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News • Studie zu Folgeschäden

Fußball: Erhöhen Kopfbälle das Risiko für Demenz?

Seit Jahren erforschen Studien das Risiko für neurodegenerative Erkrankungen bei Sportarten mit wiederholten Schädelprellungen wie dem Fußball. Eine neue Kohortenstudie aus Schweden zeigte, dass insbesondere Feldspieler im Profisport ein deutlich erhöhtes Risiko für Alzheimer und andere Demenzen haben.

Die Studie verglich über 6.000 ehemalige Fußballspieler der höchsten Liga hinsichtlich des Auftretens neurodegenerativer Erkrankungen mit einer Kontrollpopulation (>50.000) aus der Allgemeinbevölkerung. Im Ergebnis hatten insbesondere Feldspieler ein um 50% erhöhtes Risiko für M. Alzheimer und andere Demenzen, Torhüter dagegen nicht. 

Die Ergebnisse wurden jetzt im Fachjournal Lancet Public Health veröffentlicht.

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Fußball steht von allen Sportarten in der Beliebtheit auf der ganzen Welt an oberster Stelle. Verschiedene Beobachtungstudien geben jedoch schon seit Jahren Anlass zur Sorge hinsichtlich der späteren Entwicklung neurodegenerativer Erkrankungen. Zwar sind schwere Kopfverletzungen im Fußballsport selten (in den meisten Studien <0,1 Ereignisse pro 1.000 Spielerstunden1), jedoch vermutet man, dass wiederholte, subklinische Verletzungen bzw. Prellungen des Kopfes (v.a. durch Kopfbälle) im Sinne einer „chronisch traumatischen Enzephalopathie“ zu einem erhöhten Risiko für neurodegenerative Erkrankungen führen könnten (z.B. M. Alzheimer, andere Demenzen, M. Parkinson und Motoneuronerkrankungen, d.h. Erkrankungen des motorischen Nervensystems). Abschließende Evidenz ist noch nicht vorhanden, manche Studien werden kontrovers diskutiert, sind widersprüchlich, im Studiendesign limitiert oder aus anderen Gründen wie Fehlen einer Kontrollgruppe oder unvollständiger Ergebniserfassung nur schwer miteinander vergleichbar. 

Nachdem Untersuchungen aus Schottland 2019 zeigten, dass Profifußballspieler gegenüber der Allgemeinbevölkerung ein mindestens 3,5-mal höheres Risiko haben, an einer neurodegenerativen Erkrankung zu versterben2,3, haben UEFA und die Britischen Fußballverbände ihre Richtlinien überarbeitet, um die Sportler bestmöglich zu schützen (z.B. Verbot von Kopfballtraining unter 12 Jahren). 2022 beschloss auch der DFB Änderungen im Kinder- und Jugendfußball im Sinne eines „altersgerechten Umgangs mit dem Kopfballspiel“4; dies beinhaltet z.B. neue Wettbewerbsformen, kleinere Tore und Spielfelder oder das Erlernen der richtigen Kopfballtechnik mit geringem Übungsumfang und leichteren Bällen. Es gibt jedoch auch Rufe aus der medizinischen Fachwelt, das so genannte Köpfen wie in anderen Ländern vor dem Jugendalter ganz zu verbieten.

Regelmäßige Bewegung ist auch eine relevante Säule der Demenzprävention. Kopftraumata durch Kopfbälle scheinen beim Fußball diesen Effekt jedoch umzukehren

Peter Berlit

Die neue Studie aus Schweden bewertete das Risiko für neurodegenerative Erkrankungen bei 6.007 Fußballspielern durch Hinzuziehen einer ausgesprochen großen Vergleichsgruppe von 56.168 Männern aus der Allgemeinbevölkerung. Analysiert wurden Daten von Profi- und Amateurspielern (darunter 510 Torhüter), die zwischen 1924 und 2019 in der höchsten schwedischen Fußball-Liga gespielt hatten. Der Vergleich mit der Kontrollpopulation (bis zu 10 Kontrollen pro Spieler) erfolgte gematcht nach Alter und Wohnregion. Das Follow-up erfolgte bis Ende 2020. Verwendet wurden landesweite Sterbe-, Krankenhaus- und ambulante Patientenregister; dabei wurden Demenzen (M. Alzheimer und andere), Motoneuronerkrankungen und M. Parkinson separat erfasst. 

Bei 537 der 6.007 Fußballspieler (8,9%) wurde die Diagnose einer neurodegenerativen Erkrankung gestellt – gegenüber 3.485 (6,2%) der Kontrollpersonen. Das Erkrankungsrisiko der Fußballer insgesamt (Feldspieler und Torhüter) war somit signifikant um fast 50% höher (Hazard Ratio/HR 1,46) als in der Allgemeinbevölkerung. Betroffen waren vor allem Profifußballer, die Mitte des 20. Jahrhunderts spielten. Gegenüber den Kontrollen hatten Feldspieler eine HR von 1,50; Torhüter dagegen keine signifikante Erhöhung (HR 1,07). Speziell das Demenz-Risiko der Feldspieler war hoch (HR 1,67). Bei Motoneuronenerkrankungen gab es keine signifikanten Unterschiede. Parkinson-Erkrankungen waren sogar bei Fußballspielern seltener als in der Kontrollgruppe (HR 0,68, ohne signifikanten Unterschied zwischen Feldspielern und Torhütern). Die Gesamtmortalität der Fußballspieler war insgesamt etwas niedriger als in der Allgemeinbevölkerung (HR 0,95); die Sterblichkeit an Lungenerkrankungen (Bronchialkarzinom, chronisch obstruktive Lungenerkrankung) war sogar deutlich niedriger (HR 0,82). Die Sterblichkeit an/mit neurodegenerativen Erkrankungen war bei den Fußballern dagegen signifikant höher als bei den Kontrollen (HR 1,54 und HR 1,69 für Tod mit/an Demenz). Die Publizierenden weisen darauf hin, dass eine Übertragbarkeit z.B. auf den Fußballsport dieses Jahrhunderts, Frauenfußball oder Freizeitfußball nicht ohne weiteres möglich ist. Dennoch bewerten sie die Ergebnisse als relevant für das grundsätzliche Risikomanagement in diesem Sport. 

„Auch in dieser Studie bestätigte sich ein erhöhtes Demenz-Risiko bei ehemaligen Fußballern. Anders als in der Studie aus Schottland war das Risiko für neurodegenerative Erkrankungen allerdings nicht ganz so ausgeprägt (1,5-fach versus 3,5-bis 5-fach), und es bestand auch nur für Demenzen, nicht aber für M. Parkinson“, kommentiert Prof. Dr. Peter Berlit, Generalsekretär der Deutschen Gesellschaft für Neurologie (DGN). „Sport ist für alle Altersgruppen zweifellos wichtiger Bestandteil eines gesunden Lebensstils und regelmäßige Bewegung ist auch eine relevante Säule der Demenzprävention. Kopftraumata durch Kopfbälle scheinen beim Fußball diesen Effekt jedoch umzukehren. Ob es für die Gesunderhaltung der kognitiven Fähigkeiten reicht, nur auf das ‚Köpfen‘ im Kindes- und Jugendalter zu verzichten, müssen weitere Studien klären.“ 


Quelle: Deutsche Gesellschaft für Neurologie

07.04.2023

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