News • Zulassung für Virusblocker Hepcludex

Grünes Licht für erstes Hepatitis-D-Medikament

Was vor rund 25 Jahren als Grundlagenforschung begann, führte nun zur erfolgreichen Zulassung eines Medikaments: Der von Forschenden des Universitätsklinikums (UKHD) und der Medizinischen Fakultät Heidelberg gemeinsam mit dem DZIF und weiteren Partnern entwickelte Virusblocker Bulevirtide (Handelsname Hepcludex, ehemals Myrcludex B) wurde jetzt von der Europäischen Kommission zugelassen.

Hepcludex ist der erste Vertreter der sogenannten „Entry Inhibitoren“ für Hepatitis D und hindert Hepatitis D- und auch B-Viren (HDV und HBV) am Eindringen in die Zellen. Für rund 25 Millionen Hepatitis-D-Infizierte weltweit bedeutet die Entwicklung des Wirkstoffs neue Hoffnung, denn bislang gab es kein zugelassenes Medikament gegen diese Infektionserkrankung.

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Hepatitis-D-Infektionen gelten als besonders schwere Form der Virushepatitis, denn sie treten nur gemeinsam mit HBV-Infektionen auf und können noch schneller zu einer Leberzirrhose und zu Leberkrebs führen, als es bei einer alleinigen HBV-Infektion der Fall ist. Für viele Patienten war daher bislang eine Transplantation die einzige Überlebenschance. „Wir freuen uns sehr über diesen Erfolg, der auf jahrzehntelanger virologischer Forschung in Heidelberg basiert“, sagt Prof. Dr. Hans-Georg Kräusslich, Zentrumssprecher des Zentrums für Infektiologie am UKHD und Vorstandsvorsitzender des Deutschen Zentrums für Infektionsforschung (DZIF). „Die Entwicklung des Wirkstoffs erfolgte in enger Zusammenarbeit von Wissenschaft, öffentlicher Förderung und einem Biotech-Unternehmen und ist damit ein Musterbeispiel für eine erfolgreiche Translation vom Labor in die klinische Anwendung.“

Das Wirkprinzip von Hepcludex (Wirkstoffname Bulevirtide): Der...
Das Wirkprinzip von Hepcludex (Wirkstoffname Bulevirtide): Der Gallensalztransporter NTCP (gelb), den die Virionen (orange) als Eintrittspforten in die Leberzellen nutzen, wird durch den Wirkstoff blockiert.

Bildquelle: UKHD

Das Wirkprinzip von Hepcludex funktioniert nach dem Schlüssel-Schloss-Prinzip: Hepatitis B- und D-Viren vermehren sich ausschließlich in der Leber, denn nur auf den Leberzellen befindet sich der Gallensalztransporter NTCP, welchen sie als „Schloss“ (Virusrezeptor) nutzen, um in die Zellen zu gelangen. Hepcludex blockiert wie ein abgebrochener Schlüssel dieses Schloss. Doch warum wirkt Hepcludex, wenn eine Infektion schon passiert und das Virus bereits in den Zellen ist? „Das Virus muss, um langfristig überleben zu können, kontinuierlich gesunde Leberzellen befallen, weil die erkrankten entweder absterben oder vom Immunsystem eliminiert werden“, sagt Prof. Dr. Stephan Urban, der gemeinsam mit seinem Team Hepcludex in 25-jähriger Forschungsarbeit entwickelte und seit 2014 mit einer DZIF-Professur die Medikamentenentwicklung in den Fokus nahm. „In der infizierten Leber teilen sich die Leberzellen offensichtlich sehr rasch. Das Medikament schützt dann die neuen, jungen Leberzellen vor einer Infektion, während die infizierten Zellen eliminiert werden“, so Stephan Urban.

In mehreren klinischen Phase I- und Phase II- Studien konnte gezeigt werden, dass der Wirkstoff von Menschen gut vertragen wird und effizient die Vermehrung von Hepatitis B und D hemmt. Aktuell wird eine Phase III-Studie durchgeführt, die unter anderem die Langzeitwirkung von Hepcludex untersucht. Gefördert wurden die Arbeiten initial vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) mit 2,4 Millionen für die präklinische Entwicklung (Programm für „Innovative Therapieverfahren“). In der Folge stieg das 2012 gegründete DZIF ein und finanziert seit 2014 unter anderem die Professur von Stephan Urban an der Medizinischen Fakultät Heidelberg.

