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Medikationsmanagement: künftig verstärkt digital

Das Krankenhauszukunftsgesetz fördert Innovation – zum Vorteil von Patienten und Leistungserbringern

Bericht: Michael Reiter

Medikationsmanagement, erklärt Andreas Lange, sei ein nach Qualität und ökonomischen Prinzipien ausgerichtetes Gesamtsystem zur Beschaffung, Verordnung, Bereitstellung und Gabe von Medikamenten. Alle Phasen, so der Diplom-Informatiker und Unternehmer, Investor und Experte für Health-IT und agile Leadership-Systeme weiter, ließen sich mit IT unterstützen – und vom Krankenhauszukunftsgesetz (KHZG) sei hier nun ein deutlicher Schub zu erwarten.

Prof. Dr. Christian Franken, CEO und Managing Shareholder, DiHeSys – Digital Health Systems GmbH, betrachtet das Medikationsmanagement als relevanten Bestandteil der Arzneimittelsicherheit. „Länder wie die USA, UK und die nordischen Staaten sind hier wesentlich weiter als wir.“ Wichtig sei daneben die Medikationsanalyse – die strukturierte Analyse der aktuellen Gesamtmedikation eines Patienten: „Hier geht es in erster Linie darum, die Effektivität der Arzneimitteltherapie zu erhöhen und Arzneimittelrisiken zu minimieren. Medikationsanalyse muss sich anschließen und eine kontinuierliche Betreuung durch ein interdisziplinäres Team ermöglichen“, so der Experte. „Nur so kann eine fortlaufende und dauerhafte Verbesserung der Arzneimitteltherapie und damit die Reduktion von Arzneimittelrisiken erreicht werden.“ ‚Interdisziplinär‘ bezieht im Krankenhaus das medizinische und pharmazeutische Personal ein, sinnvollerweise ferner die Pflege. Im ambulanten Bereich, sagt Franken, betreffe dies den behandelnden Arzt und den Pharmazeuten. In der Pharmazie werde dieses wichtige Segment durch das Fach der klinischen Pharmazie abgedeckt.

„Es geht im Wesentlichen darum, dem Patienten die richtige Medikation zur richtigen Zeit zur Verfügung zu stellen“, betont Stefan Odenbach, CEO bei PSO/eRiXa und Digital Health Manager. „Je nach Krankheit beinhaltet das eine individuelle Zubereitung, etwa bei Zytostatika, und den Ausschluss von Wechselwirkungen mit anderen Arzneimitteln – sowie bei Entlassrezepten die Erstellung eines Medikationsplans für die Nachsorge.“ 

Der Patient verstehe Medikationsmanagement als Teil einer jederzeit gesicherten Versorgung, unterstreicht Joachim Maurice Mielert vom AMOVISTA-Projekt – einem Multiplikatoren-Netzwerk aus Entscheidern.

So lief Medikationsmanagement bisher

Papier ist geduldig und als Datenträger über den Patienten durchaus pragmatisch, aber für eine datenzentrierte Versorgung völlig ungeeignet

Stefan Odenbach

Aktuell seien Medikationsprozesse papierlastig – mit viel Dokumentation und Bürokratie sowie IT-Insellösungen ohne Schnittstellen. Das erfordere viele manuelle Handgriffe bei Arzt, Pfleger, Apotheker und Patient, so Odenbachs Beschreibung. „Papier ist geduldig und als Datenträger über den Patienten durchaus pragmatisch, aber für eine datenzentrierte Versorgung völlig ungeeignet.“

Prof. Dr. Harald Schmidt, Leiter des Instituts für Pharmakologie und Personalisierte Medizin an der Universität Maastricht, vermutet als Grund für die Stagnation bei der Entwicklung digitaler Lösungen zur Medikation den wenig entwickelten Willen zur Transparenz. Auch die mangelnde Vergütung der Dienstleistung durch die Apotheker, die für das Medikationsmanagement „am besten geeigneten Gesundheitsdienstleister“ sei ein Hemmschuh. Apotheker, idealerweise Stammapotheker, wären optimal geeignet, um Verschreibungen von verschiedenen Ärzten zu integrieren und mit der Selbstmedikation abzugleichen. Weitere Hürden seien bislang komplizierte Verfahren und hohe Kosten für Hardware gewesen, die in wenigen Jahren obsolet sein könnten. 

Die Einführung neuer, besserer Technologie birgt die Herausforderung des Change-Managements; viele Stakeholder hätten Ängste und Bedenken, sagt Odenbach. Wie lasse sich hier Fortschritt voranbringen? Im ersten Schritt gelte es laut Lange, die Verordnungen vollständig zu digitalisieren und von handschriftlichen Vermerken zu befreien. Der zweite und dritte Schritt sähen vor, die Gabe zu überwachen und die Verteilung mittels Automation zu optimieren. 

Vorteilspaket dank Digitalisierung?

