Fatima Kargbo (links) und Paulina Kleisa bei der Bewertung der Morphologie...
Fatima Kargbo (links) und Paulina Kleisa bei der Bewertung der Morphologie fluoreszenzgefärbter Zellkern- und Cytoskelettelemente humaner HEK293 Zellen (human embryonic kidney cells).

© V. Linhard/Frankfurt UAS 

News • Material für Medizinprodukte

Infusionsbeutel: Bio-Kunststoffe senken CO₂-Bilanz

Katheter, Blutbeutel, Beatmungsschläuche: Medizinische Einwegartikel aus Kunststoff tragen erheblich zur Müllbelastung in Kliniken und zu hohen Treibhausgasemissionen im Gesundheitssektor bei. Dies erfordert innovative Materiallösungen.

Biobasierte Kunststoffe bieten eine vielversprechende Alternative zu Kunststoffen auf Erdölbasis, da sie einen geringeren CO2-Fußabdruck aufweisen und bei der Verbrennung kein zusätzliches CO2 ausstoßen. 

Hier setzt ein Projekt der Frankfurt University of Applied Sciences (Frankfurt UAS) an: Ein Forschungsteam unter Leitung von Prof. Dr. Diana Völz und Prof. Dr. Ilona Brändlin entwickelt gemeinsam mit der Biovox GmbH aus Darmstadt, vertreten durch Dr.-Ing. Vinzenz Nienhaus, einen Kunststoff aus nachwachsenden Rohstoffen für Infusionsbeutel. Das Projekt mit dem Titel „Bio_K_Sub – Entwicklung eines BioKunststoff-Compound für Medizinprodukte als nachhaltigerem Substitutionswerkstoff“ wird im Rahmen der Innovationsförderung Hessen aus Mitteln der LOEWE – Landes-Offensive zur Entwicklung Wissenschaftlich-ökonomischer Exzellenz (Förderlinie 3: KMU Verbundvorhaben) mit ca. 500.000 Euro gefördert und läuft noch bis Oktober 2026. 

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Im Sicherheitslabor, in dem die Biokompatibilität der entwickelten Biokunststoffe analysiert wird, befüllt Mitarbeiterin Fatima Kargbo eine Zellkulturflasche mit Kulturmedium, als Vorbereitung des Zellsplittings.

© V. Linhard/Frankfurt UAS

In deutschen Kliniken entstehen laut einer aktuellen Studie durchschnittlich rund 8,3 Kilogramm Abfall pro Patient und Krankenhausaufenthalt. Die Wiederverwertung von medizinischen Einweg-Produkten ist aufgrund hoher Hygiene- und Sicherheitsanforderungen stark eingeschränkt, daher wird Medizinabfall größtenteils verbrannt, was die Klimabilanz der Kliniken zusätzlich belastet. Biobasierte Kunststoffe minimieren zusammen mit effektivem Recycling den CO2-Aussstoß von Medizinprodukten. Sie gelten als nachhaltiger als konventioneller Kunststoff, weil bei ihrer Verbrennung lediglich das CO2 freigesetzt wird, das die Pflanzen zuvor aufgenommen haben. Zudem bieten sie die Chance, ohne schädliche Additive (wie z.B. Weichmacher) auszukommen. 

Für Verpackungen von Medizinprodukten können biobasierte Kunststoffe bereits eingesetzt werden, da ihre Komponenten als stabil und sicher im Kontakt mit dem menschlichen Organismus gelten. „Die besondere Herausforderung für unser Vorhaben besteht darin, einen Kunststoff zu entwickeln, der neben der geforderten Biostabilität auch alterungsbeständig ist und z. B. UV-Resistenz aufweist. Hierfür sind spezielle Kenntnisse im Bereich des Compoundierens, also des Beimischens von Zuschlagstoffen zum Erzielen der erwünschten Eigenschaften, notwendig“, erläutert Prof. Dr. Diana Völz, Professorin für Produktentwicklung, Konstruktion und CAD. 

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Für den Zugversuch im Labor für Biomechanik spannt die Doktorandin und wissenschaftliche Mitarbeiterin Julia Schneider das Material in die Probenhalter einer Zugprüfmaschine ein.

© Frankfurt UAS

Die Verbundpartner Biovox und Frankfurt UAS – hier insbesondere das Team des Forschungslabors Personalized Biomedical Engineering (PBE), zu dem Diana Völz und die Molekular- und Zellbiologin Ilona Brändlin gehören – verfügen über interdisziplinäre Forschungskompetenzen sowie Laboreinrichtungen und Erfahrung in der Herstellung und Bewertung der biologischen Sicherheit von biobasierten Kunststoffen. Bereits geleistete Vorarbeiten seitens Biovox umfassen Kunststoffcompounds für andere Anwendungen, wie z. B. Gehäuse von veganen Schwangerschaftsschnelltests und Griffe für chirurgische Instrumente. 

Die Forschung zum Einsatz von biobasierten Kunststoffen für Einwegartikel im Gesundheitssektor wird durch die Arbeit von Maria Heckel ergänzt, die sich in ihrer Promotion mit ökologischen Bilanzierungsmodellen der Biokunststoffe beschäftigt. 

Während Biovox die „Rezeptur“ für das Kunststoffgranulat auf Basis von Zellulose, Zuckerrohr oder Maisstärke entwickelt, erfolgen die angepassten Biokompatibilitätsnachweise und physikalischen sowie chemischen Sicherheitsprüfungen an der Frankfurt UAS. „Der Nachweis der Biokompatibilität ist wesentlich für die spätere Marktreife, da dies ein wichtiger Aspekt für die Nutzbarkeit des Werkstoffs ist“, so Ilona Brändlin. Die Analysen der Biokompatibilität der entwickelten Biokunststoffe erfolgen unter ihrer Leitung mithilfe von eukaryotischen Zellkulturen in einem Sicherheitslabor nach dem 3R-Prinzip zur Vermeidung von Tierversuchen (Replace/Vermeiden, Reduce/Verringern, Refine/Verbessern). Die Zugversuche am Kunststoff, die Aufschluss über wichtige mechanische Eigenschaften wie Streckspannung, Streckgrenze und Reißfestigkeit des Werkstoffs geben, erfolgen im Biomechanik-Labor. 

Von links: Die Arbeitsgruppe des Sicherheitslabor besteht aus Prof. Dr. Ilona...
Von links: Die Arbeitsgruppe des Sicherheitslabor besteht aus Prof. Dr. Ilona Brändlin (Projektleitung), Verena Linhard (Laboringenieurin), Paulina Kleisa (wissenschaftliche Mitarbeiterin) und Fatima Kargbo (studentische Hilfskraft).

© A. Tanriseven 

Das Forschungsteam erhofft sich weitere wissenschaftliche Erkenntnisse zur Sicherstellung von Alterungs- und Wasserbeständigkeit biobasierter Kunststoffe, die durch umfassende biologische Prüfungen und Einflussanalysen bestätigt werden. „Das Projekt weist somit ein erhebliches wirtschaftliches und wissenschaftliches Innovationspotenzial auf und trägt zur Etablierung von Werkstoffkreisläufen und somit zum Erreichen der gesetzten Klimaziele in der Medizinbranche bei“, resümiert Völz. 

Die angestrebten Werkstoffeigenschaften hinsichtlich der Beständigkeit und Einsetzbarkeit des neu entwickelten biobasierten Kunststoffes lassen sich perspektivisch auch für andere medizinische Behälter wie Blutbeutel nutzen. 


Quelle: Frankfurt University of Applied Sciences 

19.11.2025

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