Unsere klinischen Studien zeigten, dass Hepcludex in sehr geringer Konzentration wirksam ist, sodass der Gallensalztransporter weiterhin seinen Aufgaben in der Zelle nachgehen kann

Stephan Urban

Als der Molekularbiologe Stephan Urban in einem kleinen Labor mit seiner Forschung begann, lag eine Wirkstoffentwicklung gegen Hepatitis D in weiter Ferne – ihn interessierte zunächst ein anderes Virus: Urban suchte nach der Eintrittspforte für Hepatitis B-Viren in die Leberzellen – eine Suche, an der sich weltweit viele Forschende beteiligten und die er aufgrund der weiten Verbreitung von Hepatitis B als „Heiligen Gral der Hepatitisforschung“ bezeichnet. Mühevolle Kleinarbeit begann: Zunächst musste ein Weg gefunden werden, das Virus in Zellkulturen zu züchten, um seine Vermehrung zu studieren. Im nächsten Schritt musste aus einer großen Zahl von Kandidaten der richtige Rezeptor entdeckt werden. „Wir haben Teile der Sequenz der Virushülle als Proteinfragment im Labor hergestellt, dann auf nicht infizierte Leberzellen gegeben und geschaut, ob wir verhindern können, dass das Virus eindringt“, so Urban. Schließlich gelang die Entdeckung: Das Virus nutzt den NTCP-Rezeptor (NTCP: Natrium-taurocholate cotransporting polypeptide), einen Gallensalztransporter, um wie ein blinder Passagier in die Zelle zu gelangen. Blockiert man den Transporter mit dem synthetisch hergestellten Proteinfragment, welches einen Teil der natürlichen Virushülle nachbildet, dann können Virionen – infektiöse Virusteilchen außerhalb der Wirtszelle – nicht mehr in die Zelle eindringen. Dabei reicht es, wenn einige der Rezeptoren blockiert werden, um die Virionen zu stoppen. „Unsere klinischen Studien zeigten, dass Hepcludex in sehr geringer Konzentration wirksam ist, sodass der Gallensalztransporter weiterhin seinen Aufgaben in der Zelle nachgehen kann“, fasst Urban zusammen.

Ohne HBV-Infektion keine Hepatitis D, denn das D-Virus ist nicht in der Lage, eine eigene Virushülle herzustellen. Stattdessen benutzt es wie ein Parasit des Parasiten Bestandteile des B-Virus, um in die Leberzellen einzudringen. Während es gegen HBV bereits wirksame, aber nicht heilende Therapien gibt, hatte Urbans Team mit dem künstlich hergestellten, kleinen Proteinfragment das weltweit erste Medikament gegen Hepatitis D in der Hand. In der Folge erhielt Hepcludex das „PRIME“-Siegel der Europäischen Arzneimittelbehörde (EMA). PRIME steht für „Priority Medicines“ und ist ein Programm, mit dem die EMA die Entwicklung von besonders benötigten Medikamenten verstärkt fördert. Am 28. Mai 2020 wurde Hepcludex von der EMA zur Zulassung empfohlen und nun von der Europäischen Kommission zur Verschreibung in Europa zugelassen.

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Prof. Dr. Stephan Urban (von links) und Prof. Dr. Ralf Bartenschlager von der Abteilung für Molekulare Virologie des Zentrums für Infektiologie am UKHD engagieren sich seit Jahren erfolgreich dafür, die Diagnose und Therapie von Hepatitisvirus-Infektionen zu verbessern.

Bildquelle. UKHD

Mit der Zulassung von Hepcludex gegen Hepatitis D setzt sich eine Heidelberger Erfolgsgeschichte fort, denn vor wenigen Jahren gelang aus demselben Institut heraus ein entscheidender Beitrag zur Entwicklung von Medikamenten gegen Hepatitis C: Prof. Dr. Ralf Bartenschlager, Direktor der Abteilung für Molekulare Virologie am Zentrum für Infektiologie des UKHD, erarbeitete mit Entdeckungen zu den molekularen Eigenschaften und zum Vermehrungszyklus des Hepatitis C-Virus Angriffsflächen für die Entwicklung von antiviralen Medikamenten. Die Forschung von Stephan Urban begleitet und unterstützt er seit vielen Jahren: „Weltweit ist die virale Hepatitis in ihren verschiedenen Formen ein enormes gesundheitspolitisches Problem“, so Bartenschlager. Er gratuliert dem Team um Stephan Urban zum Erfolg, findet aber auch nachdenkliche Worte zur Forschungsförderung in Deutschland. „Ich würde mir eine konsequentere und langfristige Förderung des Übergangs von der Grundlagenforschung in die Anwendung durch die öffentliche Hand wünschen, damit vielversprechende Projekte in Zukunft nicht mehr an der Suche nach Geldgebern scheitern.“ Positive Beispiele sind aus seiner Sicht das DZIF, das eigens zum Zweck der Translation anti-infektiöser Wirkstoffe in die klinische Anwendung gegründet wurde, sowie der von ihm geleitete transregionale Sonderforschungsbereich SFB 179 „Ursachen der Ausheilung bzw. Chronifizierung von Infektionen mit Hepatitisviren“ an der Medizinischen Fakultät Heidelberg. Dieser SFB wird nun in einer zweiten Förderperiode von der Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) erneut mit rund 13 Millionen Euro gefördert und stärkt damit Heidelberg als Standort der Hepatitisforschung.

