Bildquelle: 100% interior Sylvia Leydecker; Foto: Karin Hessmann
Artikel • Healing Environments
Ausgewogene und nachhaltige Innenarchitektur zur Förderung der Gesundheit
Die Räume einer Klinik sind sowohl ein Ort der Heilung für Patienten als auch der Arbeitsplatz für das Personal. Ausgewogene Healing Environments können zu einer Verbesserung der Krankenhausumgebung beitragen. Triste und spartanische Räume sind hingegen nur bedingt heilungsfördernd. Die damit zwangsläufig kommunizierte Haltung kann zudem kaum im Interesse einer Klinik sein, geht es doch um Gesundheit.
Artikel: Sylvia Leydecker
Wenn qualifizierte Medizin den Menschen tatsächlich in den Mittelpunkt stellt, bedeutet ein innenarchitektonisch gelungenes Healing Environment daher deutlich mehr als bloße Optik und Schönheit, sondern begreift sich als Teil der Natur mit Blick auf Gesundheit, Heilung und Nachhaltigkeit.
Wie wissenschaftliche Studien belegen, unterstützt der Blick in die Natur nachweislich den Heilungsprozess. Evidenzbasiertes Design stützt sich damit auf diverse Studien, die zeigen, dass der Aufenthalt in der Natur gesundheitsschützende und gesundheitsfördernde Wirkung, sowohl physisch als auch psychisch, entfaltet. Dieses Naturerlebnis bereichert die Innenräume einer Klinik. Die wesentlichen Weichen für in diesem Sinne nachhaltige Gestaltung werden im Neubau während der Planung oder im Rahmen einer Modernisierung im Bestand gestellt, wobei das so entstandene Healing Environment dabei ganzheitlich statt isoliert betrachtet werden sollte.
Um von seiner positiven Wirkung auch im fordernden Krankenhausalltag zu profitieren und um das mentale Befinden zu verbessern, um Energie zu gewinnen, braucht es Räume, die in ihrer Wirkung nicht nur Patienten, sondern auch das Personal berücksichtigen, statt es folgenreich zu ignorieren. Zusätzlich zur Zielgruppe zahlungskräftiger Privatpatienten, die oftmals von gehobener Atmosphäre profitieren, betrifft der Bedarf eines Healing Environments aber alle.
Für sämtliche Patienten und für das Personal braucht es daher gestalterische Qualität, um die unterschiedlichsten Facetten von Investition und Betriebskosten über Effizienz und Prozessoptimierung hin zur Aufenthaltsqualität und Atmosphäre miteinander in Einklang zu bringen. Die Wechselwirkung von Raum, Patient und Personal wird dann auch vor dem Hintergrund der gebotenen Wirtschaftlichkeit klar und sinnvoll, um sie gezielt positiv zu beeinflussen.
Bildquelle: 100% interior Sylvia Leydecker; Foto: Reinhard Rosendahl
Individuelle Lösung angepasst an den Fachbereich
Das Gesundheitswesen in sich ist dabei sehr differenziert, von Geriatrie, Orthopädie, Gynäkologie über Allgemeinversorgung hin zu Pädiatrie oder Psychiatrie, weswegen es die jeweils passende gestalterische Lösung braucht. Wirtschaftlichkeit und Healing Environment gehen dabei Hand in Hand, wenn Patienten ihre Verweildauer bei schnellerer Heilung verkürzen und die Gesundheit des Personals erhalten bleibt, was sich in reduzierten Krankenständen und erhöhter Produktivität äußert. Attraktiv sind derartige Räume ebenfalls für potenzielle Mitarbeiter, denn sie tragen zur Motivation und Bindung bei.
Wie formuliert und manifestiert sich konkret die Aufenthaltsqualität, das Healing Environment? Die Klaviatur der Gestaltung berücksichtigt dabei sinnvolle und kluge Grundrisse und Raumkonzepte, eine Wegeführung, die sich den jeweiligen Arbeitsprozessen anpasst, wohlüberlegt diese optimiert und damit reibungslos und stressfrei unterstützt. Umso großzügiger die Flächen bemessen sind, desto flexibler lassen sich veränderte Prozesse in Zukunft abbilden. Zum anderen gilt es aber auch, die Blickrichtung, die Sicherheit und Orientierung verschafft, zu berücksichtigen. Ein- und Ausblicke gezielt zu berücksichtigen, wie der Blick aus dem Fenster in die umgebende Landschaft oder zum innenliegenden Garten, sorgen für Wohlgefühl und Entspannung und reduzieren das Stressempfinden. Materialien, Farben, Texturen und Lichtlösungen die stimmig, aber gleichzeitig den strengen und komplexen Anforderungen des Gesundheitswesens gerecht werden und keinerlei folgenreiche Kompromisse eingehen, harmonieren und schaffen Aufenthaltsqualität. Konkret bedeutet das differenzierte Lichtlösungen, die mit Akzenten arbeiten, oder aber auch circadianes Licht, dass den Tageslichtverlauf abbildet. Farben, die sich an der Natur orientieren, von sanftem Creme bis Sand, akzentuierende Grünnuancen und Holzoptik wirken beruhigend, wogegen warme Farbakzente wie Terrakotta anregen. Die Farbwelt sollte dem jeweiligen Bedarf entsprechen, lebhafter Traffic erfordert zum Beispiel andere Farben als ein Ruheraum. Materialien dürfen inspirieren, ein Bad sich aber beispielsweise auf eine klare Linie beschränken. Farbe, Material, Formensprache und Licht gehen als wesentliche Elemente dabei eine Symbiose ein, weswegen letzten Endes im Einzelfall das Patentrezept nicht die beste Lösung ist.
