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Nach dem Schlaganfall: Neue Therapie nutzt Plastizität des Gehirns

„Die Schlaganfalltherapie endet nicht mit der Entlassung aus der Stroke Unit“, sagt Professor Gereon R. Fink auf dem Kongress der Deutschen Gesellschaft für Neurologie in Leipzig.

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Professor Gereon R. Fink, Präsident der Deutschen Gesellschaft für Neurologie, fordert eine intensive Neurorehabilitation nach dem Schlaganfall.
Quelle: Deutsche Gesellschaft für Neurologie

„Mit einer intensiven Rehabilitationsleistung steigen die Chancen auf einen erfolgreichen Neustart im Beruf wie im Privaten erheblich.“ Altersdiskriminierung sei bei Rehabilitationsleistungen fehl am Platz, betont der DGN-Präsident. Denn ältere Schlaganfallpatienten profitieren ebenso wie jüngere von einer intensiven Neurorehabilitation. Neue Erkenntnisse zur Plastizität des menschlichen Gehirns legen nahe, dass mit innovativen Therapien noch bessere Rehabilitationsergebnisse nach einem Schlaganfall möglich wären.

So könnten nicht invasive neuromodulatorische Verfahren wie die transkranielle Magnetstimulation (TMS) oder die transkranielle Gleichstromstimulation (TDCS) begleitend zu Standardtherapieverfahren eingesetzt werden und die Funktionserholung verbessern.

Das Ziel jeder Rehabilitation lautet: Schlaganfallpatienten sollen wieder an ihren Arbeitsplatz zurückkehren oder in einen anderen Beruf einsteigen können. Gelingt dies nicht mehr bzw. ist der Patient nicht mehr berufstätig, ist das Ziel der Rehabilitation die möglichst vollständige Teilhabe und das Wiedererlangen der Autonomie. Dass Rehabilitation für alle Altersgruppen möglich und wichtig ist, konnte wiederholt belegt werden. „Ältere Menschen erhalten nach einem Schlaganfall in der Praxis allerdings oft nur eine beschränkte geriatrische Rehabilitation, während jüngere meist eine intensivere Neurorehabilitation bekommen“, sagt Professor Fink, Direktor der Klinik und Poliklinik für Neurologie am Universitätsklinikum Köln. Dahinter steckt die Vorstellung, der ältere Mensch würde von einer intensiven Behandlung wenig profitieren oder wäre sogar überfordert. „Diese altersdiskriminierende These ist längst widerlegt“, erklärt Professor Fink: „Ältere Schlaganfallpatienten profitieren nicht nur von der Neurorehabilitation, sie können sogar bis ins hohe Alter bemerkenswerte individuelle Fortschritte machen.“ Neurorehabilitation ist auch aus sozioökonomischer Sicht sinnvoll, da sie langfristig Kosten spart.

Potenzial der Rehaforschung

Diese ermutigenden Studienergebnisse belegen eindrucksvoll das Potenzial neurowissenschaftlich basierter Forschungsansätze zu innovativen Therapieansätzen in der Neurorehabilitation

Gereon R. Fink

„Wichtig ist, dass die Forschung zu innovativen Therapieansätzen in der Neurorehabilitation verstärkt wird“, betont Professor Fink. Die jüngsten Erkenntnisse zur Plastizität des menschlichen Gehirns zeigen, dass noch bessere Rehabilitationsergebnisse möglich sind. Eine große Chance bieten nicht invasive neuromodulatorische Verfahren wie die transkranielle Magnetstimulation (TMS) oder die transkranielle Gleichstromstimulation (TDCS), die begleitend zur Standardtherapieverfahren der Rehabilitation eingesetzt werden können. 

