Wollen Lösungen für den Medikamentenmangel erarbeiten (von links): Uwe...
Wollen Lösungen für den Medikamentenmangel erarbeiten (von links): Uwe Weidenauer, Steffen Schweizer, Ulrike Holzgrabe, Richard Pibernik und Andrea Szczesny.

Bildquelle: Lutz Ziegler / Uni Würzburg

News • Arzneimittel im Stresstest

Lösungen gegen den Medikamentenmangel finden

Trotz Bemühungen der Politik bleibt Medikamentenmangel akut. An der Uni Würzburg befasst sich ein interdisziplinäres Projekt mit dem Thema. In umfassenden Tests werden aktuell Lieferketten lebenswichtiger Arzneimittel analysiert.

Medikamentenmangel ist eine Bedrohung, die bereits seit Jahren besteht. Selten aber fand das Thema so viel Beachtung wie im vergangenen Winter, als Berichte von fehlenden Fiebermitteln und Antibiotikasäften für Kinder die deutsche Medienlandschaft prägten. Die Reaktion aus der Politik ließ nicht lange auf sich warten: Im April stimmte das Bundeskabinett einem Gesetzesentwurf zu, der genau solche Zustände künftig verhindern soll. Dabei dominieren fehlende Fiebersäfte zwar Sendezeit und Schlagzeilen, mit weitaus gravierenderen Folgen sind allerdings Engpässe bei vielen Antibiotika, Arzneimitteln zur Krebstherapie oder sogenannten „Last-Line-Medikamenten“ verbunden. 

Ob das Gesetz hier wirklich nachhaltig Besserung bringt, wird von Experten bezweifelt. Professor Richard Pibernik, Leiter des Lehrstuhls für Logistik und Quantitative Methoden in der Betriebswirtschaftslehre an der Julius-Maximilians-Universität Würzburg (JMU), sagt etwa: „Das Problem ist heute noch größer als vor einem Jahr und das, obwohl die kritische Jahreszeit uns erst noch bevorsteht. Eine Besserung ist nicht in Sicht.“ 

Aktuell kennen wir die Time‐To‐Survive in Deutschland für unsere wichtigsten Wirkstoffe nicht. Folglich fehlt uns ein wichtiger Baustein dafür, resilienzerhöhende Maßnahmen zu identifizieren und umzusetzen

Richard Pibernik

Gemeinsam mit Professorin Andrea Szczesny, Lehrstuhlinhaberin für BWL, Controlling und Interne Unternehmensrechnung, Ulrike Holzgrabe, Seniorprofessorin für Pharmazeutische und medizinische Chemie, Dr. Uwe Weidenauer, Apotheker und Experte in pharmazeutischer Technologie, sowie Dr. Steffen Schweizer, Global Head of Procurement Lab Supply & Pharma Research bei Bayer hat Pibernik die Initiative EThICS gegründet: Essential Therapeutics Initiative for Chemicals Sourcing for the European Union. 

Weg von ad-hoc-Lösungen, hin zu stabilen Lieferketten soll es gehen. Dafür braucht es erstmal eine Analyse des Status quo. Im Bereich des Risikomanagements von Lieferketten hat sich der Begriff „Time-To-Survive“ etabliert. Diese beschreibt den Zeitraum, bis ein Lieferausfall oder -engpass zu Versorgungsengpässen und Problemen für die Bevölkerung führt. „Aktuell kennen wir die Time‐To‐Survive in Deutschland für unsere wichtigsten Wirkstoffe nicht. Folglich fehlt uns ein wichtiger Baustein dafür, resilienzerhöhende Maßnahmen zu identifizieren und umzusetzen, um die Versorgung der Bevölkerung mit lebenswichtigen Arzneimitteln sicher zu stellen“, erklärt Richard Pibernik.

Das interdisziplinäre Team hat eine Reihe von Wirkstoffen in den Fokus genommen, die sowohl eine hohe therapeutische Relevanz als auch große Abhängigkeit von globalen Lieferanten aufweisen. Anhand dieser und weiterer Arzneimittel sollen, aufbauend auf der Analyse der Lieferketten, alternative Szenarien mit höherer Versorgungssicherheit entwickelt, ökonomische Implikationen für die nationalen Gesundheitssysteme quantifiziert und daraus schließlich Handlungsempfehlungen für die Politik abgeleitet werden. 

Besonders schwer wiegt die Versorgungsabhängigkeit von China und teilweise Indien. So müsse sich Europa gerade bei vielen lebenswichtigen Arzneimitteln überwiegend oder gar vollständig auf die Lieferbereitschaft chinesischer Hersteller verlassen. Was aber passiert, wenn einer oder mehrere dieser Hersteller ausfallen? Wenn Kapazitäten nicht ausreichen und Wirkstoffe in andere Länder verkauft werden, weil diese mehr zahlen, oder gar geopolitische Gründe zu einem Lieferstopp führen? Genau solche Szenarien werden in Stresstests simuliert, um herauszufinden, wie lange die deutsche Bevölkerung mit lebenswichtigen Arzneimitteln versorgt werden kann, bevor es zu erheblichen gesundheitlichen Schäden kommt. 

Vorbereitend zu den Stresstests werden jeweils Transparenzstudien durchgeführt. Deren Ziel ist es, die globalen Lieferketten für die einzelnen Wirkstoffe sowohl chemisch‐pharmazeutisch als auch betriebswirtschaftlich zu begutachten. Es wurden die wichtigsten Prozesse und die dazugehörigen „Player“ identifiziert, deren Lieferkapazitäten ermittelt sowie Kosten‐ und Wettbewerbsstrukturen analysiert. 

Im Rahmen dieser Transparenzstudien zeigte sich auch, wie komplex und zugleich intransparent die derzeitigen globale Lieferketten sind. Welche Lieferanten an welchen Standorten die Wirkstoffe und weitere Vorprodukte unserer Arzneimittel herstellen, scheint selbst den meisten Experten aus Politik und Wirtschaft unbekannt. „Umso wichtiger ist es, dass uns mit Dr. Weidenauer und Dr. Schweizer Experten unterstützen, die nicht nur eine hervorragende pharmazeutische Kompetenz besitzen, sondern auch detaillierte Informationen zu globalen Lieferketten und wertvolle Expertenkontakte für unsere Studien bereitstellen“, so Ulrike Holzgrabe. 

Bei der Durchführung der Transparenzstudien und der Stresstests bedarf es Unterstützung durch Studierende und wissenschaftliches Personal. Hier spielen Fördergelder eine entscheidende Rolle. An dieser Front konnte zuletzt ein schöner Erfolg vermeldet werden: Die Vogel Stiftung Dr. Eckernkamp und der Unibund honorierten das Projekt mit dem mit 25.000 Euro dotierten Forschungsförderpreis. „Das ist eine gute Starthilfe, um zukünftig weitere Wissenschaftler für das Projekt zu gewinnen und so die Studien zu realisieren“, erklärt Andrea Szczesny. Zu diesem Zweck sollen zeitnah auch zwei Stellen für Doktoranden besetzt werden. 

Die aus den Stresstests gewonnenen Erkenntnisse sollen auch die Grundlage für zukünftige Anträge auf Förderungen bilden. 


Quelle: Universität Würzburg

06.11.2023

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