Bildquelle: 100% interior Sylvia Leydecker
Dreidimensional erlebbare Corporate Identity
Markendenken mit einer gelungenen auch dreidimensional erlebbaren Corporate Identity rundet das Erscheinungsbild einer Klinik ab. Das erfordert in jedem Fall eine kluge gestalterische Linie, die sich an definierten Markenwerten orientiert. Die Räume kommunizieren eine Haltung wie beispielsweise Bodenständigkeit oder Exklusivität, die durch Materialien, Produkte und Farben ausgedrückt wird. Die Digitalisierung bringt dazu eine weitere Komponente ins Spiel, die Möglichkeiten und Potenziale auf einer zusätzlichen Ebene interaktiv mit dem Raum eröffnet.
Healing Environments besitzen daher strategisch das Potenzial, die Medizin zu unterstützen, weil das emotionale Befinden als wichtiger Energielieferant eine große Wirkung entfaltet. Daher bleibt eine Klinik eine Klinik, mit hochqualifizierter Medizin im Kern, die durch ihre ganzheitliche Haltung, die auch die Architektur und Innenarchitektur als starkes und resilientes Healing Environment begreift, in die Zukunft führt.
Gesundheit ist eine Angelegenheit globalen Ausmaßes. Die Wissenschaft weiß schon lange, dass Umwelt, Klima und Biodiversität das schützenswerte Fundament unserer Gesundheit bilden, denn die Umwelt ist nicht erst seit Kurzem in Gefahr. Zukunftsorientierte räumliche Lösungen für Krankenhäuser, die ein Healing Environment als Teil der Nachhaltigkeit und in Symbiose mit technischem Fortschritt integrieren, können zur Rettung beitragen. Nachhaltigkeit, auch im Sinne von ESG-Kriterien, die Umwelt, Soziales und Unternehmensführung berücksichtigen, sind auch wenn es um Gesundheit geht, umso mehr gefordert. Dafür muss nicht alles neu erfunden werden: Neue Lösungen können entstehen, Bestehendes kann optimiert und Ungenutztes erkannt werden.
Bildquelle: 100% interior Sylvia Leydecker; Foto: Karin Hessmann
Nutzung nachwachsender Rohstoffe
Hinsichtlich Lebenszyklus und Kreislauf wurden nachwachsende Rohstoffe historisch betrachtet schon immer benutzt. Biomasse, wie Holz oder Biokraftstoffe, sind heute aber keine bequeme Patentlösung, wenn in gigantischem Ausmaß durch Plantagenwirtschaft Regenwald und Ökosysteme verschwinden. Wir brauchen nachhaltige und umweltgerechte Lösungen, die ganzheitlich wirksam sind, wie beispielsweise der Einsatz von Produkten aus recycliertem Kunststoff, die den Ressourcenverbrauch senken oder Phase-Change-Materialien im Gipskarton. Der Einsatz von modernen Leuchtmitteln wie LEDs reduziert den Energiekonsum. Technologische Innovationen, auch bei Materialien, tragen dazu ebenfalls bei und lassen in eine nachhaltige Zukunft blicken.
Signifikant wird ein Healing Environment besonders dann, wenn es nicht isoliert, sondern ganzheitlich als Teil der Natur in der Gesamtperspektive betrachtet wird. Wir brauchen eine gesunde Umwelt auch im Gesundheitswesen, die sämtliche Akteure berücksichtigt, bevor das System und mit ihm die Menschen kollabieren. Das Gesundheitswesen bildet dabei selbst eine Facette im Zusammenspiel mit anderen Protagonisten wie zum Beispiel der Energie- oder Lebensmittelproduktion und dreht sich damit gemeinsam um die großen Themen unter dem Dach der Nachhaltigkeit. Verstärkt durch die aktuellen Krisen ist es wichtiger denn je geworden, auch was die Aktivität in der Immobilienwirtschaft angeht. Auf europäischer Ebene gibt es viele Gemeinsamkeiten, die den Rahmen für zukünftige Healing Environments im Krankenhaus bieten und darauf warten umgesetzt zu werden, denn die Bedürfnisse sind im Wesentlichen die gleichen. So wollen Patienten möglichst schnell gesund werden, die Bevölkerung altert, Mitarbeiter brauchen eine attraktive und die mentale Gesundheit erhaltende Arbeitsumgebung, und die Digitalisierung auf europäischer Ebene schreitet bei steigenden Energiekosten voran. Healing Environments sind so betrachtet ein globales Thema, das nicht erst in der Eingangshalle, dem Patientenzimmer oder der Kantine beginnt, aber diese konzeptionell integriert.
21.11.2022