Quelle: Universitätszentrum für Rechtsmedizin, Lausanne-Genf
Artikel • Forensische Bildgebung
Mit High-Tech auf der Spur des Täters
Schlägereien, Verkehrsunfälle, mitunter sogar Mord: Forensische Bildgebung tritt dann auf den Plan, wenn Menschen zu Schaden gekommen sind und die Umstände geklärt werden müssen. Mit ausgefeilter Technik wie 3D-Oberflächenscans, fusioniert mit CT-Daten, rücken Experten den Lebenden und den Toten zu Leibe und entlocken ihren Verletzungen entscheidende Informationen, die mitunter das fehlende Puzzleteil in einem Kriminalfall sein können. Lorenzo Campana, forensischer 3D-Vermessungsingenieur am Universitätszentrum für Rechtsmedizin Lausanne-Genf, stellt einige der modernen bildgebenden Verfahren und ihre Besonderheiten vor.
Bericht: Wolfgang Behrends
Mithilfe der Bildgebung ist es möglich, geformte Verletzungen am Körper den Gegenständen zuzuordnen, die sie verursacht haben. Campana nennt ein praktisches Beispiel: „Wenn jemand in eine Schlägerei verwickelt wurde und dabei getreten wurde, dann verursachen diese Tritte oft Hämatome. Bei genauem Hinsehen lässt sich daraus gegebenenfalls ein Profil ablesen, das wir mit der Beschaffenheit verschiedener Schuhsohlen vergleichen können. Auf diese Weise kann ermittelt werden, wer der Verursacher einer spezifischen Verletzung war.“
Bei der Auswertung solcher Verletzungen kommt die Photogrammetrie zum Einsatz, ein Verfahren, das ursprünglich aus dem Vermessungswesen stammt und dort bereits seit Jahrzehnten verwendet wird: „Damit können detaillierte 3D-Modelle von Oberflächen erstellt werden“, erklärt Campana. „Mehrere Fotoaufnahmen der betreffenden Körperstelle werden nach vorher festgelegten Parametern wie Abstand oder Perspektive angefertigt und später durch moderne Software mit entsprechenden Algorithmen zu einem 3D-Bild zusammengesetzt.“ Die Informationen aus den Oberflächenscans lassen sich darüber hinaus mit der radiologischen CT-Bildgebung kombinieren, so dass auch Zusammenhänge mit inneren Verletzungen wie Frakturen hergestellt werden können. „Die Fusion der bildgebenden Modalitäten liefert für uns den größten Zusatznutzen, da oft die Zusammenhänge viel deutlicher werden als etwa bei einer reinen CT-Untersuchung.“
Lesen in den Spuren des Tatorts
Ähnlich verhält es sich bei der Rekonstruktion von Verkehrsunfällen: Durch den Abgleich der Informationen aus der forensischen Bildgebung mit den Beschädigungen an einem Fahrzeug lässt sich oft ein guter Eindruck gewinnen, auf welche Weise etwa ein Fußgänger von einem Fahrzeug erfasst wurde, in welchem Winkel und an welchen Kontaktstellen die Kollision geschehen ist. Das Sichtfeld der Verkehrsteilnehmer kann ebenso rekonstruiert werden wie der Schusswinkel bei Verletzungen durch Feuerwaffen. Die Untersuchungen der Rechtsmediziner basieren nicht nur auf selbst erstellten Aufnahmen: „Auch die Polizei fertigt in einigen Fällen 3D-Oberflächenscans des Tatorts an, die wir verwenden können.“
Die Gutachten, die auf diesen Ergebnissen basieren, haben juristische Relevanz: „Wir werden in solchen Fällen von der Staatsanwaltschaft mit der Anfertigung von Aufnahmen beauftragt“, sagt Campana. „Die Rückschlüsse, die wir aufgrund von Bilddaten ziehen können, sind aus rein technischer Sicht sehr aussagekräftig. Dennoch treffen wir im Gutachten keine definitiven Aussagen zu Tathergängen, da eine Fehlinterpretation nie ganz ausgeschlossen werden kann. Bei entsprechender Qualität des Bildmaterials lassen sich Abläufe allerdings mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit nachvollziehen.“
Die Lebenden und die Toten
Für eine hochwertige 3D-Fusion ist entscheidend, dass der Patient seine Position zwischen der CT-Aufnahme und dem 3D-Oberflächenscan nicht verändert, damit beide 3D-Modelle zusammenpassen. „Das funktioniert bei Toten naturgemäß einfacher“, sagt Campana. „Allerdings gibt es bei Verstorbenen andere Besonderheiten, die es zu beachten gilt.“ Nach dem Tod verändert die Haut durch verschiedene chemische Vorgänge allmählich ihre Farbe – das spielt bei der Klassifizierung von Hämatomen eine Rolle, da deren Farbe wichtige Hinweise auf Art und Zeitpunkt ihrer Entstehung gibt. „Wenn ein bestimmter Grad der Verwesung überschritten ist, ist ein Oberflächenscan nicht mehr sinnvoll. Bei diesen Leichen können CT-Aufnahmen aber immer noch wichtige Informationen liefern, zum Beispiel über eventuelle Gewalteinwirkung auf das Skelett.“
Oft versuchen Täter, ihre Spuren durch Feuer zu verwischen. Durch CT-Bildgebung kann aber auch bei verbrannten Körpern die Beschaffenheit einer Fraktur mit verschiedenen Gegenständen verglichen werden. „Ein Schlag mit dem Hammer auf den Schädel hinterlässt eine prägnante Fraktur, die wir in vielen Fällen auswerten können, um die mutmaßliche Tatwaffe zu ermitteln.“
Wenn es zum Richterspruch kommt, ist das Team der Rechtsmedizin meist nicht mehr zugegen. „Gelegentlich werden wir vor Gericht geladen, um unsere Gutachten zu erläutern, aber in der Regel bekommen wir die Urteile nicht mehr mit“, berichtet Campana. „Ich habe aber auch schon Fälle erlebt, in denen unsere Ergebnisse direkt zur Verurteilung geführt haben.“ Deutlich öfter ist das forensische Gutachten aber nur ein Glied in der Beweiskette, die letztlich zur Aufklärung eines Verbrechens führt.
Profil:
Lorenzo Campana ist forensischer 3D-Vermessungsingenieur am Universitätszentrum für Rechtsmedizin Lausanne-Genf. Nach Abschluss des Studiengangs Vermessung und Geomatik war er in der industriellen Messtechnik tätig. Die dort eingesetzten Verfahren bringt er mittlerweile im rechtsmedizinischen Kontext zum Einsatz.
09.11.2018