukturen im Gehirn auftauchen. Und die wenigen Ausnahmen waren klar beschrieben und behandelten Mangan-Ablagerungen bei Patienten mit Leberzirrhose. Es gab auch Fälle, bei denen Blut sowie proteinhaltige Verkalkungen zu Signalanhebungen führten. Doch diese eher seltenen Befunde spielten bei Kandas Untersuchungen keine Rolle.
Zudem treten die erhöhten Signale nicht bei allen gadoliniumhaltigen Kontrastmitteln gleichermaßen auf. „Im Nachgang von Kandas Entdeckung wurden zahlreiche Studien retrospektiv ausgewertet, aber auch prospektive und vor allem Tier-Studien durchgeführt. Während man in 14 von 15 Studien feststellte, dass bei der Nutzung von linearen Kontrastmitteln Gadolinium im Gehirn abgelagert wird, ergab sich das bei Verwendung von makrozyklischen gadoliniumhaltigen Substanzen nicht“, berichtet Rummeny und liefert zugleich eine mögliche Erklärung: „Untersuchungen zur Stabilität der Komplexverbindungen konnten zeigen, dass zyklische Kontrastmittel das Gadolinium fester binden. Das lässt darauf schließen, dass die Ablagerungen mit einer geringeren Stabilität der linearen Kontrastmittelstruktur einhergehen.“
NSF als warnendes Beispiel
Nach den heutigen Erkenntnissen würde ich den Kollegen raten, genau zu überlegen, ob sie Kontrastmittel wirklich benötigen
Ernst J. Rummeny
Gerade im Hinblick auf NSF und die Todesfälle, die auf die mehrfache und erhöhte Gabe von Gadolinium zurückgeführt werden konnten, ist die Besorgnis unter den Radiologen durchaus nachzuvollziehen. „Radiologen sind wegen der NSF gebrannte Kinder. Denn Kontrastmittel sollten sich nicht in irgendeinem Gewebe ablagern und schon gar nicht, wenn das kontrastgebende Atom giftig ist“, sagt Rummeny. Gleichzeitig warnt der Vorsitzende der Expertenkommission der DRG vor voreiligen Schlüssen: „Bislang gibt es keine Erkenntnisse zu bestätigten Gesundheitsrisiken bei diesen Ablagerungen: Die betroffenen Patienten zeigten keine klinischen Auffälligkeiten, die über die Symptome der normalen Erkrankung hinausgingen.“ Rummeny schränkt aber auch ein: „Natürlich können wir nicht vorhersagen, ob eine Erkrankung in 5, 10 oder 20 Jahren nicht doch auftreten kann.“
Und was rät der Experte nun Radiologen und Patienten? „Nach den heutigen Erkenntnissen würde ich den Kollegen raten, genau zu überlegen, ob sie Kontrastmittel wirklich benötigen. Die neuen MRT-Systeme haben an sich schon einen hohen intrinsischen Kontrast. Gerade bei Kindern und Jugendlichen sollte man daher weitestgehend ohne Kontrast auskommen oder Kontrastmittel nur dann einsetzen, wenn es dringend notwendig ist. Ist ihr Einsatz unausweichlich, sollte der Radiologe prüfen, ob er zumindest auf lineare Kontrastmittel verzichten kann. Insbesondere bei Patienten mit wiederholter Gabe gadoliniumhaltiger Kontrastmittel wie beispielsweise bei chronisch kranken Patienten, sind makrozyklische Kontrastmittel vorzuziehen.“
Die European Medicines Agency (EMA) hat inzwischen ein Risikobewertungsverfahren eingeleitet. Politiker diskutieren mit Kontrastmittelentwicklern, Ablagerungsspezialisten, Chemikern und Pathologen mit dem Ziel, herauszufinden, ob die Ablagerung von Gadolinium im Gehirn oder in anderen Geweberegionen gesundheitliche Konsequenzen für die Patienten hat. Erste Ergebnisse sind im Frühjahr 2017 zu erwarten. Mit welchen praktischen Folgen für Mediziner rechnet der Fachmann? „Die Kontrastmittelinjektion wird präzise Indikationen benötigen, bei denen die Kontrastmittelgabe klar definiert ist, wie beispielsweise im prä-operativen Bereich, bei Entzündungsfällen, in der Tumorbildgebung, bei Infektionserkrankungen und bei bestimmten Arten der MR-Angiographie.“
Deutscher Röntgenkongress 2017
Dem Einsatz von Kontrastmitteln sind auch Vorträge auf dem Deutschen Röntgenkongress 2017 in Leipzig gewidmet, den Prof. Rummeny als Präsident leiten wird. Zudem wird sich der Kongress mit Schwerpunkten wie der onkologischen Bildgebung und onkologischen Interventionen beschäftigen, sowie das Thema ‚Big Data‘ in der Radiologie erörtern: „Wir werden darüber zu diskutieren haben, wie wir diese vielen gesammelten Daten einsetzen können, um Krankheiten besser prognostizieren, diagnostizieren und therapieren zu können.“
Profil:
Prof. Dr. Ernst J. Rummeny studierte Medizin in Saarbrücken und Mainz und promovierte 1984 in Mainz. Nach einem Forschungsaufenthalt an der Harvard University und dem Massachusetts General Hospital, wo er sich mit der MRT-Kontrastmittelforschung beschäftigte, habilitierte er 1994 an der Westfälischen Wilhelms-Universität in Münster. Rummeny ist Direktor des Instituts für Diagnostische und Interventionelle Radiologie am Klinikum rechts der Isar der Technischen Universität München. Seine Forschungsschwerpunkte liegen im Bereich der Onkologischen Bildgebung. Dort interessieren ihn vor allem die Entwicklung der Schnittbildverfahren und damit verbunden die Hybridsysteme. Darüber hinaus ist er an der Optimierung von Kontrastmitteln beteiligt. Rummeny wird 2017 Präsident des Deutschen Röntgenkongresses.
Veranstaltungshinweis:
Raum: Kultbox
Samstag, 15. Oktober 2016, 10:00–11:00 Uhr
Symposium 12: MSK 2 – Sportverletzungen
Vorsitz: Ernst Rummeny (München)
13.10.2016