Technologie verspricht Vorteile, etwa Sicherheit für Patienten sowie die Verschlankung und Beschleunigung von Prozessen für alle Beteiligten der Behandlungskette mit der Folge, dass der Personalaufwand reduziert wird. Für Lange stehen die Verhinderung von Kontraindikation und eine personalisierbare Therapieoptimierung im Mittelpunkt; für Schmidt die Vermeidung von Verordnung- und Dosierungsfehlern: „weniger Nebenwirkungen, weniger Krankenhauseinweisungen wegen Neben- und Wechselwirkungen“. Franken hebt die Reduktion von Kosten und Erhöhung der Therapie- und Lebensqualität hervor und fordert: „Das muss allerdings nachgewiesen werden, was nur funktioniert, wenn ein belastbarer flächendeckender Ansatz durchgeführt wird“.

„Wir sind bereits auf dem Weg,“ erklärt Odenbach – dank Gesetzen wie dem Terminservice- und Versorgungsgesetz (TSVG), Digitale-Versorgung-Gesetz (DVG), Patientendaten-Schutz-Gesetz (PDSG) und Digitale Versorgung und Pflege-Modernisierungs-Gesetz (DVPMG). Was halten Patienten von der elektronischen Patientenakte (ePA) und Kommunikation in der Medizin (KIM) als Teil der Telematikinfrastruktur? Mielert hat Vorbehalte: „Die Implementierung von elektronischen Modulen, sei es die ePA oder der Medikationsplan oder auch nur die Verklausulierung von aus Patientensicht unbedingt vertrauens- und sicherheitswürdigen Kommunikationswegen, die sich im Ergebnis in QR-Codes abbilden, sind ungeeignet, Vertrauen herzustellen. Ganz im Gegenteil: Der Patient wünscht sich einen Heilberufler in der Apotheke, dem er vertrauen kann und der dieses Vertrauen durch transparente und verständliche Kommunikation beflügelt“. Er sehe aber auch die Vorteile einer Marktentwicklung, die die Akteure zur Digitalisierung zwingen werde: „Das ist aus Patientensicht richtig und zielführend, zumal die Implementierung der ePA und der Begleitmodule bis hin zum Impfpass nicht (…) lange dauern darf.“ Er sehe ferner einen enormen Informationsbedarf bei Bürgern beziehungsweise Patienten. 

Wirkstoffdatenbanken mit wechselseitigen Verweisen sowie UnitDose, ein Konzept mit automatisierter patientenindividueller Verpackung aller Arzneimittelformen in Kombination mit der Direktbelieferung der Stationen durch die Klinikapotheke, seien bereits verfügbar, so Lange. Die ePA-Einführung läuft seit dem 1. Januar 2021, das eRezept folgt zum Jahresbeginn 2022. Die Zugriffserlaubnis eines Patienten vorausgesetzt, könne bei neuen Verordnungen mithilfe der ePA ein erweiterter Kontraindikations-Check sowie ein optimierter Medikationsplan erstellt werden. FHIR als Standard biete hier die Basis. Die ePA „muss“ zum Kern dieser Entwicklung werden, betont Mielert, der die Patientensicht vertritt.

KHZG als Turbo

Das KHZG fördert Innovation, insbesondere die Digitalisierung, in deutschen Krankenhäusern mit insgesamt 4,3 Milliarden Euro. Den Fördertatbestand „Digitales Medikationsmanagement“ (§ 19 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5) mit seinen Muss- beziehungsweise Kann-Anforderungen beschreibt die Deutsche Krankenhausgesellschaft so: Die Einrichtung eines durchgehenden digitalen Medikationsmanagements soll die Arzneimitteltherapiesicherheit erhöhen und dazu führen, dass Informationen zu sämtlichen arzneibezogenen Behandlungen über den gesamten Behandlungsprozess im Krankenhaus zur Verfügung stehen. Mit Closed-loop-medication-Managementsystemen strebt das Fördervorhaben einen geschlossenen, umfassenden, transparenten und digitalen Medikationsprozess an. Zugleich soll die ‚Binnendigitalisierung‘ in Krankenhäusern mit Verlinkung zu zahlreichen weiteren Prozessen erreicht werden. Auch robotikbasierte Stellsysteme zur Ausgabe von Medikation fallen unter die Förderung, etwa zentrale und dezentrale Arzneimittel-Distributions- und -Stellsysteme sowie Scan-Systeme zur Verifikation von Einzelschritten des Medikationsprozesses.

Die Zukunft des technologisierten Medikationsmanagements

Nach Durchsetzung solcher Technologisierungsziele sieht Schmidt dieses Aufgabengebiet, wie in vielen anderen Ländern, in der Hand der Apotheker in Klinik und vor Ort, unterstützt durch Künstliche Intelligenz. Franken betont den interdisziplinären Ansatz dank digitaler Vernetzung; „Wenn die Daten ‚sicher digital‘ statt auf Papier in den Aktenschränken liegen, kann die Patienten-Versorgung mit mehr Qualität sichergestellt werden – mit weniger Reibungsverlusten und Zeitfressern durch wiederholte Messung von Vitalwerten sowie Zugriff auf Patienten-Daten aus der ePA und einfache Kommunikation über KIM mit anderen Ärzten bei komplexen Krankheiten“. Im Kontext dieser Telematik-Entwicklung ist dem Experten vor allem eins wichtig: Das Medikationsmanagement müsse Fachleuten vorbehalten bleiben – den akademischen Heilberufen, den Kliniken und Akteuren mit Expertise.


Lesehinweis: am 20. Mai erscheint das Buch „Geheilt statt behandelt“ von Prof. Schmidt im Plassen Verlag

30.04.2021

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