Künstliche Intelligenz könnte dazu eingesetzt werden, unhandliche Befund-Templates auszufüllen und so die strukturierte Befundung voranbringen, zeigten sich Experten auf dem ECR überzeugt.

Quelle: Shutterstock/Iaremenko Sergii

Artikel • Strukturiert

KI ordnet den medizinischen Befund

Dropdown-Menüs gegen Textwüsten: Die strukturierte Befundung soll Ordnung in das Chaos bringen, das die Dokumentation in freier Textform mit sich bringen kann. Künstliche Intelligenz (KI) kann helfen, diese Daten sinnvoll aufzubereiten, waren sich Experten auf dem Radiologenkongress ECR in Wien einig. Bis Algorithmen selbstständig perfekte Befundberichte anfertigen können, ist jedoch noch einiges zu tun.

Bericht: Wolfgang Behrends

Der Wunsch nach einheitlichen Strukturen in der radiologischen Befundung ist beinahe so alt wie das Fach selbst: Bereits 1899 sprach sich Röntgen-Pionier Dr. Preston Hickey dafür aus, Berichte in einem standardisierten Format mit vordefiniertem Vokabular zu verfassen. Inzwischen nimmt die strukturierte Befundung (engl.: structured reporting; SR) in der Radiologie deutlich Fahrt auf, obwohl der Zwiespalt zwischen unmissverständlicher Uniformität und individuellem Ausdruck nicht vom Tisch ist.

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Prof. Peter Mildenberger

Strukturierte Daten sind nicht nur übersichtlicher als Freitext, machte Prof. Peter Mildenberger vom Universitätsklinikum Mainz deutlich: „Werden Informationen in eine Datenbank gespeichert, lassen sie sich für Datamining, umfassende Analysen, Forschung und vieles mehr verwenden“, erklärte der Radiologe auf dem ECR. Dazu sind einheitliche Templates wie RadReport (radreport.org) notwendig, die gerade in Europa einen weiteren Vorteil bieten: „Liegen die Informationen in strukturierter und maschinenlesbarer Form vor, lassen sie sich mit vergleichsweise wenig Aufwand in andere Sprachen übersetzen – für multinationale Forschergruppen ein Muss.“ Der Trend zu strukturierter Befundung wird derzeit vor allem durch Templates ausgebremst, die häufig wenig nutzerfreundlich sind, kritisierte Mildenberger. Hier sind die Entwickler, insbesondere kommerzielle Anbieter, gefragt, intuitive Bedienschemata zu schaffen und so die Akzeptanz der SR unter den Radiologen zu fördern.

Ein Fundament aus lesbaren Daten schaffen

portrait of charles 'chuck' e. kahn
Charles E. Kahn
Quelle: Penn Medicine

Für menschliche Leser ist es anstrengend, lange Textabsätze nach relevanten Informationen zu durchforsten. „Noch schwieriger ist das allerdings für Maschinen“, betonte Prof. Charles Kahn von der University of Pennsylvania. Decision-Support-Systeme können den Kontext der Textpassagen nicht erfassen, für sie müssen die Informationen in Form vordefinierter Datenelemente (common data elements; CDE) aufbereitet werden, damit sie sie zuverlässig verarbeiten können. Beispiele für maschinenlesbare CDEs sind Werte wie BI-RADS-Scores, numerische Größenangaben oder Kalenderdaten, für komplexere Sachverhalte kommen Checklisten mit vorher festgelegten Antwortmöglichkeiten in Frage.

Auf dieser Grundlage werden strukturierte Befunde auch für KI-Anwendungen interessant. „Nachdem die Medizin den Sprung von der symptom-basierten ‚intuitiven‘ zur evidenzbasierten Medizin geschafft hat, können Algorithmen den nächsten Paradigmenwechsel in Richtung Präzisionsmedizin einläuten“, zeigte sich Kahn überzeugt.

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Ähnlich wie gute Pädagogen Strategien brauchen, um den Nachwuchs aufs Leben vorzubereiten, müssen auch Radiologen einige Vorarbeit leisten, damit der Computer gut für seine Aufgabe gerüstet ist – die automatisierte Auswertung von Bilddaten. Denn schon beim Training kann man eine Menge falsch machen, warnt Machine-Learning-Experte Dr. Daniel Pinto.