In Deutschland gibt es vergleichsweise wenige Betroffene einer Hepatitis D-Infektion – was auch daran liegt, dass in Deutschland viele Menschen gegen Hepatitis B-Infektionen geimpft und damit auch vor Hepatitis D geschützt sind. „Das Robert-Koch-Institut geht von 240.000 chronisch HBV-Infizierten in Deutschland aus. Wir rechnen mit einem Anteil von rund 2,5 Prozent HDV-Co-Infizierten in Deutschland, was rund 6000 Betroffenen entspricht“, so Stephan Urban. „Genaue Zahlen gibt es jedoch nicht, denn viele HBV-Infizierte werden nicht zusätzlich auf Hepatitis D getestet.“ Prof. Dr. Uta Merle, Komm. Ärztliche Direktorin der Klinik für Gastroenterologie, Infektionen, Vergiftungen am UKHD, hat im Rahmen der klinischen Studien einige Hepatitis-D-Patienten behandelt und unterstreicht die Bedeutung des neuen Wirkstoffs: „Eine chronische Infektion mit dem Hepatitis-D-Virus gilt als besonders aggressiv und schwierig zu therapieren. Patienten mit einer chronischen Hepatitis D entwickeln oft innerhalb von fünf bis zehn Jahren einen Leberumbau bis hin zur Leberzirrhose. So einen schweren Verlauf sieht man bei 70 bis 90 Prozent der HDV-Infektionen und auch bei jungen Menschen. Im Stadium der Leberzirrhose mit ihren Komplikationen bleibt dann nur noch die Lebertransplantation als einzige Therapieoption“, fasst sie zusammen. Insbesondere in Afrika, in Südamerika, in der Mongolei, in Russland und in Osteuropa ist diese schwerste Form der Hepatitis weit verbreitet – weil Testmöglichkeiten fehlen, wissen auch hier viele Infizierte häufig nichts von ihrer Erkrankung. In Russland und den ehemaligen Staaten der Sowjetunion ist das Medikament deshalb unter dem Handelsnamen Myrcludex bereits Ende 2019 zugelassen worden.

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Interview • Infektiologie

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Nach wie vor ist von einer großen Dunkelziffer von Menschen mit unentdeckter Hepatitis B und C auszugehen: Etwa 290 Millionen Menschen – so die Schätzungen – ahnen nichts von ihrer Infektion und den möglichen Folgen. Prof. Ulrike Protzer, Hepatitis-Forscherin am Deutschen Zentrum für Infektionsforschung (DZIF), sieht dringenden Handlungsbedarf.

Die Lizenz für die Herstellung und den Vertrieb von Hepcludex wurde von der Medizinischen Fakultät Heidelberg und der staatlichen französischen Forschungseinrichtung INSERM (Institut national de la santé et de la recherche médicale) an die unabhängige Biotechnologiefirma MYR Pharmaceuticals vergeben. Die französische Beteiligung ergibt sich aus einer frühen Kollaboration von Urban mit Forschenden des INSERM, auf Basis dieser Zusammenarbeit entstand das Grundpatent für die weitere Entwicklung von Hepcludex auf dem Heidelberger Campus. Mögliche Lizenzerträge kommen den federführenden Institutionen (Universität Heidelberg, INSERM, DZIF) sowie dem Entwickler Stephan Urban und anderen am Klinikum beteiligten Erfindern sowie der Abteilung Molekulare Virologie zugute.

Da auch Hepatitis-B-Viren den Gallensalzrezeptor NTCP für den Zelleintritt verwenden, wirkt Hepcludex auch als Hepatitis-B-Therapeutikum. Inzwischen wurde der Wirkstoff auch schon in Kombination mit dem für HBV zugelassenen Immunmodulator Interferon alpha (IFNa) getestet – mit großem Erfolg. „Nach 48 Wochen Behandlung war die Viruslast stark reduziert und bei einem Teil der Patienten waren alle Virusmarker nachhaltig verschwunden“, so Stephan Urban. Da es jedoch bereits etablierte Therapien gegen Hepatitis B gibt, sind die Voraussetzungen für eine beschleunigte Zulassung nicht gegeben und Hepcludex kann zunächst nur bei Patienten eingesetzt werden, die von einer doppelten Infektion besonders schwer betroffen sind. „Es wird in naher Zukunft sehr interessant sein zu prüfen, ob die Kombination von Hepcludex mit einem Immunmodulator auch bei HBV-Patienten ohne HDV-Co-Infektion zu einem kurativen Therapieverlauf führen kann“, blickt Stephan Urban in die Zukunft.


Quelle: Universitätsklinikum Heidelberg

04.08.2020

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