Quelle: Dr. Ingrid Böhm*
Artikel • Gadolinium & Co.
Kontrastmittelsicherheit in Forschung und klinischer Praxis
Kontrastmittelunverträglichkeit ist schon lange ein Thema in der Radiologie, durch die Gadoliniumretention im Gehirn ist sie jetzt aber richtig ins Rampenlicht der Öffentlichkeit gerückt. Wir sprachen dazu mit Dr. Ingrid Böhm, die seit 2014 das Projekt Arzneimittelsicherheit von Kontrastmitteln am Inselspital in Bern leitet.
Welche Schlussfolgerungen ziehen Sie aus den bisherigen Erkenntnissen und wie vermitteln Sie diese an die Patienten?
Obwohl seit 2014 durch die Publikation von Kanda et al. bekannt ist, dass es bei Nierengesunden zu Gadoliniumablagerungen im Organismus kommen kann, wissen wir derzeit recht wenig über dieses Phänomen. Bekannt ist lediglich, dass diese Ablagerungen nicht nur im Gehirn, sondern im gesamten Organismus zu finden sind und dass innerhalb der Knochen die höchsten Gadoliniumkonzentrationen nachzuweisen sind. Weiterhin scheinen sich lineare Gadolinium-Kontrastmittel stärker als makrozyklische abzulagern. Das ist dann schon alles, was wir wirklich wissen. In welcher chemischen Form sich die Gadolinium-Kontrastmittel ablagern und ob die Ablagerungen mittel- bzw. langfristig gesundheitsschädlich sind, ist unbekannt. Die von der Arbeitsgruppe um Semelka beschriebene Gadoliniumablagerungskrankheit (gadolinium deposition disease) wird derzeit kontrovers diskutiert. Da die beschriebenen Patienten hauptsächlich über subjektive Symptome wie Schmerzen und Konzentrationsstörungen bzw. nicht eindeutige zerebrale Symptome klagen und diese von Patient zu Patient großen individuellen Schwankungen unterworfen sind, ist es äußert schwierig, hier eine klare Krankheitsentität zu definieren.
Hinzu kommt die fehlende Korrelation zwischen klinischen Symptomen und Gadoliniumkonzentrationen im Organismus. Vor diesem Hintergrund ist das Gespräch mit dem Patienten eine Herausforderung. Wir fassen die gesicherten Kenntnisse gern für den Patienten zusammen, wenn uns entsprechende Fragen gestellt werden. Hat der Patient – meist bedingt durch unsachliche Medieninformationen – bereits eine vorgefasste Meinung und lehnt er/sie aufgrund dessen sogar die Injektion eines Gadolinium-Kontrastmittels ab, haben wir oft keine Chance, den Patienten mit sachlichen Argumenten umzustimmen. In der Literatur wird die ablehnende Haltung als Gadoliniumphobie beschrieben. Diese Wortschöpfung gibt die Einstellung eines Teils der Bevölkerung ausgezeichnet wieder.
Mit welchen Kontrastmittelunverträglichkeiten haben Sie es hauptsächlich zu tun?
Am häufigsten sehen wir in der klinischen Routine milde unerwünschte Reaktionen in Form von Hitzegefühl, Urticaria, Erythemen, Übelkeit/Erbrechen, Juckreiz oder anderen minimalen subjektiven Beschwerden. Da solche Reaktionen in der Regel selbstlimitierend sind, verabreichen wir keine Medikamente. Zur Sicherheit beobachten wir das allmähliche Abklingen und erklären dem betroffenen Patienten, was sich gerade ereignet hat und wie so eine Reaktion einzuschätzen ist. Auch milde Reaktionen verdienen es, beachtet zu werden. Zudem dokumentieren wir jede Reaktion. Dass hört sich zwar nach Mehrarbeit an, erleichtert im Endeffekt jedoch das individuelle Management, wenn sich die betroffenen Patienten zu Folgeuntersuchungen bei uns vorstellen.
In welcher Richtung forschen Sie zur Kontrastmittelsicherheit?
Wir wollen unerwünschte Kontrastmittelreaktionen zukünftig besser verstehen, um dem Patienten eine noch effektivere Prophylaxe anbieten zu können. Da der Begriff „unerwünschte Kontrastmittelreaktionen“ zahlreiche verschiedene Reaktionen zusammenfasst, beschäftige ich mich mit Überempfindlichkeitsreaktionen (hypersensitivity reactions), der kontrastbedingten Nephrotoxizität und den Gadoliniumablagerungen.
In Ihrem Artikel zur Kontrastmittelsicherheit für den deutschen Röntgenkongress in 2012 postulieren Sie die individuelle Testung der Patienten auf Kontrastmittel, um ein Profil für die entsprechenden Patienten anlegen zu können. Verfolgen Sie diesen Weg auch in Bern und hat sich dieser Ansatz bewährt?