So konnte die Arbeitsgruppe von Prof. Agnes Flöel an der Berliner Charité zeigen, dass Patienten mit chronischer Sprachstörung (Aphasie) von einer Behandlung mit tDCS im Vergleich zu einer Schein-Stimulation auch noch nach sechs Monaten alltagsrelevant profitieren. Ähnliche Effekte konnte die Arbeitsgruppe von Prof. Gereon Fink, Uniklinik Köln, bei Patienten mit Halbseitenlähmung in der Frühphase der Rehabilitation mittels TMS erzielen: Im Vergleich zur Scheinstimulation verbesserte sich die Handfunktion der TMS-stimulierten Patienten, wobei die Effekte auch noch drei Monate nach der Rehabilitation nachzuweisen waren. „Diese ermutigenden Studienergebnisse belegen eindrucksvoll das Potenzial neurowissenschaftlich basierter Forschungsansätze zu innovativen Therapieansätzen in der Neurorehabilitation“, sagt Fink.

Interdisziplinäre Behandlung - sinkende Mortalität

Deutschland verfügt über ein flächendeckendes und im internationalen Vergleich hervorragendes Angebot von Rehabilitationsplätzen sowohl in Rehakliniken wie auch in ambulanten Rehabilitationseinrichtungen. „Dort arbeiten Neurologen, Logopäden, Ergotherapeuten und Physiotherapeuten interdisziplinär zusammen. Sie bemühen sich intensiv um die Schlaganfallpatienten und helfen ihnen, verloren gegangene Funktionen wie Wahrnehmung, Bewegung und Sprache möglichst vollständig wiederzuerlernen“, erklärt Professor Fink. Dennoch bedürfe es konzertierter Anstrengungen, neue Therapieansätze zur Förderung der Rehabilitation zu entwickeln, damit mehr Schlaganfallpatienten die berufliche Eingliederung gelingt und sie wieder Eigenständigkeit mit sozialer Teilhabe erreichen.

Dank der Erfolge in der Akutbehandlung des Schlaganfalls durch Lysetherapie und Thrombektomie ist der Schlaganfall heute nicht mehr die dritthäufigste, sondern nur noch die fünfthäufigste Todesursache in unserer Gesellschaft. Schlaganfallpatienten profitieren von der Behandlung auf Stroke Units, Einheiten, die auf die Behandlung von Schlaganfallpatienten spezialisiert sind. Die Kehrseite ist: Mehr Schlaganfallpatienten benötigen eine Rehabilitation, zumal die Anzahl der Schlaganfälle zunimmt.

Zwei Drittel mehr Schlaganfälle bis 2050

Pro Jahr erleiden ca. 250 Personen pro 100.000 Einwohner einen Schlaganfall. Bezogen auf Deutschland, heißt das: Jedes Jahr kommt es zu ca. 210.000 Schlaganfällen. Bis 2050 wird sich die Zahl der Schlaganfälle allein aufgrund der zunehmend älter werdenden Bevölkerung um ca. 66 Prozent erhöhen, d.h., es wird in 2050 mit mindestens 350.000 Schlaganfällen/Jahr gerechnet. Damit wird die Zahl erworbener Behinderungen ebenfalls deutlich zunehmen: Ca. 60 Prozent der Schlaganfallpatienten weisen 3 Monate nach ihrem Schlaganfall eine leichtgradige Behinderung auf, ca. 30 Prozent eine mittel- bis schwergradige Behinderung. „Der Schlaganfall ist die wichtigste Ursache erworbener Behinderungen in unserer Gesellschaft und damit der häufigste Grund für beruflichen und sozialen Rückzug“, sagt Professor Fink. „Trotz aller Bemühungen, die Öffentlichkeit zu sensibilisieren, suchen nach wie vor viel zu viele Schlaganfallpatienten und ihre Angehörigen zu spät ärztliche Hilfe. Deshalb müssen viele mit den Folgen ihres Schlaganfalls leben, sei es einer Halbseitenlähmung, einer Sprachstörung, einer Seh- oder räumlichen Wahrnehmungsstörung. Und deshalb müssen wir auch unsere Anstrengungen verstärken, das Potenzial zur Rehabilitation noch besser auszuschöpfen.“


Quelle: Deutsche Gesellschaft für Neurologie e.V.

25.09.2017

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