Natürliche Synergie – von Algorithmen, für Algorithmen

portrait of Tarik Alkasab
Prof. Tarik Alkasab

Die leichtere Lesbarkeit der Daten ist für Algorithmen eine Notwendigkeit, bringt aber auch für Menschen mehr als kosmetische Vorteile, berichtete Prof. Tarik Alkasab: „Untersuchungen haben gezeigt, dass Guidelines zu bestimmten Verfahren viel häufiger eingehalten werden, wenn die Befundung über ein SR-Tool angefertigt wird“, so der Radiologe aus Massachusetts. Auch Follow-up-Empfehlungen, die aus strukturiert aufgearbeiteten Daten bestehen, werden demnach deutlich häufiger befolgt als Empfehlungen, die Radiologen einfach in ihr Diktiergerät sprechen. „Die Informationen wirken plausibler und glaubwürdiger, wenn sie in strukturierter Form vorliegen.“

Hier erhoffen sich die Experten den größten Nutzen von KI-Assistenten: „Für Radiologen sind die Eingabemasken der SR-Tools oft unhandlich und umständlich zu bedienen“, erklärte Alkasab. „Unser Ziel ist ein KI-Tool, das dem Menschen diese Aufgabe abnimmt und die Eingaben selbstständig einfügt. Wenn uns das gelingt, ergibt sich ein natürlicher Synergieeffekt zwischen KI und strukturiertem Befund: Weil die Daten von einem Algorithmus bereitgestellt werden, sind sie automatisch besser für Algorithmen lesbar.“ Der Radiologe überprüft nur noch die Daten – eine Aufgabe, die deutlich weniger Zeit kostet als eine manuelle Eingabe. „Jeder Radiologe, der bei seiner Nachtschicht Notfall-Lungenembolie-CTs auswerten muss, träumt von dem Tag, an dem ihm die KI dabei hilft“, sprach Alkasab aus eigener Erfahrung. Um die Zuverlässigkeit der KI-Eingaben zu erhöhen, würde ein solcher Algorithmus zusätzliche Informationen aus der elektronischen Patientenakte (ePA) heranziehen und so eventuelle Vorerkrankungen oder Medikationen in seiner Analyse berücksichtigen. Mit den während einer Untersuchung generierten Daten kann dann wiederum die ePA aktualisiert werden – ein Kreislauf, in dem ein immer dichteres Informationsnetz eine immer zuverlässigere KI-Unterstützung ermöglicht.

Rückbesinnen auf die Bedeutung der Kommunikation

Oft sind Befunde für Patienten emotional aufwühlend, deshalb ist es wichtig, dass ihnen ein Mediziner aus Fleisch und Blut gegenübersteht

Jan Bosmans

Einen weiteren wichtigen Aspekt dieser Entwicklung zeigte Prof. Jan Bosmans von der Universität Gent auf: „Früher gab es viel mehr direkte Kommunikation in der Radiologie, sowohl mit den zuweisenden Ärzten als auch mit den Patienten selbst. Neue Technologien und das Diktat des effizienten Workflows haben uns von diesem Zustand entfernt“, kritisierte der Radiologe. „Alle reden über patientenzentrierte Medizin, aber die Wahrheit ist, dass Patienten heute häufiger im Dunkeln gelassen werden.“

„Präzise Diagnostik ist wichtig – die SR kann dazu viel beitragen –, entscheidend ist aber der Radiologe, der die Befundung für den Patienten so übersetzt, dass er sie auch versteht. Oft sind Befunde für Patienten emotional aufwühlend, deshalb ist es wichtig, dass ihnen ein Mediziner aus Fleisch und Blut gegenübersteht.“ Ironischerweise ist es ausgerechnet die empathie- und emotionsfreie KI, die das ermöglicht, indem sie die zeitraubenden, repetitiven Prozesse der Befundung übernimmt und dem Radiologen die Zeit gibt, sich persönlich mit dem Patienten zu befassen. „Davon würde auch das Berufsbild des Radiologen profitieren, dessen Leistungen so für den Patienten endlich wieder sichtbar werden“, so Bosmans abschließend.

11.04.2019

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