Der individuelle Ansatz, den wir 2012 auf dem deutschen Röntgenkongress vorstellten, hat sich in der radiologischen Routine bewährt und kommt auch in Bern zum Einsatz. Anhand der Analyse von Individualverläufen bekommen wir Informationen zum Auslöser und der Klinik der unerwünschten Reaktion. Auf dieser Basis erstellen wir für jeden Risikopatienten ein individuelles Managementprogramm und ermöglichen so den sicheren Einsatz von Kontrastmitteln. Die exakte Dokumentation einer stattgefundenen unerwünschten Arzneimittelreaktion auf Kontrastmittel ist dabei ein zentrales Element. Das ist für einige Kolleginnen und Kollegen gelegentlich schwierig umzusetzen, weil es traditionell in der Radiologie nicht so praktiziert wurde. Daher besteht hier noch Fortbildungs- und Informationsbedarf.
Quelle: Dr. Ingrid Böhm*
Gibt es außer immer höher aufgelösten bildgebenden Verfahren eine wirkliche Alternative zu Kontrastmitteln?
Da die zelluläre und molekulare Bildgebung auf dem Einsatz zell-/molekülspezifischer Sonden sprich Kontrastmittel basiert, ist ein Ende der Kontrastmittelära nicht in Sicht
Ingrid Böhm
Die Technologie, die in radiologischen Großgeräten wie Computertomographen oder Magnetresonanztomographen steckt, hat sich in den letzten Jahren rasant weiterentwickelt. Jeder Patient, den wir untersuchen, profitiert davon. Die Strahlendosen in der CT-Bildgebung sind beispielsweise bei modernen Geräten deutlich niedriger als noch vor einigen Jahren und das bei einer gleichzeitig verbesserten Auflösung und Optimierung der Bildqualität. Das Endprodukt sprich das CT- bzw. MR-Bild ist letztendlich das Resultat aus dem Zusammenspiel von moderner Gerätetechnologie, IT und Bildverarbeitung sowie dem applizierten Kontrastmittel. Es gibt heute schon routinetaugliche CT-Protokolle, bei denen das Kontrastmittel als low-dose verabreicht wird. Die resultierenden Bilder sind einfach nur hervorragend. Und für den Organismus des Patienten bedeutet dies eine geringere Belastung und damit eine bessere Verträglichkeit. Ganz verzichten können wir auf die Kontrastmittel nicht. Jedenfalls heute nicht.
Wie es zukünftig sein wird, wissen wir nicht. Möglich wären durchaus Szenarien oder spezielle Anwendungen, die irgendwann komplett ohne Kontrastmittel auskommen werden. Andererseits sollten wir die zelluläre und molekulare Bildgebung nicht vergessen. Darunter verstehen wir die Darstellung einzelner Zellen oder bestimmter Moleküle in vivo in Echtzeit. Heute befindet sich dieser radiologische Bereich noch im Experimentalstadium, könnte jedoch in einigen Jahren schon klinische Routine sein. Da die zelluläre und molekulare Bildgebung auf dem Einsatz zell-/molekülspezifischer Sonden sprich Kontrastmittel basiert, ist ein Ende der Kontrastmittelära nicht in Sicht.
Arbeiten Sie auch mit Mangan oder USPIOs?
Mangan und USPIOs bzw. SPIOs sind sehr interessante Kontrastmittel für die MR-Bildgebung, sind aber beide leider nicht mehr auf dem Markt erhältlich und stehen daher in der klinischen Routine nicht zur Verfügung. Vor etlichen Jahren als Mangan und SPIOs klinisch eingesetzt wurden, habe ich mich intensiv mit diesen Substanzen beschäftigt und dabei festgestellt, dass enormes Potential in ihnen steckt, das bislang – nicht zuletzt aufgrund der Zulassungsrückgabe – ungenutzt ist. Die Ablagerungsproblematik mit Gadolinium-haltigen Kontrastmitteln könnte zur einer Renaissance von Mangan und SPIOs/USPIOs führen. Lassen wir uns einfach überraschen, was die Zukunft bringt.
Profil:
Dr. Ingrid Böhm wurde in Bonn geboren und studierte dort Medizin. Seit 2014 leitet sie das Projekt Arzneimittelsicherheit von Kontrastmitteln am Inselspital in Bern. Seit mehr als 15 Jahren erforscht sie die zellulären und molekularen Mechanismen von Kontrastmittel-induzierten Überempfindlichkeitsreaktionen. Die Expertise auf diesem Gebiet zeigen u. a. zahlreiche Publikationen in einschlägigen Fachjournalen. Insbesondere das individuelle Management von Patienten mit Kontrastmittel-induzierten Reaktionen inkl. die Vermeidung des auslösenden Kontrastmittels geht auf ihre Initiative zurück.
*Apropos Kontrast: "Ohne Kontrast geht gar nichts weder in der Radiologie noch in der Malerei bzw. in der Kunst", sagt Dr Böhm. "Die Bilder in der Radiologie faszinieren und motivieren mich sehr. Mein liebstes Hobby ist daher seit vielen Jahren die Malerei" – wie diese von der Radiologie inspirierten Bilder deutlich zeigen.
31.05.2019